Freiheit heißt auch, frei von Religion und Kirche sein zu dürfen

WEIMAR. (fgw) Erst jetzt kam mir ein Interview der Tageszeitung „Die Welt“ aus dem Hause Spinger vom 4. Mai 2012 unter die Augen. Unter der Über­schrift “Religionsferne ist ein Überg­ang­sphä­no­men” ließ sich hier der Erfurter katho­li­sche Bischof Joachim Wanke über den weit­ver­brei­te­ten Atheismus in Ostdeutschland und seine dage­gen gerich­tete “Missionsstrategie” aus. Das Interview nahm Bezug auf eine Studie in den USA, daß nir­gends auf der Welt die „Gottesferne“ so ver­brei­tet sei wie in Ostdeutschland.

religionsfreie zone Freiheit heißt auch, frei von Religion und Kirche sein zu dürfen

Die Springer-Zeitung gab gleich mit der ers­ten Frage die Richtung vor: „Ist diese Region heute ein klas­si­sches Missionsland?”

Aber warum MUSS denn über­haupt mis­sio­niert wer­den? Allen Klerikern und allen kle­rus­freund­li­chen Politikern und Medien sollte doch bekannt sein, daß der ver­fas­sungs­recht­li­che Grundsatz der „Religionsfreiheit” auch das Recht beinhal­tet, frei von Religion sein zu dür­fen. Und von Missionierungen („… dass die Mission weit­hin nicht­re­li­giöse Menschen in den Blick neh­men muss”, so Wanke) ver­schont zu wer­den…

Zurück zum Interview. Für die Religions- und Kirchenferne macht der Kirchenmann eine Vielzahl von Gründen aus. Vor allem aber „…den Biologismus der Naziideologie bis hin zum staat­lich ver­ord­ne­ten dia­lek­ti­schen Materialismus mar­xis­ti­scher Prägung, aber auch der lange Ausfall soli­der reli­giö­ser Bildung für breite Bevölkerungsschichten, die kaum eine Chance hat­ten, den christ­li­chen Glauben authen­tisch ken­nen zu ler­nen.

Aber erin­nern wir uns da an die Fakten: Es war die Hitler-Regierung, die ihren ers­ten völ­ker­recht­li­chen Vertrag mit dem dank Mussolini wie­der­ge­bo­re­nen katho­li­schen Kirchenstaat abschloß, das bis heute in Bundesdeutschland gel­tende Konkordat. Und ihren Eid auf Hitler leis­te­ten sowohl die Angehörigen der Wehrmacht als auch die der Waffen-SS „bei Gott”; und beglei­tet auf ihren Eroberungsfeldzügen wur­den deren Soldaten bis zum bit­te­ren Ende von Militärgeistlichen bei­der Amtskirchen…

Als 1953 in der DDR gebo­re­ner Mensch, der in die­sem Staat alle Bildungseinrichtungen durch­lau­fen hat, kann ich für die­sen Staat kei­nen „staat­lich ver­ord­ne­ten dia­lek­ti­schen Materialismus mar­xis­ti­scher Prägung” erken­nen. Und was den „Ausfall soli­der reli­giö­ser Bildung” angeht, so stand es jedem Schüler frei, Glaubensunterweisungen (wie z.B. die Christenlehre in mei­ner meck­len­bur­gi­schen Heimat) zu besu­chen. Nebenbei, selbst in jeder Kleinstadtbibliothek stan­den in der Freihand-Ausleihe -zig reli­giöse Schriften für jeden Interessierten bereit.

Wanke wei­ter: „Die hie­sige Areligiosität ist eher eine Hilflosigkeit im Umgang mit Religion. Religiöse Vokabeln sind für viele Thüringer und Sachsen wie “Chinesisch”. Sie sind ihnen unver­ständ­lich und wer­den nicht mehr als Hilfe zur Lebensdeutung und Lebensbewältigung erfah­ren.”

Hilflosigkeit kann ich im Gegensatz zum geist­li­chen Herrn nicht erken­nen. Richtig aber ist, daß reli­giöse Mythen und Dogmen in der DDR, wie in ande­ren Staaten auch, im 20. Jahrhundert nicht mehr als „Hilfe zur Lebensdeutung und Lebensbewältigung” benö­tigt wur­den und wer­den. Das haben im Zuge der gesell­schaft­li­chen Entwicklung der moderne Sozialstaat, die Zivilgesellschaft, Wissenschaften und Künste sowie Psychologen u.a. pro­fes­sio­nell aus­ge­bil­dete Fachleute über­nom­men. Die nicht von einem über­sinn­li­chen Wesen, son­dern vom natür­li­chen Leben und den Menschen aus­ge­hen.

Eigentlich unkom­men­tiert las­sen möchte ich die­sen from­men Glauben des wacke­ren Kirchenmannes: „So gese­hen ist für mich lang­fris­tig die gegen­wär­tige Religionsferne mei­ner Landsleute ein Überg­ang­sphä­no­men.” – Hier mag sich jeder selbst einen Über­blick über die zuneh­mende Kirchenflucht in ganz Deutschland und Europa machen…

Interessant ist auch Wankes Ansicht: „Mission meint nicht Werbung für einen Verein reli­giös inter­es­sier­ter Leute. Sie ver­steht sich viel­mehr als eine Art Hebammendienst beim Entstehen und Wachsen eines neuen, öster­li­chen Lebens, das nur Gott schaf­fen kann. Die Kirche und jeder ein­zelne Christ kann aber für andere zum Geburtshelfer die­ser Neugeburt wer­den. Dass der Glaube dann hilft, die Kirche zu ent­de­cken, ist eine andere Frage.”

Naja, so ganz unei­gen­nüt­zig erfolgt die Missionierung wohl kei­nes­falls, denn neue Schäfchen spü­len ste­tig flie­ßen­des Geld in die Kassen des Vereins, sichern den Lebensunterhalt der Priesterkasten…

Realistisch (aller­dings mit einem “Aber”) wird Wanke aber dann doch: „Die Bearbeitung mensch­li­cher Grunderfahrungen – wie Einsamkeit, Sinnsuche, Angstbewältigung, Sehnsucht nach Geborgenheit -, auf der eine reli­giöse Lebensdeutung und Lebenspraxis auf­baut, schafft sich heute neue, “reli­gi­ons­ähn­li­che” Ausdrucksformen. Man wird sehen, ob diese auf Dauer wirk­lich tra­gen.”

Tja, was die Dauer angeht, so möge der Herr Bischof doch mal einen Blick über sei­nen Tellerrand wagen und nach China bli­cken. In die­ser ältes­ten noch beste­hen­den Zivilisation/Kultur kamen Staat und Gesellschaft ganz ohne (Staats-)Religion aus. Hier kamen mit Wirkungen bis in die Gegenwart Moralphilosophien zum Tragen! Wer dazu mehr erfah­ren möchte, dem emp­fehle ich fol­gen­des Buch von Heiner Jestrabek und Ji Yali: Der Westwind blies übern Gartenzaun. Aufklärung, Rationalismus und freies Denken in der chi­ne­si­schen Philosophie. Alibri Verlag 2009. 18,00 Euro. ISBN 978-3-86569-060-9)

Eine ganz wich­tige Frage wurde aber auch in die­sem Interview nicht gestellt, dabei ist sie doch die Frage aller Fragen seit die christ­li­che Religion im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion im Römischen Reich erho­ben wor­den ist.

Welchen Zweck hat denn die so ent­stan­dene Staatskirche? Es ist ihre Aufgabe dafür zu sor­gen, daß die da unten nicht gegen die da oben, gegen die angeb­lich gott­ge­wollte Ordnung auf­be­geh­ren. Egal ob die da oben Sklavenbesitzer, Feudalherren oder Kapitaleigner waren/sind. Umschrieben wird das mit den schö­nen Worten “sie hat für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sor­gen”.

Und eben des­halb ist die von der Weimarer Reichsverffassung von 1918 gebo­tene Trennung von Staat und Kirche hier­zu­lande immer noch nicht voll­zo­gen wor­den…

Selbst wenn Wankes Worte mit Bezug auf die viel­ge­lobte Bergpredigt, also seine Missionsstrategie, erst ein­mal gut klin­gen:

„Darum ist meine Konsequenz aus der “kirch­li­chen Unmusikalität” mei­ner Mitbürger: Die Priorität in der Pastoral muss das Bemühen haben, dem Evangelium Jesu Jünger zu gewin­nen. Wir müs­sen zuerst die Bergpredigt lesen, und dann die Religionssoziologen befra­gen. Hier gilt das Wort Jesu: “Euch muss es zuerst um Gottes Reich und seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazu­ge­ge­ben”, wie es bei Matthäus 6,33 geschrie­ben ist.”

Dann geht es also den mis­si­ons­be­gie­ri­gen Kirchenoberen im Kern doch wirk­lich wie­der nur darum, die da unten auf ein Jenseits zu ver­trös­ten, und das Diesseits so hin­zu­neh­men, wie die da oben es wol­len. Trotz aller schö­nen Worte von Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Wohltätigkeit.

Ein Satz des uru­gu­ay­ischen Schriftstellers Eduardo Galeano möge daher die­sen Kommentar abrun­den: „Im Gegensatz zur Solidarität, die waa­ge­recht ver­läuft und von gleich zu gleich gewährt wird, wird die Wohltätigkeit von oben nach unten prak­ti­ziert, ernied­rigt den, der sie erhält, und ver­än­dert nie auch nur ein biß­chen die Machtverhältnisse.”

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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