Fremde Federn: Fortschritt ist der Teufel

Erstellt am 17. März 2011 von Ppq @ppqblog

Alles ist fertig, geregelt, verkabelt und genormt, niemand muss mehr frieren, keiner mehr hungern. der Strom kommt aus der Wand, das Wasser aus dem Hahn, wer sich bewegen will, hat die Wahl zwischen Turnschuh, Fahrrad, Auto, Zug und Flieger. selbst die Angst, die früher in den Menschen hochstieg, wenn das Gerüchte von Missernten, Naturkatastrophen oder Kriegen die Runde machte, wird inzwischen frei Haus geliefert: Die GEZ-Gebühr ist ein Abomodell für Fracksausen, den Rest macht einer der zehntausend Live-Ticker im Netz, die im "Stream" (dpa) zur Umkehr mahnen.
Aber stehen wir nicht auf den Schultern von Riesen? Verdanken wir nicht selbst die Gemütlichkeit, in der wir dem Weltuntergang an deren anderem Ende zuschauen können, Frauen und Männern, die ihre Angst überwunden haben? Um Neues auszuprobieren? Könnte heute noch jemand das Feuer zähmen? Es gar selbst entfachen?", fragt Calimero in seinem stets lesenwerten Blog, und gibt sich gleich selbst die Antwort: "Viel zu riskant!" Eisenbahnen, Autos, Ozeanüberquerungen, gar Flugzeuge und Raketen?, heißt es weiter "Gar nicht zu verantworten!"
Die Sache ist klar: Hätten Menschen wie wir, Menschen der Art Homo Metus, die Erde in den letzten 5000 Jahren regiert, gäbe es kaum etwas von dem, das uns heute am Leben hält. Außer vielleicht den Hundestrand. "Zur Elektrizität wäre es gar nicht gekommen", glaubt Calimero, "Gefährliches Hexenwerk, unsichtbares, riskantes Teufelszeug!" Röntgen gäbe es genausowenig wie schmerzfreie Operationen, die "Schulmedizin" wäre am Wiederstand derer gescheitert, die es für unerträglich halten, einen Menschen aufzuschneiden, um zu Schauen, wie er innerlich funktioniert. "Alles ist von Übel, was menschengemacht ist", schreibt Calimero, "Alles ist wider die Natur, mit der wir doch im Einklang stehen wollen".
"Der technisch-industrielle Komplex ist widernatürlich und wird früher oder später von diesem Planeten verschwinden. Und natürlich auch alle die, die ohne diesen Komplex unfähig sind zu überleben", schreibt "Der Prophet" im Gelben Forum. Ein bisschen Frohlocken ist dabei, denn "wer sich umgeben von Stahlbeton und allerhand zivilisatorischem Krempel in 150 Meter Höhe bei einem Erdbeben der Stärke 9 aufhält, hat natürlich schlechtere Karten als die Menschen, deren ganzer Besitzzum ein Lendenschurz und Bambusspeer umfasst".
Dass die Ursache nahezu sämtlicher Toter in Japan ein Tsunami war, der Menschen traf, die eben nicht in Häusern aus Beton, sondern in gartenlaubenähnlichen Hüttchen aus Schnellbauholz leben, spielt keine Rolle. Ebensowenig, dass der Grund dafür, dass nicht 250.000 Menschen wie seinerzeit in Südostasien gestorben sind, im hochtechnisierten Vorwarnsystem der Japaner zu finden ist.
Zivilisation ist böse, Entwicklung schlimm, Fortschritt der Teufel, so klappert es in die Tastaturen, die ohne Zivilisation, technische Entwicklung und Fortschritt nicht da wären. In einem bemerkenswerten Akt der Verdrängung gelingt es Menschen, das Primitive zu idealisieren, den frühen Tod, das schwere Leben, Krankheiten, ein Leben in wirklicher Angst, ein Leben am Rande der Existenzbedrohung. Wäre es doch wieder so, klingt es vielstimmig aus dem Netz, könnten wir doch wieder dorthin zurück, wo wir nichts hätten, das uns eine "zornige Natur" kaputtmachen könnte.
"Die Zwerge aus dem dunklen Reich wollen die Welt ohne Risiko, ohne menschlichen Einfluss, ein Schlaraffenland, in dem alles kostenlos zu haben ist", hat Calimero beobachtet. "Sie wollen keine Weiterentwicklung, denn sie haben schon Angst vor dem Erreichten. Das Rad der Geschichte zurückdrehen, die Retardierung, die Rückbesinnung ... bis dermaleinst das Paradies winken möge."
Es wird nicht kommen und wenn doch, wird es das Grauen sein: Würden die Menschen in Japan heute noch in einfachen Bambushütten leben, hätte ihnen der Tsunami das Saatgut weggespült. Viele von ihnen wären tot, sie wüssten es nur noch nicht.