Friedensverhandlungen: Schuld sind wieder die Palästinenser

Es ist immer wieder erstaunlich wie einfach es ist, der Öffentlichkeit zu vermitteln, die Verhinderung  direkter Friedensgespräche läge an den Palästinensern. Gescheiterte Verhandlungen wurden bisher immer ihrer Seite zugeschrieben. Das Spiel beginnt, bald wird der  altbekannte “Schuldige” wohl auch wieder feststehen. So schreibt zum Beispiel Spiegel-Online gestern:

Druck und Drohungen aus Washington: US-Präsident Obama fordert Palästinenser-Führer Abbas zu direkten Friedensverhandlungen mit Israel auf – andernfalls könnten sich die amerikanisch-palästinensischen Beziehungen verschlechtern.1

Nicht nur Obama2, sondern auch Merkel, Berlusconi und Cameron sind dabei, den Druck auf Abbas zu erhöhen.3 Natanjahu dagegen ist im Moment der lachende Sieger, weil niemand auf die Fußnoten zu achten scheint. In einer Erklärung am Freitag begrüßte er den Vorschlag der Arabischen Liga direkte Gespräche zu führen und verdeutlichte, dass nur noch wenig Zeit für die palästinensische Seite bliebe, das großzügige Angebot Israels endlich anzunehmen. Nicht umsonst titelte Haaretz: “Ein Sieg für Bibi”4 Heute bestätigte er, dass die Verhandlungen schon im August beginnen könnten.5 Rekapitulieren wir also nochmals dieses ganze Durcheinander:

  • Israel hat Fakten geschaffen: seit 1993 hat es seine Siedlerbevölkerung im Westjordanland inklusive Ostjerusalems verdreifacht.6
  • Die Siedlungen und deren Infrastruktur und Felder umfassen ca. 42% des Westjordanlandes7
  • Druck der EU und der USA veranlasste Israel Ende 2009 einen eingeschränkten Siedlungsbaustopp für 10 Monate zu verhängen. Der Baustopp sollte eine Vorbedingung der palästinensischen Seite sein, die seit dem “Krieg” in Gaza eingefrorenen Verhandlungen wieder aufzunehmen.8
  • Gehalten hat Israel sich nur eingeschränkt daran. Sofort nachdem er verhängt wurde, lockerte Netanjahu auch gleich wieder den Baustopp. Ost-Jerusalem, dessen Annexion international nicht anerkannt und die Hauptstadt des zukünftigen palästinensischen Staates sein wird, unterfiel von Beginn an nicht dem Baustopp.9 Palästinensische und israelische Quellen berichteten die ganze Zeit über, dass in vielen Siedlungen – nicht nur in Ostjerusalem – fleißig weiter gebaut wurde.10 Liebermann sagte auch ganz offen, dass der Siedlungsbau nach dem Ende des Baustopps auf jeden Fall weitergehen werde.11
  • Als der US-Gesandte Biden in Israel und in Palästina weilte, um die Friedensgespräche voranzubringen, sabotierte die israelische Regierung dieses Vorhaben, indem sie bekannt gab, dass ein weiterer Ausbau der Siedlung Beitar Ilit stattfinden würde.12 Noch während Netanjahu mit Obama im Gespräch war, wurde der Ausbau weiterer Siedlungen in Ostjerusalem und der Westbank bekannt.13
  • Auch dem sog. Nahostquartett war klar, dass Israel den selbst verhängten Baustopp nicht achtet und verlangte Ende März abermals, dass man den Ausbau von Siedlungen einstelle.14
  • Im Juli stellte Minister Limor Livnat (Likud) klar, dass Israel nach Ablauf der 10 Monate auf jeden Fall neue Siedlungen im Westjordanland bauen werde.15 Auch andere Minister wie z.B. Liebermann (Jisra’el Beitenu) sagten offen, dass der Siedlungsbau auf jeden Fall weitergehen werde.16

Abbas und die Arabische Liga sind also offen für direkte Friedensgespräche.17 So, wie sie es auch die letzten 8 Monate waren. Die Bedingung jedoch ist, dass Israel einen umfassenden Baustopp erklärt. Ist diese Forderung zu viel verlangt? Israel hat den größten Teil Ost-Jerusalems inzwischen “eingezäunt”, um Fakten zu schaffen, die Annexion nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich zu vollenden. Das Jordantal verbleibt aufgrund seiner “strategischen wichtigen Rolle” in der Hand Israels, die Siedlerbevölkerung wächst weiter, Israel sagt offen, dass es weitere Siedlungen plant. Und das alles vor dem Hintergrund, dass 40% der Fläche des Westjordanlandes faktisch schon von den Siedlern beansprucht wird. Man kann die Sorgen der Palästinenser verstehen, wenn sie auf einen umfassenden Siedlungsbaustopp bestehen, bevor sie in direkte Verhandlungen gehen. Zu oft sind sie von Israel und seinen Unterstützern betrogen und belogen worden. Der klägliche Rest, der den Palästinensern noch geblieben ist, droht zu einem kleinlichen Flickenteppich zu verkommen. Es wird bald nichts mehr vorhanden sein, um das verhandelt werden kann. Genau darum ist die Forderung nach einem umfassenden und unbefristeten Baustopp die einzig richtige Antwort der PLO auf das rücksichtslose Verhalten Israels.

Friedensverhandlungen: Schuld sind wieder die Palästinenser „Bald haben wir den ganzen Apfel aufgefressen“ – tragische Selbstironie: das Israel-Museum in Jerusalem (Foto: Jüdische Allgemeine)

Währenddessen tut die Welt wieder so, als würde es an Abbas liegen, der sich entgegen der  Bereitschaft der Arabischen Liga und Israels direkter Friedensverhandlungen verweigere.18 Die Jüdische berichtet, dass Netanjahu zu direkten Verhandlungen bereit sei.19. Was sie natürlich nicht schreibt: Netanjahu sagte am Mittwoch noch offen, dass es zu keinem weiteren Baustopp kommen werde, da sonst seine Regierung kollabieren könne.20 Dies wissen auch Obama, Merkel und Co. Genau darum erhöhen sie nun den Druck auf die palästinensische Seite. Am Ende wird es wie nach den Verhandlungen von Taba heißen, dass die Angebote eines friedenssuchenden Israels von den Palästinensern ausgeschlagen wurde.21 Erste Anzeichen dafür lassen sich nun ja zunehmend der Presse entnehmen. Die Jüdische übersetzte einen Artikel aus der Haaretz, dessen Überschrift genau in diese Richtung stößt: “Werden sie diese Gelegenheit auch versäumen?”22 Realitätsverlust höchsten Grades.

  1. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,… [↩]
  2. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-de… [↩]
  3. http://www.haaretz.com/print-edition/new… [↩]
  4. http://www.haaretz.com/print-edition/opi… [↩]
  5. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-de… [↩]
  6. http://en.wikipedia.org/wiki/Population_… [↩]
  7. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,… [↩]
  8. http://www.news.de/politik/855035932/sie… [↩]
  9. http://www.news.de/politik/855035932/sie… [↩]
  10. http://palaestina-israel.blog.de/2010/02… [↩]
  11. http://www.tagesschau.de/ausland/lieberm… [↩]
  12. http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-… [↩]
  13. http://www.taz.de/1/politik/nahost/artik… [↩]
  14. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,… [↩]
  15. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,… [↩]
  16. http://www.haaretz.com/news/diplomacy-de… [↩]
  17. http://schmok.blogsport.eu/2010/07/29/ar… [↩]
  18. http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,… [↩]
  19. http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cg… [↩]
  20. http://schmok.blogsport.eu/2010/07/29/ne… [↩]
  21. Peace Now dokumentierte sehr anschaulich, wie denn dieses Angebot damals aussah: http://www.gush-shalom.org/media/barak_e… [↩]
  22. http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cg… [↩]

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