Friedensdekade 2011: Eine Friedensandacht, die wohl leider nicht gehalten wird….

Erstellt am 9. November 2011 von Stscherer

Es steht beim Propheten Micha 4,3:

„Und richten wird er zwischen vielen Völkern und über mächtige Nationen Recht sprechen, und sie werden ihre Schwerter umschmieden zu Pflugscharen und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht mehr wird ein Volk gegen das andere das Schwert erheben, und nicht mehr werden sie das Kriegshandwerk lernen.“

„Schwerter zu Pflugscharen“: Das Motto auch der diesjährigen ökumenischen Friedensdekade, die seit über 30 Jahren stattfindet – allerdings bei uns in Elze dieses Jahr ohne die katholische Gemeinde, was sicherlich einen kleinen Blick auf die Veränderungen der Ökumene durch den wenig sinnstiftenden Besuch des katholischen Chefs in Deutschland wirft.

Na klar, auch ich habe früher häufig ein wenig spöttisch geschaut auf die Friedensbewegten, die sich mit Fahnen, Transparenten und Fackeln vor den Gotteshäusern versammeln, schweigend der Menschen gedenken, die von Krieg betroffen sind und für den Frieden beten. Aber jetzt bin ich nicht mehr nur Sohn eines Vaters, sondern auch Vater eines Sohnes, ich bin älter geworden, und Leben, Gesundheit und eben Frieden werden für mich immer kostbarere Güter.

Dieses Jahr  erinnerte mich zu Beginn der Friedensdekade eine Mail an meine Artikel über Stuttgart 21 aus dem letzten Jahr – und damit an den Krieg hier vor Ort in Deutschland, einen der täglichen Kriege, die wir eigentlich lieber nicht als solche wahrnehmen wollen. Aber damit nicht genug, gerade wurde mir durch viel Absagen zu privaten Feiern wieder bewusst, dass die fast schon traditionellen Herbstschlachten um die Castro-Transporte in Niedersachsen anstehen – und viele meiner Freunde von den Blue Knights XX an dieser äusserst schlechten Traditionsveranstaltung teilnehmen müssen.

Ja, und da waren dann noch die Friedensandachten in der diesjährigen Dekade, die eigentlich von der katholischen Kirche gehalten werden sollten – und die nun wir aus von „protestantischen Religionsgemeinschaft“ (wie der alte Mann aus Rom uns jüngst zu nennen pflegte) organisieren. Es fehlte nur noch eine kleine Verbindung, und die schuf das alljährlich wechselnde, aktuelle Motto der Friedensdekade 2011: „Gier Macht Krieg!“

Also habe ich mich – reichlich unüberlegt, wie sich noch zeigen wird – hingesetzt und eine Andacht für den nächsten Montag vorbereitet: Aber, wie leider so oft, manche spontane Idee bleibt in den Zwängen des Alltags hängen: als der Text der Andacht fertig war, da folgte ein Blick in den Terminkalender, und der wiederum diktierte Kirchenkreistagssitzung statt Andacht… traurig stellte ich fest, dass meine Vorbereitungen eigentlich umsonst wären.

Aber vielleicht kann man ja aus der (zeitlichen) Not auch eine Tugend machen, denke ich mir jetzt; und deswegen stelle ich meinen vorbereiteten Text hier ein, damit ihn jeder lesen kann – und vielleicht ein bisschen nachdenkt über die Kriege im eigenen Land, über die Gier, die diese Kriege macht;  dafür muss man übrigens nicht zitternd und bibbernd vor einer Kirche stehen und sich an einer Fackel wärmen, das ist versprochen, man muss sich nicht outen als Friedensbewegter, niemand fährt mit einem spöttischen Grinsen im warmen Auto an einem kalten Novemberabend an einem vorbei – aber man bekommt auch keinen heissen Tee und kein gutes Gespräch hinterher, das finden Sie (nicht nur) derzeit jeden Abend in ganz vielen Kirchen in Deutschland; und ein letzter kleiner Vorschlag: wer mag, der scrollt vor dem Lesen ein bisschen nach unten und startet zuerst die Musik – People get ready:

„Guten Abend, liebe Schwestern und Brüder,

diese Andacht feiern wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn – der Himmel und Erde gemacht hat.

Die Losung für den 14.11.2011 steht in der Apostelgeschichte 14,17:

„Gott hat sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat viel Gutes getan und euch Himmel, Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt.“

Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die mir dazu eingefallen ist. Doch beginnen möchte ich mit einer Frage:

Kennen Sie den Juchtenkäfer? Nein? Da geht es Ihnen wahrscheinlich wie vielen Menschen. Der Juchtenkäfer ist ganz klein, so etwa 3cm, er lebt unauffällig in Baumhöhlen von Laubbäumen – wenn man ihn denn lässt, denn sein Pech ist es, dass es ihm garnicht so sehr auf den Baum ankommt, sondern auf den Mulch, der sich in den Baumhöhlen gebildet hat: und vermulchte Baumhöhlen findet man nun einmal meistens nur in alten, in sehr alten Bäumen.

Aber wir Menschen sind nicht gut zu alten Bäumen, denn wir brauchen Holz zum Brennen und Bauen und viele andere Dinge, die wir für wichtig halten, wir brauchen auch den Platz der Bäume für neue Gebäude, und deswegen verschwinden immer mehr alte Bäume – und mit ihnen der Juchtenkäfer. Und so ist der kleine Kerl inzwischen auf der Liste der stark gefährdeten Tierarten gelandet, seine letzten Lebensräume hier in Deutschland stehen unter besonderem Schutz.

Ein solches Schutzgebiet befindet sich in einer grossen deutschen Stadt, nämlich im Talkessel von Stuttgart, und sogar mitten drin in dieser Stadt. Dort stehen uralte Platanen, die 1.000mal mehr Sauerstoff produzieren als junge Bäume und damit für die immer wieder mit Smog und Wärme kämpfende Metropole eigentlich unglaublich wichtig sind – und die auch alt genug sind, um dem Juchtenkäfer eine Heimat zu geben.

Doch der Stuttgarter Juchtenkäfer hat Pech: seine Bäume sind im Weg, und zwar einem Bauprojekt von angeblich nationaler Bedeutung: Stuttgart 21, der Bahnhof unter der Erde, der nach 20 Jahren Bauzeit die Fahrtstrecke von Stuttgart nach Ulm um 20 Minuten verkürzen soll. 20 Minuten, in unserer schnellebigen Zeit für viele eine Ewigkeit – und doch nur ein paar Minuten mehr als unser kurzens Schweigen für den Frieden vor der Kirche anlässlich der Friedensdekade.

Doch 20 Minuten sind 20 Minuten, und dafür müssen sie nun weg, die Platanen und der Juchtenkäfer – was noch den sehr netten Zusatznutzen für die Bodeneigentümer hat, dass man in bester Innenstadtlage viele neue und teure Grundstücke bebauen und mit diesen einen riesigen Gewinn machen kann – aber darüber redet natürlich niemand gerne, lieber redet man von dem ungeheuren Nutzen, den so ein moderner Bahnhof und eine so moderne Fernnetzanbindung hat: Sie erinnern sich, die 20 Minuten mehr, um die Welt zu retten (oder vielleicht doch nur, um die Mails zu checken?).

Nun hat der Juchtenkäfer allerdings Freunde, und diese Freunde sind sogar eigentlich im Recht, denn das Zerstören des Lebensraumes des Juchtenkäfers ist verboten, und so versuchen diese Freunde – viele sind es inzwischen geworden, auch wenn die meisten wohl eher das Riesenprojekt selbst verhindern als dem Käfer helfen wollen – diese Freunde jedenfalls versuchen das Fällen der Bäume zu verhindern.

Doch die Abholzer haben starke Partner in der Politik, und so kommt es, wie es nicht kommen sollte: es gibt Krieg, nicht in Afghanistan, nicht im Irak, in Nordafrika oder im Kosowo, nein, hier, mitten in Deutschland: Polizisten vertreiben Demonstranten, Demonstranten werfen Steine, Polizisten prügeln mit Schlagstöcken und schiessen mit Wasserwerfern – am Ende sind viele Menschen verletzt, einer verliert sogar sein Augenlicht – und die Bäume sind gefällt, der Juchtenkäfer ist tot.

Aber wofür? Für ein bisschen Zeitgewinn, für den angeblich so erstrebenswerten Fortschritt, für den Profit einiger Weniger? Ich finde, dass ist es nicht wert – aber, wenn man näher hinschaut, dann sind es immer Motive, die es nicht wert sind, einen Krieg zu verursachen…

Sehen wir uns noch einmal die Losung für den 14.11.2011 an:

Gott … hat viel Gutes getan und euch Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, hat euch ernährt und eure Herzen mit Freude erfüllt.

Müssen wir Menschen da wirklich unser Gottvertrauen aufgeben und jedes Großprojekt durchknüppeln, nur weil einige wenige nicht mit dem zufrieden sein können, was sie von Gott erhalten haben, sondern ihren Reichtum und Gewinn (und sei es nur ein eigentlich lächerlicher Zeitgewinn) noch mehren müssen? Gibt es nicht genug Platz für Alle, für Reiche, für Arme, für Menschen, Tiere, Bäume, für Platanen und Juchtenkäfer?

In Gottes Plan ist es sicherlich egal, ob Menschen aus Stuttgart 20 Minuten früher in Ulm sind oder ein paar Grundstücksspekulanten mehr Vermögen anhäufen, als sie in ihrer – gottgegebenen – Lebensspanne jemals werden verbrauchen können, aber Gott wird sich etwas dabei gedacht haben, als er so viele verschiedene Pflanzen und Tiere auf dieser Erde schuf. Und wir Menschen sollten in Ruhe und Frieden abwägen, wie wir mit dem umgehen, was uns Gott gegeben hat. Frieden halten, auch im Streit: ein guter Rat des Herrn…

Ja, ich weiss, meine Geschichte ereignete sich schon vor einem Jahr, viel ist seitdem um diesen Bahnhof geredet und zerredet worden, und immer noch ist Stuttgart von uns aus in Elze weit entfernt (eigentlich so weit wie Afghanistan, Tunesien, Marokko, Lybien, wenn man es genau betrachtet), doch ich finde, die Geschichte ist brandaktuell, und nicht nur in Stuttgart, wo die Demonstrationen bald wieder beginnen werden; auch wir erleben hier in Niedersachsen regelmässig, wie Menschen nicht mehr über den richtigen Weg miteinander diskutieren, sondern ihre Entscheidungen gegeneinander durchknüppeln – auch durch Elze rollen demnächst wieder die Castoren, auch aus Elze werden diesen Herbst wieder Polizisten und Demonstranten aufbrechen, um sich unversöhnlich und im gewalttätigen Streit in Gorleben zu begegnen.

Beten wir, dass dieser Herbst friedlicher ist als der des Jahres 2010, nicht nur in Deutschland, aber eben auch hier. Und bedenken wir, dass es Gott ist, der den richtigen Weg weist, nicht wir Menschen. Rod Stewart, der bekannte Rocksänger, hat dieses Vertrauen auf den Weg Gottes in einem Lied wunderbar besungen; frei übersetzt singt er dort:

Menschen seid bereit
Es gibt einen Zug der zu Euch kommt
Ihr braucht kein Gepäck
Ihr müssen nur einsteigen
Alles was ihr braucht ist der Glaube
Um zu hören, wie sein Motor klingt
Ihr braucht keine Fahrkarte
Ihr müsst nur dem Herrn danken

Menschen seid bereit
für diesen Zug in das heilige Land
Überall nimmt er Passagiere auf
auf seiner Reise von Küste zu Küste
Der Glaube ist der Schlüssel
Er öffnet allen die Türen, er versorgt sie alle
In diesem Zug ist Platz für alle
Platz bei dem, der am meisten liebt

Muss ich es erwähnen? Einen Bahnhof bracht dieser Zug Gottes nicht – und schon gar keinen unterirdischen…

Lasst uns beten:

Gott, du Quelle des Lebens,
du lässt uns träumen von einer neuen Welt.
Dort wird das Wasser des Lebens fließen,
dort werden Bäume grüne Blätter tragen
und Völker werden Heilung finden.
Auf dieses Bild der Hoffnung verlassen wir uns.
Du gibst uns den Mut,
schon jetzt aus dir,
der Quelle des Lebens, Kraft zu schöpfen,
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Gott, Du Schöpfer der Natur und der Menschheit,
der Wahrheit und der Schönheit, zu dir bete ich:
Höre meine Stimme
und die Stimme der Opfer aller Kriege
und aller Gewalt unter Menschen und Völkern.
Höre meine Stimme
und die Stimme aller Kinder,
die leiden und weiter leiden werden,
solange Menschen ihr Vertrauen auf Waffen und Kriege setzen.
Höre meine Stimme, wenn ich dich bitte,
die Herzen aller Menschen zu erfüllen
mit der Weisheit des Friedens, der Kraft der Gerechtigkeit
und der Freude der Gemeinschaft.
O Gott, höre meine Stimme,
und schenke der Welt deinen ewigen Frieden.

Und mit den Worten, die uns Jesus Christus gelehrt hat, beten wir:

Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.