Friedrich ‚Fritz’ Levy • Der letzte Jude von Jever …

Von Renajacob @renajacob

Ganz bestimmt war Friedrich Levy für dies Leben, das er leben musste, nicht gemacht, denn die meiste Zeit seines Daseins musste er reagieren, seine Spielräume selbst zu agieren waren leider mehr als gering. Doch eins lehrte ihn dies Leben, sich durchzusetzen, häufig kühn, oft amüsant und im Alter dann provokant und schnoderich und er hatte alles Recht der Welt dazu. Denn diese seine Welt war von solcher Grausamkeit und Erniedrigung, dass einem nur der Atem wegzubleiben vermag. Grausamkeiten begegneten ihm nicht nur in einer Zeit, dem dunkelsten Kapitel Deutscher Geschichte, nein, noch weit, weit darüber hinaus.

Friedrich Levy wurde am 6. Mai 1901 in Jever geboren. Die Familie war eine angesehene und gutsituierte jüdische Viehhändlerfamilie und Friedrich standen zu dieser Zeit noch alle Wege offen. 1918 absolvierte er als Klassenbester sein Abitur am Städtischen Mariegymnasium und gleich danach begann er in Berlin Veterinärmedizin zu studieren. In seiner Studentenzeit im preußischen Berlin kam er auch zu seinem ‚neuen’ Vornamen ‚Fritz’, der er auch bis zu seinem Lebensende bleiben wollte. Doch musste er das Studium vorzeitig abbrechen, denn sein Vater verstarb nach einem tragischen Unfall und Fritz musste den väterlichen Betrieb übernehmen, dass das so war, hinterfragte er nicht, denn er tat seine Pflicht. So übernahm er den Viehhandel und Schlachtbetrieb in Jever in der Schlosserstraße, Ecke Bismarckstraße; einer guten Gegend Jevers. Doch die Zeiten waren nicht dafür geeignet, sich als jüdischer junger Mann ein ‚normales’ Leben aufzubauen, denn die Vorboten braunen Gedankenguts waren bereits in den 20iger Jahren spürbar. Aber Fritz Levy ging norddeutsch und stoisch seinen Weg, antisemitische Anfeindungen nahm er nicht persönlich, er ging darüber hinweg und verrichtete sein Tagesgeschäft. Jedoch war es dann damit gänzlich vorbei, als den Nationalsozialisten 1933 die Macht übergeben wurde. Hatte sich die örtliche Jever Zeitung bereits als ‚Ableger’ des ‚Völkischen Beobachters’, der braunsten Zeitung ihrer Zeit, hervorgetan, so konnte sie sich nun in ihrer Agitation voll ausleben, was sie auch tat. Dabei war das jüdische Leben in Jever tief verwurzelt. Bereits 1497 wird das auftreten einer jüdischen Heilerin in Jever erwähnt, zeitweise war in Jever die größte jüdische Gemeinde im Oldenburger Land und es gab, neben vielen Missliebigkeiten, auch eine Zeit des blühenden Zusammenlebens der Mehrheitsgesellschaft mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde. Jedenfalls schien die Integration der Jever Juden lange vor dem Jahre 1933 als abgeschlossen, trotzdem nun sahen sie sich nun einer zunehmend feindlichen Umgebung ausgesetzt, aus den gleichen Nachbarn und Geschäftsleuten, die sie ‚gestern’ noch freundlich grüßten, wurde eine kalte, gesichtslose, abweisende Masse. Fritz Levy aber lässt sich nicht abschrecken, er besuchte sogar eine Propagandaversammlung der Jeverschen NSDAP. Als er von Saalordnern auf das Schild ‚Für Juden verboten!’ hingewiesen wurde, antwortete er: „Da steht doch für Juden … ich bin aber doch nur ein einzelner Jude!“ Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, in denen der ‚blonde und blauäugige Jude von Jever’ sich mit seinen starken Fäusten teilweise erfolgreich zur Wehr setzte. Am 16. Juni 1938 morgens kurz vor sieben Uhr wurde Levy von zwei Polizisten verhaftet. Sie brachten ihn nach Wilhelmshaven. Von hier aus ging es mit einem Sammeltransport in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg. Überraschenderweise wurde er jedoch nach einem halben Jahr wieder entlassen. Der Amtsrichter Anton Cropp in Jever hatte sich für ihn eingesetzt. Am 16. Dezember 1938 traf er wieder in seiner Heimatstadt ein. „Die Stadt, “ so Levy später, „hatte sich innerhalb eines halben Jahres total verändert.“ In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November war wie überall in Deutschland auch die Synagoge der 149 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde durch Brandanschlag der Nazis zerstört worden. Die Mehrzahl der jüdischen Mitbürger war entweder verschleppt worden oder hatte ins Ausland flüchten können. Die jüdischen Geschäfte wurden geschlossen. Nur noch vereinzelt traf Fritz auf vertraute Gesichter. Ihm war nun klar, dass er nicht bleiben konnte. Er wollte eigentlich nach Argentinien auswandern, doch dann wurde die Zeit zu knapp, um noch wählen zu können, er packte, nahm sein restliches Geld und bestieg das nächst beste Schiff im Hamburger Hafen; ein Frachtschiff, das ihn nach Shanghai brachte. In der Zeit als der Rassenwahn in Europa wütete war Shanghai, eine damals autonome Stadt, Zufluchtsort Tausender Juden, in der bereits vorher eine große jüdische Gemeinde, vornehmlich von geflohenen Russen gegründet, geflohen waren. Zuwanderungsbeschränkungen gab es hier nicht, eine Seltenheit in der damaligen Welt. Fritz Levy fand im ‚Europäischen Viertel’ Wohnung und Arbeit; hier liest er in den Zeitungen von den Massenvernichtungen der europäischen Juden, oft mir Bitternis, aber auch häufig, ebenso wie seine Nachbarn und Freund, mit Unglauben. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er später: „Aber so etwas konnte man einfach nicht glauben, wenn man so lange wie ich in Deutschland gelebt hat.“ 1949 reist er über Australien in die USA und will sich in San Francisco niederlassen. Bereits in Canberra hatte er über eine US-Amerikanische Organisation einen Antrag gestellt, um sein beschlagnahmtes Vermögen zurück zu erhalten. Obwohl er an sich vor hatte in den USA zu bleiben, so packte er 1951 seine Sachen, denn so schreibt er: „Das Heimweh ließ mich aber nicht zur Ruhe kommen.“ Über New York und Amsterdam kam er wieder nach Jever; hier erfuhr er, dass seine Mutter, seine Geschwister und alle seine Verwandten in Auschwitz ermordet wurden. Doch wenn man glaubt, dass Fritz Levy nun zur Ruhe kommen konnte, dann ist man einem großen Irrtum erlegen. Seine Ankunft stieß an allen Orten auf Ablehnung, auf starke Ablehnung, die sich auch wüst auslebte. Zuerst erkämpfte er sich sein Eigentum zurück, als er sein Haus wieder betrat, war dies in keinem guten Zustand. Erst hier in seiner ‚Heimat’ nach Verfolgung, Krieg und Exil ließen seine Kräfte nach, sein Garten Zaun wurde mit Hakenkreuzen beschmiert; doch wurden die Äußerungen seiner Mitbürger mehr als deutlich, manche sagten, übrigens ohne je belangt zu werden: „Fritz Levy hat man vergessen zu vergasen!“ Andere bezeichneten ihn als ‚Schandfleck von Jever’. Fritz Levy reagierte ganz unterschiedlich, mal mit Aggressionen, dann wieder erhob er Anklage, die versiegten alle; und immer wieder wurde er im Rathaus der Stadt vorstellig. Dazwischen reagierte er für lange Zeiten mit Depressionen, Zeiten in denen er sich gänzlich verbarrikadierte, das ging so weit, das er versuchte sich das Leben zu nehmen, doch blieb es beim Versuch, vorerst. Fritz Levy entwickelte sich zum Sonderling, ganz bestimmt kein verwunderlicher Prozess seiner selbst, wenn man auch nur einen kleinen Einblick in sein Leben wirft. Doch noch einen Lichtstrahl erreichte ihn im hohen Alter, gegenüber seines Hauses war ein Jugendhaus für die Jever Jugend und mit dieser kam er in guten Kontakt. Diese jungen Leute hörten ihm zu und er ihnen. Dieses gegenseitige Verständnis ging soweit, dass die jungen Menschen von Jever, Fritz Levy zum Kandidaten für den Stadtrat aufstellten. Zum Erschrecken der etablierten und so ‚angesehenen’ Bürger geschah das unfassbare, der nun 80jährige Fritz Levy wurde mit den Stimmen der vornehmlich jungen Wähler als ‚Parteiloser Einzelbewerber’ in den Beirat der Stadt Jever gewählt. Als Ältester dieses Gremiums hatte er die präsidiale Leitung der ersten Sitzung und schon hatte laut örtlicher Zeitung von Jever eine wörtlich gedruckte ‚Judenfrage’. So steht in der Zeitung: „In eigener Sache möchten wir unsere Leser heute bitten, zum Thema Judenfrage in Jever von Zuschriften abzusehen. Wir möchten – ob pro oder contra – auf die jüngsten Ereignisse nicht näher eingehen, um dem Ruf unserer Stadt nicht noch mehr zu schaden.“ So im Jeversches Wochenblatt im Juli 1981. Nun wurde auch die überregionale Presse aufmerksam, das Radio und sogar ausländische Medien, denn die ‚Judenfrage’ in Jever bestand aus just einer Person, nämlich aus Fritz Levy. Wochenblatt-Chefredakteur Blume in einem Rundfunkinterview: „In Jever kennt jeder Herrn Levy, und wir waren der Meinung, dass es auch gerade im Interesse von Herrn Levy sein sollte, wenn die Judenfrage in den Leserbriefen nicht mehr behandelt werden sollte.“ Herr Blum und seine Redaktion hat es mit den Interessen von Fritz Levy nicht immer so genau genommen: Nach einem nächtlichen Brand in Levys Wohnung präsentierte die Zeitung ihren Lesern ein großformatiges Photo des alten Mannes in Unterwäsche. Für eine hämische Bemerkung über Levy war sich das Blatt nie zu schade. „Barfuss vor dem Richter“ hatte das Wochenblatt im vorherigen Sommer eine dumm-vergnügte Gerichtsreportage überschrieben: Levy war wegen Beleidigung angeklagt, weil er Jeversche Bürger ‚Judenvernichter’ und ‚Nazischweine’ genannt hatte. Der medizinische Gutachter konstatierte bei Levy einen ‚paranoiden Einschlag und zeitweilige Verwirrungszustände’. Die Reaktionen einiger Mitbürger, die wörtlich bemerkten: „Fritz, dich haben sie vergessen zu vergasen“, hatten übrigens kein gerichtliches Nachspiel.

Doch Fritz Levy übernahm sein Amt und stellte meistens mehr als unangenehme Fragen, mundtot ließ er sich nicht machen, denn genau dafür war er ja gewählt worden. Doch sein Kämpferherz war mehr als gebrochen, da hatte er die Zeit des Nationalsozialismus überlebt, doch allem Anschein nach nur dem äußeren Schein nach. Fritz Levy, der letzte Jude von Jever verstarb am 25. Oktober 1982 durch eigene Hand, er war des Lebens, des Kämpfens, ja, des Überlebens müde.

Doch über seinen Tod hinaus konnten die Jever Bürger Fritz Levy in seinen Wünschen nicht folgen. In seinem Testament vermachte er sein Haus und weiteren Grundbesitz, sowie sein vermögen einer Sinto-Familie, die ihn die letzten Jahre versorgte und umsorgte. Die Behörden sorgten durch ‚formale’ Fehler dafür, dass in Jever keine Sinti sesshaft werden.  

Seine Biografie wurde nach seinem Tod Gegenstand von Veröffentlichungen, dazu kamen ein Romans und ein Film.

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