Wer die ersten Anzeichen einer akuten Social-Media-Sucht aufweist (Sätze sind nur noch 140 Zeichen lang / allen Substantiven wird ein # vorangestellt / skypen mit dem Mitbewohner quer durchs Wohnzimmer), sollte sich einmal wieder mit seinem StudiVZ-Account einloggen: Dort ist nämlich Entspannung pur angesagt. Garantiert keine Neuigkeiten, die zu langen Surf-Eskapaden verführen. Überhaupt keine Notwendigkeit, ständig die Timeline zu aktualisieren, um nichts zu verpassen. Keinerlei störende Impulse, die kommunikativen Aufwand provozieren. Einfach nur Stille…
Der Verfall der Nutzerzahlen ist dabei ungefähr so linear, wie die Zahl der verbleibenden Wochenenden in diesem Jahr. Anlass genug für Martin Vogel, das unglaubliche Geschehen mit Zahlen des IVW graphisch aufzubereiten und in den Berliner Headquarters der Holtzbrinck-Tochter neuerliche Schweißausbrüche hervorzurufen:
Nach aktuellen Zahlen (Dezember 2011) kamen die VZ-Netzwerke Ende letzten Jahres nur noch auf 77,35 Millionen Visits (bei 1,24 Milliarden Page Impressions). Das ist eine ganze Menge. Zumindest für eine örtliche Schlachterei oder eine Kleingärtnervereinigung! Für ein soziales Netzwerk dagegen, das sich in der Selbstbeschreibung immer noch stolz als „Marktführer“ mit „weiterhin großem Erfolg“ beschreibt und lange Zeit sogar als Facebook-Killer betrachtet hat, könnte die Ohrfeige nicht schallender sein.
Richtig deutlich wird der Verfall erst beim direkten Vergleich mit den Vorjahreszahlen, anschnallen bitte: Im Dezember 2010 könnten die Berliner Gruschelanten noch satte 347,49 Millionen Visits (bei 8,57 Milliarden Page Impressions) verzeichnen. Auch ohne Adam Ries erkennt jeder, dass der Sand in der Lebensuhr der VZ-Netzwerke fast vollständig durchgerieselt ist. A propos Lebensuhr: unter wannstirbtstudivz.com wird das ganze wunderbar anschaulich zusammengefasst. Danach bleiben Holtzbrinck noch ca. 7 Wochen, 4 Tage, 0 Stunden und 16 Minuten für den finalen Turnaround, am 15. März wäre dann Schluss. Für das digitale Ei des Kolumbus. Für die soziale Erleuchtung. Bislang sieht es danach aus, als würde das „VZ“ vor dem „Netzwerke“ auch langfristig für „Verlustzone“ stehen. Das klingt immer noch freundlicher als „100-Millionen-Euro-Grab„! read on
Die Botschaft ist klar: Die deutschen sozialen Netzwerke stehen mit Mistgabeln einer amerikanischen Übermacht mit Flugzeugträgern gegenüber. Der geordnete Rückzug in die Datenschutz- und Privatsphäre-Nische scheint nicht zu fruchten – der Wert eines Netzwerks bestimmt sich aus Nutzersicht eben weiterhin ausschließlich über die Aktivität und nicht die Datensicherheit. Aber merke: Erst wenn der letzte Gruschler verschickt ist und der letzte Profilbesucher geklickt hat, werden wir vielleicht merken, dass im blauen Land der Post-Privacy doch nicht nur Milch und Honig fließen…