Das ist aber ein lieber Junge, der da auf die Bühne des ehemaligen Salzburger Stadtkinos schlurft! Sehr höflich, stets sehr freundlich lächelnd, immer ein (gutes?) Buch zur Hand. Der wortlosen Eiseskälte in der Familie seiner Freundin setzt er seine eigene Coolness entgegen. "Der Name" heißt das Stück von dem Norweger Jon Fosse, das am 6. August 2000 als Ko-Produktion der Salzburger Festspiele mit der Berliner „Schaubühne am Lehniner Platz“ unter der Regie von Thomas Ostermeier in deutscher Übersetzung uraufgeführt wurde.
Schuberts "Winterreise“ habe er sich während der Rollenarbeit immer wieder angehört, sagt der junge Schauspieler Jens Harzer. „Warum lächelt der junge Mann? Selbstschutz, Scheu, Angst…womöglich auch eine Verachtung der Familie gegenüber, die er in Höflichkeit bündelt. Das Fremdsein drückt sich im Körper anders aus als im Gesicht, der Körper will weg, und man sitzt doch in der Gegend herum. Im Laufe des Stücks verändert sich die Figur aber, sein Gesicht wird immer verschlossener. Als einziger zieht er die Konsequenz, er verlässt das Haus als Fremder.“
Abgründe der Seele: immerhin ist die Freundin schwanger, der junge Mann entzieht sich der Verantwortung, ist ebenso wenig wie die Familienmitglieder in der Lage, sich zu artikulieren. Das Herz : die Mördergrube lauter toter Gefühle. Wie Harzer das spielt, lauert der Schrecken der Wortlosigkeit, der Sprachverweigerung in allen Ecken……
Das ist aber ein lieber Junge, der da neben einem im Salzburger Cafe „Tomaselli“ sitzt, ein bisschen schlaksig, mit unendlich traurigen braunen Augen und einem schmalen, blassen ernsten Gesicht. So einer weckt sämtliche Mutter- und Vatergefühle, die in der Umgebung abrufbar sind.
So muss es auch Jörg Hube ergangen sein, als er Jens Harzer bei der Aufnahmeprüfung für die Münchner Falckenberg-Schule „durchboxte“. Davor war Harzer bereits von der Folkwangschule in Essen abgelehnt worden. Heute hat er sogar Verständnis dafür: „Das sind doch immer ganz subjektive Wahrnehmungen der Prüfer, wenn man da als 18jähriger anrückt und etwas vorspielt. Ich würde da niemandem einen Vorwurf machen. Man kommt aus einem kindlichen Nichts, und da gucken Leute zu, die müssen dann sagen, ob das gut oder spannend ist. Das gehört wohl dazu, dass Leute, die etwas können, zuerst abgelehnt werden, oder erst später, oder auch nie entdeckt werden, oder manche sofort, die vielleicht nach drei Jahren Schule völlig geheimnisvoll sind. Als ich von Essen nach Hause gefahren bin, habe ich so etwas wie Scham empfunden: die Scheu wächst durch Ablehnung.“
Wird man da nicht zum großen Philosophen, wenn man am eigenen Leib erfährt, dass ein einziger Mensch, in diesem Fall Jörg Hube, die Weichen für die Zukunft stellen kann?
Harzer: „Das hat sich mir von Anfang an dargestellt, wie sehr dieser Beruf vom Glück abhängig ist. Nach bestandener Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule gibt es ein halbes Probejahr, dann findet wieder eine Prüfung statt, die über die Möglichkeit des Weiterstudiums entscheidet. Drei Wochen vor dieser Prüfung sagte ein Lehrer zu mir, dass ich ein sehr schmales Talent hätte. Ich habe gelacht und frech gesagt: ,Aber wenigstens Talent, oder ?' Gleich nach der Prüfung machte Christian Stückl seine zweite Inszenierung an den Münchner Kammerspielen: ,Viel Lärm um Nichts' und holte mich für eine kleine Rolle.“
Mittlerweile zählt Harzer zu den jungen Stars der „Kammerspiele“, hat mit Regiestars wie Dieter Dorn, Herber Achternbusch, Peter Zadek oder jetzt, in Salzburg , mit Thomas Ostermeier gearbeitet. Er hat den Urfaust und den Tasso gespielt.
Welche Eigenschaften sollte ein Regisseur haben, dem sich Harzer gerne anvertraut? „Ganz utopisch formuliert, ist es der Zauber, der von einer Arbeit ausgeht, von der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Stück, die womöglich dann zur Verführung wird, in welcher Handschrift auch immer. Voraussetzung ist der gemeinsame Traum von einer Arbeit. Man folgt ja auch gerne Gedanken, die man selber noch nicht gehabt hat.“
Obwohl die „Kammerspiele“ die künstlerische Heimat von Harzer war, hat er auch neugierig - und mit von Kritik und Festspiel-Publikum hochgewürdigtem und respektiertem Ergebnis - als Gast mit den „Schaubühnen“- Leuten zusammengearbeitet. Braucht Harzer das familiäre Umfeld eines gewachsenen Ensembles für die künstlerische Arbeit? „Ich habe das bisher jedenfalls geglaubt. Hier in Salzburg war ich sozusagen zum ersten Mal in der Fremde. Es war nicht einfach. Gerade, wenn man wie ich literarisches Theater machen möchte, das Stück und den Dichter ernst nimmt, wenn man an die Macht des Wortes und die Macht der Literatur glaubt, dann wächst der Wunsch, dem Stück und der Welt seines Dichters etwas abzutrotzen, ihr nahezukommen, einen eigenen Keil reinzuschlagen oder sich vollkommen verwandeln zu lassen. Das bedeutet nicht, das ich grundsätzlich etwas ausschließe, etwa die Fragmentierung von Stücken. Aber nehmen wir zum Beispiel Kleist: den braucht man doch nicht zu zertrümmern, der zeigt uns doch die Verhackstückung unserer Seelen. Je tiefer man in ein Material hineinschaut, desto mehr zeigt es seine Kehrseiten, die verschlossenen Seiten, desto mehr zeigt es auch, wie fremd es bleibt: das sollte man auch zum Thema seiner Vorstellung machen.“
Irgendwann hat der junge Schauspieler in einem Interview den Vorsatz formuliert, im Privatleben das Dramatische möglichst ausschließen zu wollen. Ist das bisher gelungen? „Das hab ich zu einer Zeit gesagt, wo ich in München sieben Rollen auf einmal spielte. Ich wollte damit ausdrücken, dass ich zwar nicht konfliktscheu bin, aber im Privaten, zum Beispiel mit meiner Freundin, auf dramatische Spannung verzichten kann. Jetzt, drei Jahre nach diesem Satz, würde ich das nicht mehr so formulieren! Es ist dann doch zu viel passiert.“
Anmerkung:
Das Gespräch fand im August 2000 statt. Seit 2009 ist Harzer festes Mitglied des Ensembles am Thalia Theater in Hamburg. 2011 wurde Harzer für seine Darstellung des Marquis Posa in der Hamburger Inszenierung von Don Karlos erneut als „Schauspieler des Jahres“ ausgezeichnet. 2012 sprach er den Stephen Dedalus im Hörspiel "Ulysses" nach James Joyce, dem mit einer Laufzeit von mehr als 22 Stunden bis dahin längsten Hörspiel des SWR und einer der aufwändigsten Hörspielproduktionen der ARD. Harzer wurde auf der Frühjahrs-Mitgliederversammlung der Akademie der Künste Berlin am 25. Mai 2013 als neues Mitglied in die Sektion Darstellende Kunst gewählt. (Quelle: Wikipedia)