Freidenker: Über die Richtigstellung der Begriffe

freidenkerIm Jahre 1713 – also vor genau 300 Jahren – erschien in London ein Buch mit dem Titel „Discourse of Free-Thinking“ („Abhandlung über das Freie Denken“). Sein Verfasser war Anthony Collins (1676 – 1729). Collins gehörte einer Gruppe von Frühaufklärern an, die sich selbst Freethinkers (Freidenker nann­ten); mit die­ser Schrift kamen die Begriffe „Freidenker“ und „freies Denken“ erst­mals ins öffent­li­che Bewußtsein. Die dama­li­gen Freidenker waren jedoch noch keine Atheisten oder Humanisten im heu­ti­gen Sinne.

Im Heft 1 – 13 (März 2013) der Zeitschrift „Freidenker” geht Dr. Horst Schild (Dresden) mit sei­nem Leitartikel „Vor 300 Jahren – Discourse of Free-Thinking” auf die Bedeutung von Anthony Collins und sei­nes Buches sowie des Wirkens ande­rer frü­her Freidenker (William Coward, John Toland) für die Aufklärung und des athe­is­ti­schen Bewußtseins ein.

Ergänzung fin­det Schild durch einen his­to­ri­schen Abriß von Klaus Hartmann (Offenbach) über „Freies Denken im Wandel sei­ner Bedeutung.”

Besonders her­vor­zu­he­ben in die­sem Heft ist ein län­ge­rer Artikel von Dr. Wolfgang Beutin (Bremen): „Karlheinz Deschners Kritik am Christentum”. Anlaß hier­für war das Erscheinen des zehn­ten und damit letz­ten Bandes von Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums”. Beutin rezen­ziert nicht bloß den aktu­el­len Band, er betrach­tet viel­mehr die Prinzipien von Deschners Kritik. Deschner gehe es, so Beutin um eine „Geschichtsschreibung in aufklärerisch-emanzipativer Absicht”. Daher widme sich der Kirchenkritiker ganz beson­ders der „Legendenzerstörung und der Aufdeckung von Manipulationen”. Gemeint sind nicht zuletzt Manipulationen des Klerus an bib­li­schen Texten selbst – und das bis heute.

Stichwort Legendenzerstörung. Hierzu sei aus Beutins Artikel zitiert: „Legendenauflösung ist keine Kleinigkeit. Deschner unter­zieht sich ver­dienst­lich der Mühe, hier anzu­pa­cken und man­che äußerst fatale, trotz­dem heut­zu­tage immer noch ver­brei­tete und des­halb von vie­len geglaubte Legende zu wider­le­gen. (Luther hatte seine Gründe, als er den Terminus „Legende” vari­ierte und in „Lügende” abän­derte.)

Eine sol­che Lügende lau­tet, es wäre die Kirche gewe­sen, der die Menschheit – jeden­falls im Bereich des Christentums – die Abschaffung der Sklaverei ver­danke. Nein, wider­spricht Deschner, die Kirche befand sich ‚stets auf der Seite der Unterdrücker‘.

‚Paulus, Augustinus, Thomas von Aquin und Tausend wei­tere ‚Heilige‘, sie alle ver­tei­di­gen die Unfreiheit. Noch in der Neuzeit ver­tritt die katho­li­sche Theologie ganz all­ge­mein das Recht auf Sklaverei. (…) Und nicht zufäl­lig hielt unter allen Hauptstädten Europas das päpst­li­che Rom am längs­ten an der Sklaverei fest.‘” (S. 24/25)

„Die Pussy-Riot-Story” – so ist ein bemer­kens­wer­ter Artikel von Olaf Brühl über­schrie­ben. Angesichts des über­bor­den­den Anti-Putinismus um die straf­recht­li­che Verurteilung von Mitgliedern der weib­li­chen Punk-Gruppe (Kläger war der Moskauer Klerus, nicht der Präsident!) schreibt Brühl, daß man sich hier­zu­lande ‚…empört über einen Strafbestand, der in Berlin genauso gege­ben wäre…‘ und zitiert dazu den in der Bundesrepublik Deutschland gel­ten­den Artikel des § 167 Strafgesetzbuch. Alle Empörung hier­zu­lande ent­larve sich somit selbst ‚ein­deu­tig als Lüge und Heuchelei‘. (S. 48)

Und daß das nicht bloße Hypothese ist, macht Brühl hieran fest:

„Immerhin muß­ten erst im Jahr 2005 wegen Randale in der Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale und in der Marienkirche Andreas Roy für 17 Monate hin­ter Gitter, Christian Arnhold für 10 Monate. Nicht genug damit, am Sonntagmorgen, dem 19. August störte eine mas­kierte Gruppe (…) den Gottesdienst im Kölner Dom. (…) Wie die Kölner Polizei auf Anfrage mit­teilte, wurde gegen die drei Störer Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Hausfriedensbruch und wegen Störung der Religionsausübung gestellt.” (S. 48)

Ganz so wie in Moskau auch…

In Verbindung mit der Märzausgabe des „Freidenker” soll unbe­dingt auch auf die Ausgabe 4-12 vom Dezember 2012 ver­wie­sen wer­den. Diese ver­sam­melt aktu­elle und grund­le­gende Dokumente des Deutschen Freidenker-Verbandes. An ers­ter Stelle sei hier genannt „Aufgaben der Aufklärung – Die Richtigstellung der Begriffe” (Oktober 2012): dar­un­ter „Menschenrechte”, „Völkerrecht und Frieden”, Rechtsstaat und Demokratie”. Es folgt ein Verbandsvorstandsbeschluß vom Herbst 2009 – „Gegen Volksverdummung und die Zerstörung der Vernunft!” Besonders her­vor­zu­he­ben ist aber die „Berliner Erklärung – Wer sind die Freidenker und was wol­len sie?” aus dem Jahre 1994. Für Laizisten – egal wel­cher Weltanschauung oder Religion – dürfte von beson­de­rer Bedeutung der Abschnitt „Für die Trennung von Staat und Kirche, Kirche und Schule sowie den Dialog mit reli­giö­sen Menschen sein”. Dieser Abschnitt schließt mit der Feststellung:„In die­sem Sinne ver­ste­hen wir Religionskritik als Gesellschaftskritik”. In die­ser Hinsicht dürf­ten zumin­dest linke Laizisten und Freidenker sich in vol­ler Über­ein­stim­mung befin­den.

Siegfried R. Krebs

„Freidenker” – das Verbandsorgan des Deutschen Freidenkerverbandes erscheint vier­tel­jähr­lich und ist über den GNN-Verlag Köln zu bezie­hen. Das Einzelheft kos­tet 2,50 Euro zzgl.Versand.


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