Wer stellt denn fest, was der "Konsens" ist? Es sind immer kleine Zirkel und Einzelpersonen, die sich die Deutungshoheit über die angeblichen Mehrheiten anmaßen. Eine Handvoll Parteileute, ein paar Popstars und Schauspieler, einige "Aktivisten" und Verbandssprecher besetzen die Mikrofone - und werden ganz vorne in die Nachrichten gehievt. Die eine oder andere Umfrage passt ins Bild, und schon ist eine Mehrheit fabriziert. Es ist diese Resonanzschleife, die das Konsens-Gespinst erst mächtig macht - mehrere Seiten spielen sich ja den Ball zu. Dazu kommt eine Art moralischer Anfangsvorschuss, den die Protestbewegten in unserem Land genießen. Auch wenn ihr Anliegen fragwürdig ist, so wird ihnen doch ein besonderes Engagement zugebilligt. Sie gelten als die Bemühten, als die Aufrechten, als die Besser-Bürger.
Für lautstarke Minderheiten wird der rote Schlichtungsteppich ausgerollt, die meist schweigende Mehrheit spielt überhaupt keine Rolle. Und wenn sie, wie jetzt in Stuttgart, mal über ihren eigenen Schatten springt und große Pro-Demonstrationen organisiert, dann werden diese Menschen offensichtlich als Demonstranten zweiter Klasse aufgefasst. Egal, ob es um Stuttgart 21, die Gentechnik, die Atomenergie geht, es gilt für alle Zukunftsprojekte: Nur wer lautstark dagegen ist, gilt als kritischer und unabhängiger Geist – und somit als satisfaktionsfähig. Für eine Sache zu sein ist in diesem Weltbild den Duckmäusern und Jasagern vorbehalten oder gar gekauften Vasallen des Großkapitals.