Freiheit, Fundamentalismus, Fanatismus: Tea Party

Gestern bin ich eher zufällig über eine verstörende Dokumentation gestolpert: “Ich will mein Land zurück” ist ein Film über die Anhänger der rechtsextremen (in den Pressetexten steht “rechtskonservativ” – aber wenn man den Film gesehen hat, muss man das eigentlich korrigieren) Tea-Party-Bewegung. Dass viele US-Amerikaner für deutsche Verhältnisse geradezu hysterische Patrioten sind, weiß man ja, und dass die USA ein Hort religiösen Wahnsinns sind, weiß man auch. Schließlich sind die Anhänger aller möglichen und unmöglichen religiösen Gemeinschaften nach Amerika ausgewandert, damit sie dort unbehelligt ihre Religion ausleben zu können. Entsprechend gibt es dort Hochburgen religiösen – meist christlich geprägten – Fundamentalismus, den man sonst nur in einigen islamischen Ländern findet. Natürlich gibt es auch in Deutschland Gegenden, in denen man hässliche Verquickungen aus religiösen und politischen Konservatismus finden kann, etwa im CSU-Land Bayern. Aber auch dort wird es schwierig, so viel dumpfen Fanatismus gepaart mit erschreckender Unbildung zu finden wie bei der Landbevölkerung in Tennessee.

Postgebäude in Chicago

Das ist nicht Berlin: Postgebäude in Chicago

Alles, was irgendwie mit Staat zu tun hat, ist unter den Tea-Party-Leuten verhasst, das Zahlen von Steuern genauso wie ein staatliches Schul- oder Gesundheitssystem. Die Leute wollen sich nicht bevormunden lassen, sie sind stolz auf ihre Freiheit: Sie nehmen eher die allerletzten Jobs an, als dass sie Geld vom Staat annehmen würden und pflegen Alte und Kranke selbst – alles andere wäre für sie Sozialismus und den hassen sie wie die Pest. Sie wollen ihren Kindern selbst bei bringen, was sie für wichtig halten und bestehen darauf, dass sie, und nur sie selbst ihres Glückes Schmied seien. Sie werden nicht müde zu betonen, dass ihr Amerika ein Land der Freien ist und unterwerfen sich gleichzeitig einem rigorosem System konservativer Werte, in dem Sex vor der Ehe eine Sünde ist, die Benutzung von Verhütungsmitteln oder gar Abtreibung sowieso. Ihre Religion ist keine der Nächstenliebe, sondern ein christlich verschwurbelter Kapitalismus – Gott liebt die Tüchtigen und belohnt sie schon in dieser Welt. Und weil Gott will, dass die Reichen keine Steuern zahlen und die Armen gefälligst selbst sehen sollen, wie sie klar kommen, ist jede Form von Umverteilung ein Eingriff in die gottgewollte Ordnung und somit Teufelswerk. Deshalb fällt es einer Tea-Party-Anhängerin auch nicht schwer, den demokratischen (und nicht arischen) Präsidenten Barack Obama mit einem Nazimonster wie Hitler gleichzusetzen – Nationalsozialismus, Kommunismus, Sozialstaat, ist doch alles dasselbe. Eine ähnliche Verwirrung gibt es bei der Einschätzung der US-Außenpolitik – es scheint noch nicht bis ins Herzland der Vereinigten Staaten vorgedrungen zu sein, dass die Sowjetunion seit mehr als 20 Jahren nicht mehr existiert. Ich musste unwillkürlich an “Der Report der Magd” denken, einen Roman von Margaret Atwood, den ich vor gut 20 Jahren gelesen habe. Darin wird der freudlose Alltag einer rechtlosen Frau beschrieben, nachdem sich eine christlich-fundamentalistische Sekte in den USA an die Macht geputscht hat. Atwoods düstere Zukunftsvision von 1985 hat einen beklemmend prophetischen Charakter.

Vor diesem Hintergrund bin ich schon froh, dass die Wahl zugunsten Obamas ausgegangen ist. Natürlich wird Barack Hussein Obama den Kapitalismus in den USA nicht abschaffen und nicht mal ansatzweise irgendwelchen Sozialismus einführen – was schade für die vielen Krisenverlierer in den Vereinigten Staaten ist. Immerhin hat er den Kandidaten der reichen weißen extrem konservativen Oberschicht verhindert. Aber die arme weiße extrem konservative Noch-Mittelschicht wird das kaum zu schätzen wissen.



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