Plötzlich sind alle schuld. Eine gespenstische Diskussion um "geistige Brandstifter" robbt durchs Land, die für die Taten eines Mörders alle in Haftung nimmt, deren Bücher und Kolumnen, deren Blogs und Tweets der Irre von Olso gelesen hat.
Das Weltbild dahinter ist ein aus der DDR und den III. Reich bekanntes: Kein Mensch, glauben seine Verfechter, könne für sich allein Gedanken hegen, für Ideen glühen, für Ideale sterben oder zum Massenmörder werden. Er brauche immer jemanden, der vor ihm turnt, der hinter ihm steht, der ihm sagt, wo es langgeht.
Es ist die Ideenwelt der alten DDR, die da hervorschimmert. Individuen? Ideen? Eigenmacht? Nein, so heißt es. Nichts, was nicht niedergeschrieben oder wenigstens gesungen wurde, kann Menschen motivieren, Dinge zu tun oder zu lassen. Erich Honecker etwa glaubte, das Hören von Wolf Biermann-Liedern mache aus seinen Untertanen Aufwiegler und Anstifter. Dieter Wiefelspütz, Hans-Peter Uhl und Andrea Nahles nun sind sicher, dass das Anschauen von Youtube-Videos von Rechtsrock-Bands auch Deutschland über kurz oder lang seinen Anders Breivik bescheren wird.
Deshalb müsse, argumentieren die Anhänger der These, dass Menschen von "geistigen Brandstiftern" auf verhängnisvolle Pfade geführt werden, das Denken und erst recht das Aussprechen von Gedanken verboten werden, die gehalten sein könnten, falsch zu sein oder auch nur falsch verstanden zu werden. Es gelte, die breite Masse der Menschen zurückzuversetzen in einen Zustand der intellektuellen Unmündigkeit, in dem es ihnen erspart bleibt, sich mit Ideen oder Weltbildern auseinanderzusetzen, die nicht deckungsgleich sind mit dem Weltbild der derzeit führenden Politiker, Zeitungskolumnisten und Fernsehansager.
Doch die Frage darf nie sein, was jemand denkt. Wichtig ist nur, was er tut, argumentieren die Bissigen Liberalen, die sich für ihren Leitspruch "Ohne Gnade" noch nirgendwo entschuldigt haben. "Es war vorauszusehen, dass diverse politische Richtungen jetzt versuchen, aus den Morden in Norwegen Kapital zu schlagen", heißt es in einem erstaunlich klarsichtigen Beitrag.
Geradezu begierig werde von einigen die Gelegenheit genutzt, jedwede Kritik an den Ergebnissen bisheriger Integration von Zuwanderern endgültig zum Ausdruck gefährlichen rechtsextremen Gedankenguts zu erklären. So schreibe die "Zeit", PPQ-Lesern seit Jahren als Zentralorgan der herbeigewünschten Wirklichkeit bekannt, "Das vorläufige Fazit der [rechtspopulistischen] Szene hierzulande fällt zwiespältig aus: Die Ideologie des Mörders ist richtig, nur die Wahl der Mittel war falsch."
Den Grundirrtum, den die bissigen Liberalen als den bezeichnen, auf den es ankomme, weil "genau dieser Unterschied die Grenze" markiere, erklärt sich aus dem Unterschied zweier Weltsichten. Hier der - seltsamerweise zumeist von Linken (Abbildung oben: Screenshot KPD-Homepage) vertretene Glaube, dass jeder Mensch einen Führer, einen Anführer, einen Ideengeber und Leithammel brauche. Dort die eher rechts zu findende Überzeugung, dass jeder Mensch sein eigener Anführer und Leitwolf sein kann - so, wie das Lenin, Mao, Che und alle anderen auch waren.
Das aber diskutiert niemand. denn zu etwas wird die Sache mit den Morden schon gut sein: "Wie schon zu RAF-Zeiten oder auch bei den islamistischen Attentätern wird auch diesmal wieder versucht, eine Tat als Anlass zu nehmen, um über Meinungen und Ideen zu urteilen", schreibt der Autor bei BL. Entscheidend aber sei in der politischen Auseinandersetzung, mit welchen Mitteln sie geführt werde. "So gerne manch Politiker das, was für ihn "krude Gedanken" sind, aus der Diskussion ausschließen möchte: Nicht die politischen Meinungen für sich sind gefährlich, sondern das Recht, das sich Einzelne oder auch Gruppen zu ihrer Durchsetzung anmaßen." Alle Ideen, die fanatisch verfolgt werden können, trügen Gewaltpotenzial in sich, auch diejenigen, die mehrheitlich als gut und richtig bewertet werden. "Nicht der Hintergrund macht die Tat von Utoya zu der Monströsität, die sie ist, sondern das komplett skrupellose Vorgehen des Täters."
Es ist eine Devise, die einem Liberalen vertraut sein sollte: Es kommt nicht darauf an, Idealvorstellungen in gut oder böse zu unterscheiden, sondern es gilt zu verhindern, dass zu ihrer Durchsetzung inakzeptable Mittel eingesetzt werden. So ist nicht der Gedanke zu ächten, sondern die Gewalt.