Frauen mit Fernweh

Gertrude Bell und Alexandra David-Néel sind weit gereist. Neue Übersetzungen lassen ihre Abenteuer-Erinnerungen aufleben.

Foto: Royonx. Lizenziert unter CC0 (Hintergrund) und lizenziert unter Gemeinfrei (Alexandra Davis-Néel)Foto: Royonx. Lizenziert unter CC0 (Hintergrund) und lizenziert unter Gemeinfrei (Alexandra Davis-Néel)

Sie sind viel herum- und hoch hinaus gekommen: Alexandra David-Néel hat den Himalaya erkundet, Gertrude Bell hat das Matterhorn erklettert und die arabischen Wüsten erobert. Was schon zu Lebzeiten der zwei Frauen mit Fernweh für Aufsehen und Ärger gesorgt hat (beide sind vor etwa 150 Jahren geboren), fasziniert noch heute. Jetzt sind die außergewöhnlichen Autobiografien in neuen Übersetzungen nochmals erschienen. Dass die Reiseziele der Pionierinnen heute im Bürgerkriegsgebiet liegen (Syrien) oder von Terroristen unsicher gemacht werden (in den pakistanisch-indischen Grenzregionen und in Nepal), macht die  Erinnerungen von Alexandra David-Néel und Gertrude Bell noch wertvoller. Der Biografien-Blog stellt sie vor: 

Alexandra David-Néel im Himalaya

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Das Mädchen verehrt Jules Vernes. Der schreibt so schöne Geschichten von Reisen um die Welt (sogar in 80 Tagen), zum Mittelpunkt der Erde und zum Mond. Ganz so weit muss es für Alexandra David-Néel nicht gehen - aber bis zum mächtigsten Gebirge auf dem Globus will sie schon kommen. Sie hasst die biedere Mutter und liebt den weltgewandten Vater, der ihr in seinem Realismus auch das Grauen nicht vorenthält. Alexandra ist der Esoterik und den Okkulten nicht abgeneigt, sie schwärmt für die Kultur des Fernen Ostens. Ihre geistliche Heimat findet sie im Buddhismus. Um sich ihre Reiseträume verwirklichen zu können, verdient sie ihr Geld mit den unterschiedlichsten Berufen: als gefeierte Sopranistin, Journalistin und als Vortragsreisende in Sachen Feminismus. Sie heiratet zwar, aber besonders intensiv ist die Ehe nicht. Alexandra David-Néel zieht es weg von ihrem Mann und hinaus in die weite Welt. Sie ist eine eigenständige Frau, selbstbewusst, entschlossen und hartnäckig. Deshalb schafft sie es auch in den Himalaya und davon erzählt sie selbst in einer gelungenen Mischung aus Faktenwissen, Anekdoten und Einschätzungen. Gelungen ist dabei auch die neue Übersetzung: Der Reisebericht kommt nicht in altbackener Sprache daher, aber er verliert auch die besonderen Herausforderungen einer Himalaya-Reise vor einem Jahrhundert nicht aus den Augen. Der Text beschönigt ebenfalls nicht manche zweifelhafte Sichtweise von Alexandra David-Néel: Denn dass sie sich oft hat durchsetzen müssen, können ihre Erinnerungen nicht verheimlichen: So viel man in ihren Ausführungen über die nepalesische Geschichte und Mysthik lernen kann, so spannend ihre Berichte sind, so sehr sie die Fantasie jedes Natur- und Kulturliebhabers anregen, so sehr lernen wir auch eine bis an die Schwelle zur Ignoranz von sich selbst überzeugte Frau kennen, die schnell im Urteil ist - und durchaus hart. Der vermeintliche asiatische Fremdenhass wird gegeißelt, der Bildungsstolz und die orientalische Planlosigkeit belächelt. Ein bißchen gibt sich Alexandra David-Néel schon als besserer Mensch - wenngleich sie ihre eigene Kultur nicht als die einzig wahre preist. Zwar verurteilt die aufgeklärte Frau von Welt manche  "finsteren" Riten wie die traditionelle Witwenverbrennung, aber sie zweifelt nicht an der "Überlegenheit der spirituellen Werte" ihrer fernöstlichen Wahlheimat.

Gertrude Bell in der Wüste

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 Ähnlich geht es Gertrude Bell. Auch sie steht in dem Ruf, überheblich gewesen zu sein. Tatsächlich hat sie wie Alexandra David Néel mit ihren vielen Talenten zu kämpfen, die ebenso viele Männer alt aussehen lassen. Getrude Bell beherrscht die Sprachen und gesellschaftlichen Gepflogenheit des Morgen- und des Abendlands gleichermaßen perfekt. Sie weiß sich in den feinen Londoner Salons ebenso zu bewegen wie in den Wüstenzelten der Beduinen - dabei sind beide Begegnungsorte eindeutig von Männern dominiert. Die Araber können ndamit beinahe besser umgehen als die englischen Herrschaften daheim - in der Wüste ernennt man sie kurzerhand zum "Mann ehrenhalber". Solche Informationen sind nötig, um Gettrude Bells Erinnerungen an ihre Zeit als Wüstenreisende und Archäologin verstehen und lesen zu können.

Lizenziert unter GemeinfreiLizenziert unter Gemeinfrei

Deshalb haben die Editoren wie bei Alexandra David-Néel auch hier den Memoiren eine einordnende biografische Einleitung  vorangestellt. Dieses Konzept überzeugt. Der Leser hat die Chance, die Protagonistin erst mal kennenzulernen (nicht zu lang, nicht zu kurz), ehe er mit ihr auf eine Reise durch syrische Städte und Regionen geht, die wir heute fast nur noch aus Kriegsnachrichten kennen: Damaskus, Homs, Aleppo. Dass Gertrude Bell als Weltenwanderin für die Engländer im Ersten Weltkrieg auf geheimer diplomatischer Mission unterwegs war und unter anderem mit dem legendären Lawrence von Arabien verhandelt, mag vor der Lektüre überraschend sein, nachher verwundert es nicht mehr: Die "Wüstenkönigin" macht auf eindrucksvolle Weise klar, warum ihr dieser Ehrentitel zusteht. 

Nicht immer sind Arroganz und Überheblichkeit Ausdruck von schwierigem Charakter. Manchmal  lernt man aus ihnen auch etwas über biografische Hürden und Herausforderungen. Die Erinnerungen dieser beiden starken Frauen sind jedenfalls lehrreiche Lesezeitreisen an Orte, die heute wiederum in aller Munde sind. Und weil beide Bücher nicht nur gut, sondern auch schön sind, sind sie mein Weihnachtsgeschenk-Geheimtipp!

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