Frauen im Zen-Buddhismus (I): Frauen und Sex

Ich lese gerade "The Hidden Lamp", herausgegeben von Zenshin Florence Caplow und Reigetsu Susan Moon (Wisdom 2013), mit einem Vorwort von Zoketsu Norman Fischer, einem der brauchbaren US-Zenlehrer. Es handelt sich um eine Sammlung von kurzen Geschichten und Kôan aus der buddhistischen Tradition, in denen Frauen eine Rolle spielen. Alle werden auch von Frauen kommentiert, also von Buddhistinnen, in der Regel Zen-Lehrerinnen. In den kommenden Beiträgen will ich mich dem ein oder anderen Abschnitt aus diesem Buch widmen. Im Ganzen taugt es m. E. nicht für eine Übersetzung, da zu viele Beiträge flach, klischeehaft und abgedroschen bleiben. Einige sind freilich gelungen. 
Um mich nicht zu beeinflussen und da mir die meisten Autorinnen unbekannt waren, habe ich mir stets erst ihre Darlegungen durchgelesen, dann ihren Hintergrund nachgeschlagen. Neben einem Glossar und der Auflistung der Textquellen enthält das Buch nämlich auch eine Bibliografie und ein paar Sätze zu jeder Lehrerin. Heute bin ich mit etwa einem Viertel des Buches durch. Etwas überraschen mag die überwiegende Mittelmäßigkeit, die aus den Erbinnen der Shunryu Suzuki-Linie spricht. Schwach erscheint in diesem Buch auch die Linie Houn Jiyu-Kennetts. Bestätigt hat mich das psychologisierende und oft wertende Schreiben der Schülerinnen aus dem Umfeld Philipp Kapleaus und die Unklarheit, die häufig aus Beiträgen von Schülerinnen Seung Sahns spricht (siehe rechts die Rubrik "Lehrer, von denen der Asso-Blog abrät").
Zugesagt haben mir so weit die Beiträge von Merle Kodo Boyd [Maezumi/Glassman], Angie Boissevain [Kobun Chino], Judith Randall [Shunryu Suzuki] und - mit Abstrichen - Natalie Goldberg [Dainin Katagiri & TNH]. Um das vorwegzunehmen: Ich finde es erfreulich, wenn (ehemalige) Schüler/innen mäßiger Lehrer einen guten Eindruck bei mir hinterlassen. Im Falle Frau Goldbergs aber scheinen mir die "Abstriche" auf Einflüsse von TNH zurückzuführen zu sein, bei dem sie "ordiniert" haben will.
Eine Lehrerin, die mir ein Begriff war, da Eido Shimano Roshi sie zur Nachfolgerin ernannte, ist Roko Sherry Chayat. Sie schreibt an einer Stelle über ihre Kôan-Schulung: "Ich wusste, dass meine Antworten der Herausforderung nicht gerecht wurden. Ich spürte, dass das Kôan eine aggressive körperliche Handlung erforderte." Das ist umso bemerkenswerte, als sie - wie Goldberg zu Katagiri - eine sexuelle Beziehung zu ihrem Lehrer hatte. Dieses Thema spielt auch in den ersten von mir kritisierten Textpassagen eine Rolle.
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In einer bekannten Zengeschichte unterstützt eine Frau zwanzig Jahre lang einen Einsiedlermönch. Dann testet sie ihn, indem sie ihre junge, hübsche Tochter vorbeischickt. Der Mönch lehnt die körperliche Annäherung an sie ab, die alte Mutter verbrennt daraufhin dessen Einsiedlerhütte. Die Pointe ist offenbar, dass die Zenübung nicht zum Leugnen einfachster körperlicher Bedürnfisse führen sollte. 
Zenkei Blanche Hartman jedoch macht in ihrem Kommentar daraus den Ansatz eines feministischen Manifestes. Prinzipiell kann ein solcher Tonfall in einem Buch dieses Anliegens nicht überraschen. Es sind jedoch die ungeklärten Widersprüche in ihrem Text, die aufhorchen lassen. So sagt sie an einer Stelle: "Ich spüre, dass es einen Weg zu leben gibt, auf dem nicht jeder zum Sexualobjekt verdinglicht ("without objectifying anyone as a sexual object"), wo aber die Schönheit von Menschen weiterhin gewürdigt wird. Dies bedeutet, nach den Geboten zu leben." Ein paar Absätze danach zitiert sie Bruder Steindl-Rast: "Wenn ich jeden auf die gleiche Art lieben will, dann muss ich entweder zölibatär leben oder sehr promisk!" 
Nun ist bei dogmatisch Gläubigen die Pflege extremer Gegensätze nichts Neues, aber wie könnte ein promiskes Leben ohne die unterstellte Objektifizierung der Frau einhergehen, die eine Standardfloskel des Feminismus ist? Ich wundere mich darüber, dass eine Zenlehrerin nicht den Tatsachen ins Auge schaut: Zum einen ist mit der Lust auf Menschen nicht automatisch verbunden, sie nicht mehr als Subjekt wahrzunehmen. Zum anderen werden ja gar nicht alle Frauen begehrt, sondern die Schönen am häufigsten und intensivsten; es sind also bei Weitem nicht alle Menschen betroffen. 
Vor ein paar Tagen rief ich eine junge Mutter an, die sich vor zwei Jahren noch prostituierte. Dann erbte ihr Lebensgefährte, der Vater ihres Kindes, eine Menge Geld und ein Haus von einem alten, wahrscheinlich schwulen Ausländer, der an einer langwierigen Krankheit verstorben war. In der Übergangszeit, als das Erbe vor Gericht geklärt wurde, ging sie noch anschaffen. Wir hatten immer ein angenehmes Verhältnis, das auch kaum getrübt wurde, als ihre damals beste Freundin (meine Hauptgefährtin) sich mit ihr etwas verkrachte. Einmal kroch sie für eine Nacht bei mir unter, weil sich ihr Partner eine Nebenfrau genommen hatte und sie darüber erbost war. Inzwischen hat dieser von dem Erbe ein Internetcafé eröffnet, in dem sie arbeitet.   Ihre alte Telefonnummer funktionierte noch. Ich erkundigte mich vorsichtig, ob sie denn noch mit Ausländern Sex habe. Sie lachte und sagte: "Mit dir schon." Ich frage mich also, ob Frauen wie Zenkei Blanche Hartman oder Männer wie Steindl-Rast begreifen, dass es eine Art "unabhängiger promisker Lust" gibt, die nicht bindet und den anderen als Person wahrnimmt und achtet, aber als eine unter vielen. Der Ausschließlichkeitsanspruch, der aus den Worten dieser beiden Lehrer spricht (im Falle des Christen aus der Vorstellung des Zölibats) kann für mich kein Zeichen spiritueller Reife sein. Er spiegelt jedoch eine typische Wunschvorstellung gewöhnlicher Frauen an ihre Partner wieder.
Deutlich wird dies auch im Kommentar von Hoka Chris Fortin zu Miaozongs bekanntem "Dharma-Interview". Miaozong studierte, noch bevor sie Nonne wurde, bei Meister Dahui (Tahui) und bekam ein Zimmer im Gebäude des Abtes. Das brachte den Obermönch auf die Palme, weshalb Dahui ihm riet, doch mal mit der Dame zu reden. Miaozong fragte diesen Mönch dann, ob er ein weltliches oder ein Dharma-Gespräch wolle. Dieser verlangte ein Dharma-Gespräch.   Zunächst musste er seine Gehilfen wegschicken, dann rief sie ihn herein. Dort lag sie splitternackt auf dem Rücken. Der Mönch deutete auf ihre Genitalien und fragte: "Was für ein Ort ist das?" Miaozong erwiderte: "All die Buddhas, Patriarchen und Mönche kommen von da." Der Mönch fragte: "Darf ich eintreten?" Miazong sagte: "Pferde ja, Esel nein." Da fiel dem Mönch nichts mehr ein und Miaozong erklärte das Gespräch für beendet.
In Fortins Kommentar heißt es nun: "Miaozongs grenzenloses Vertrauen in den reinen Dharmakörper der Übung und ihr verkörperter Glaube ("embodied faith") in die Heiligkeit eines Frauenkörpers fanden in mir Widerhall wie das Brüllen eines Drachen." Doch obwohl sie später schließt, Ansichten, die Frauen diskriminieren, seien laut dieser Geschichte keine Brücke zur Erleuchtung, übersieht Fortin in ihrem gesamten Text die Pointe dieses Kôan aus dem Shonan Kattoroku: Der Obermönch hätte Miaozong besteigen und lieben sollen, damit seine heimliche Eifersucht und verklemmte Sexualität geheilt worden wären. Miaozong bot ihm nicht weniger an, als sie auch Dahui angeboten hat oder hätte.
Fazit: Gebote werden selbst dann gelebt, wenn man seiner erotischen Zuneigung zu anderen Menschen Ausdruck verleiht. Dies geschieht - so wollen es auch traditionelle Zen-Stories - nicht selten im körperlichen Liebesakt. Wer seine Liebesfähigkeit nicht auf die ausdehnen kann, die davon sich und andere ernähren, der kann in meinen Augen keine angemessenen Kommentare über einen Mönch, der ehrlich zu seiner Impotenz stand, oder eine Nonne, die sich schlicht einem Eifersüchtigen zum Sex darbot, verfassen. An dieser Krankheit leidet im Allgemeinen das ganze Teisho-Gewese im Zen. Es ist wie bei einer billigen thailändischen Seifenoper, wo man die Pointen im Voraus kennt, weil sie sich seit Dekaden nicht ändern und kaum mal einer mit einem anderen, frischen Blick auf die Überlieferung schaut.

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