Die öffentlich zur Schau getragene moralische Entrüstung und Verurteilung wurde so zum zentralen Instrument der Gesellschaftspolitik erhoben. Sachliche Auseinandersetzungen werden dadurch immer schwieriger, da alle relevanten Fragen auf eine moralische Ebene gezogen und ein Problem auf die Frage der – apodiktisch gesetzten und selbst nicht mehr hinterfragbaren – Moral reduziert wird. In einem solchen Diskurs sind Tatsachenbehauptungen nicht richtig oder falsch, sondern gut oder böse. Sie können daher auch nicht mit Argumenten begründet oder widerlegt, sondern nur nach der Vereinbarkeit mit der gesellschaftspolitischen Agenda überprüft und bewertet werden. Nicht Wahrheit, sondern Wünschbarkeit wird zum zentralen Kriterium.
(Gérard Bökenkamp in "eigentümlich frei")