Mit: Johanna Weiske
Regie: Dominik Frank
Regieassistenz: Dena Brunner, Verena Regensburger
Bühne, Licht, Video: Julie Boniche
Technische Assistenz: Julia Pfänder
Produktionsleitung: Dietmar Höss
Der Bewusstseinstrom – Durch die Augen Elses
Dieses Jahr hat sich der Regisseur Dominik Frank der Novelle „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler angenommen und für die Bühne des Rationaltheaters adaptiert. Angelehnt an Freuds Psychologie, mit dem Schnitzler eine Freundschaft verband, ist es der Versuch Schnitzlers, die theoretischen Grundlagen Freuds in einen literarischen Text zu überführen. Das Stück, das sich nach Tolstois Anna Karenina und der Novelle Leuitnant Gustl, ebenfalls aus Schnitzlers Feder, erstmals der literarischen Technik des Bewusstseinsstrom bedient, führt die Leistung der Weltkonstruktion einer Einzelperson eindrucksvoll vor Augen. Szenerie, beteiligte Figuren, Geschichte – alles wird aus der Sicht Elses geschildert, ein 19-jähriges Mädchen mit starkem Bühnenbewusstsein, das sich im Exil vom Wiener Gesellschaftsleben in einem italienischen Kurort wähnen muss. Dort holt sie auf tragische Weise dennoch ein Brief der Mutter und die verheerenden Familienumstände ein. Der Brief der Mutter erklärt, dass der Vater Mündelgelder veruntreut habe und somit auf die finanzielle Hilfe des Kunsthändlers Dorsdays angewiesen sei. Während Else der Bitte der Mutter noch nachkommt, werden bei Dorsdays Gegenangebot, Else nackt sehen zu wollen, die Fäden eines möglichen, gesellschaftlichen Zusammenkommens überdehnt – und Else schnappt schließlich über. Auf das Begehren Dorsdays hin, Else nackt zu sehen, sieht sie sich in die Enge getrieben: in der leugnenden Ablehnung eines Raumes HINTER dem Vorhang, wo Demütigungen, Absprachen, Verunglimpfungen und die Niedrigkeiten des Menschen das Leben zeichnen, kehrt sie das Angebot Dorsdays in ihrer Hysterie kurzerhand um in einen messianischen Gestus der Selbstaufopferung.
Copyright: Julie Binoche
Den Mond auslachen? – Else
Das gackernde Lachen, das sich schließlich bis ins Kreischen steigert aus dem Munde Johanna Weiskes, charakterisiert ein jugendliches, übermütiges Fräulein Else. „Hochgemut“ nicht „hochmütig“ sei sie nach eigener Meinung. Ein Lachen, das sich bei jedem gesellschaftlichen Zusammentreffen selbst versichert. Dieses Lachen verselbständigt sich bei Ihrem spektakulären Auftritt vor Dorsday, man möchte fast schon sagen: ihrem Über-Vater, verselbständigt sich in einen Automatismus, in einen Witz ohne Anlass ob der aberwitzigen Situation. Sie kann gerade noch ihr eigenes Lachen kommentieren, und durch die Vielstimmigkeit der Szene, durch den nun zu voller Blüte gekommenen Bewusstseinstrom hindurch ist die dröhnende Verletzung einer jungen, schönen jungen Frau zu spüren, die sich viel vom Leben verspricht. Gekonnt ist dies von Johanna Weiske gespielt: Else ist noch lange kein wienerisches Hascherl, sondern will es krachen lassen, will sich mit der Front ihrer Stirn beweisen. Das viele Küss-die-Hand, das Geschnatter, die verschiedenen Charaktere treten eindringlich durch die schauspielerische Leistung Weiskes hervor. Der schnelle Wechsel zwischen den Figuren, für die sie gemäß der schauspielerischen Qualitäten Elses, Stimme und Positur wechselt, verläuft meist reibungslos.
Die Inszenierung: sehr beeindruckend, aber konform
Dadurch, dass der Schauspieler durch die literarische Technik des Bewusstseinstroms derart in den Fokus gerät, ist jede Inszenierung von Schnitzerls “Else” eine Einsicht in den Möglichkeitsraum verschiedener persönlicher Weltinszenierungen, durch Elses Augen, durch die Augen Dominik Franks und der Johanna Weiskes. Zusätzlich durch das minimalistische, requisitenlose (höchstens das Kleid, dessen sich Else entledigt) und mehr unterstützende Bühnenbild geschärft steht die Person im Fokus. Dieses Stück auf die Bühne zu holen ist zwar keineswegs neu, aber die Charakterisierung Elses auf diese erfrischende Art, wie Johanna Weiske sie zuwege bringt, ist hervorragend. Nur möchte man nach diesem Abend fragen: warum ausgerechnet Arthur Schnitzlers Else? Nichts deutet einen Gegenwartsbezug an, eher im Gegenteil: das Begleitheft versammelt literarische Verarbeitungen und wissenschaftliche Artikel zu Else und gibt einen vertieften Einblick in das Stück. Else um Ihrer selbst willen?