Die Ampel an der grossen Kreuzung in der Nähe des Bahnhofs stand schon länger auf rot, als ich im Rückspiegel bläuliche Lichter eines Fahrzeugs sah, das mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Ampel zuraste um schließlich mit quietschenden Reifen zum Stehen zu kommen. Widerwillen drehte ich meinen Kopf nach links und sah, wie sich drei Gesichter in der Oberklassenlimousine sichtlich über die “mutige” Aktion des Fahrers freuten. Mit breitem Grinsen in der Fresse zollten sie dem Fahrer den Respekt, denn nicht jeder würde es schaffen ein zwei Tonnen Auto innerhalb kürzester Zeit zum Stehen zu bringen ohne dabei die Straße zu verwüsten. Anschließend drehten sich drei Köpfe in meine Richtung um wie synchronisiert Blicke zu senden, die mir den Eindruck vermitteln sollte, mit wem ich hier zu tun habe! Fahrer beobachtete stur die Ampel um das Signal zum Fortsetzten der Rennfahrt nicht zu verpassen. Die Jungs auf der hinteren Bank noch im Alter in dem man das Gesicht mit einem Handtuch rasiert, dennoch Augen voller stolz, den schließlich saßen sie in einem 80.000 EUR Wagen, der für diese Nacht der Schlüssel zu High Society gewesen ist. Dass ich mir vor der Begeisterung und dem Respekt für sie nicht in die Hose geschiessen habe grenzt an ein Wunder. Wäre die Musik in dem Auto übrigens noch paar Dezibel lauter, so würden die Lautsprecher samt allen Köpfen der Insassen explodieren und Bushido hätte paar junge Leben auf dem Gewissen, den welche Musik sonst konnte in einer Gangsterkarre so hämmern. Meine stille Analyse der Geschehnisse wurde brutal unterbrochen als die Ampel auf grün sprang und die schwere Limousine mit brachialer Gewalt nach vorne katapultierte um nach einer leichten Linkskurve rasant zu verschwinden. Das Kennzeichen des Wagens und ein Strichcodeaufkleber daneben deuteten auf eine bekannte Autovermietung….dank Kreditkarten, die einem mittlerweile hinterher geschmissen werden, lassen sich die Träume von einer S-Klasse schnell verwirklichen, auch wenn nur für ein Wochenende. Ab Montag wird dann auf der Baustelle dem süßen Traum vom Wochenende hinterher getrauert, aber nur kurz, denn schließlich hat jede Woche einen Freitag und auf der Kreditkarte ist der Limit noch nicht erreicht! Ich wusste, dass sich diese Tragikomödie noch paar Mal in dieser Nacht wiederholen wird und wurde auch, wie erwartet, nicht enttäuscht. Junge Männer, die nach Tagen harter Arbeit als Normal-Sterbliche gerne in die Rolle von Chefs schlüpfen, Frauen, die aus Freude hektisch mit den Füssen strampeln, wenn ihr Hinter, der von dem Rock kaum verdeckt wird mit vulgären Pfiffen oder obszönen Ausdrücken bewundert wird…eine neue Generation von jungen Menschen wächst heran, deren Schrei nach Anerkennung weit über den Dächern der Großstadt ausgebreitet wird um selbst vom Gott gehört zu werden. Keine Hemmungen, keine Grenzen, sehen und gesehen werden und das um jeden Preis, denn man (frau) musst immer auf der Hut sein! Hinter jeder Ecke kann ja ein Headhunter warten, der plötzlich in einer jungen angetrunkenen Lady in viel zu kurzem Minirock eine neue Muse für das Modegeschäft entdeckt oder laute Pöbeleien eines jungen Mannes mit einer Pudelmütze als Rap-Talent klassifiziert und somit die himmlische Tür zu einem Paradies öffnet, fern ab von täglichen Sorgen eines Normalverdieners. Da wird noch vor dem Eingang der Discothek die dicke Jacke zurecht geglättet. Ob warm oder nicht, eine Jacke bringt immer paar Zentimeter mehr in den Schultern und rundet das Bild eines zukünftigen Star der Rapperscene imposant ab.
Irgendwann wird selbst die amüsanteste Show langweilig. Ich ließ wilde Horden von den zukünftigen Trägern der Nation hinter mir und fuhr aus der Innenstadt raus. Mit jedem weiteren Kilometer änderte sich das Stadtpanorama rapide. Die neonbeleuchtete Glasfassaden wichen das Feld alten und maroden Monumenten der postindustrieller Vergangenheit dieser Region, es wurde dunkler, aber dennoch in meinem Empfinden viel angenehmer als auf dem Schlachtfeld paar Kilometer hinter meinem Rücken. Am Rande der Stadt hielt ich an, stieg aus und atmete tief durch. Das war meine Welt, fern ab von den glitzernden Spielplätzen für die ich offensichtlich entweder zu alt war oder zu merkwürdig. Wie ein Balsam wirkte sich ein Bild eines offensichtlich obdachlosen Mannes auf mich aus, der auf einer Haltestelle saß und seinen Mischling streichelte. Als der Hund dankbar die dreckige Hand seines Herrchens euphorisch ableckte, stellte ich mir die Frage, ob Tiere manchmal doch nicht bessere Geschöpfe sind als wir.