"Frau ohne Gewissen" / "Double Indemnity" [USA 1944]

Von Timo K.

Story
Der Versicherungsvertreter Walter Neff schleppt sich mit einer Schussverletzung in sein Büro, um ein Geständnis auf Tonband aufzuzeichnen. Er erzählt die Geschichte eines Versicherungsbetrugs, in den er selbst verwickelt war. Nachdem Neff von der bildschönen Mrs. Dietrichson aufgefordert wird, eine Unfallversicherung für ihren Mann abzuschließen, ohne dass er davon etwas weiß, findet sich Neff plötzlich in einem perfiden Spiel wieder, wo es nur darum geht, den Ehemann zu ermorden und das Geld zu kassieren. Neff lässt sich jedoch trotz aller Zweifel zu Mr. Dietrichsons moralisch verkommenem Plan überreden, zum perfekten Verbrechen…
Kritik

Unmissverständlich bleiben einem nach Sichtung von Billy Wilders "Frau ohne Gewissen" drei Dinge im Gedächtnis. Erstens – Mrs. Dietrichsons (Barbara Stanwyck) mit ihrem Namen eingraviertes Beinkettchen, das unseren Antiheld, den Versicherungsvertreter Walter Neff (Fred MacMurray), beinah um den Verstand bringt. Zweitens - Barton Keyes' (Edward G. Robinson) analytisches Gedächtnis, das seine Analytik aber nur dann ausspielen kann, wenn sich der 'kleine Mann' zu Wort meldet, eine Art abgespaltener Teil Keyes' Bewusstsein. Drittens – Mrs. Dietrichson höchstpersönlich als Essenz der Femme fatale aller Femme fatales in sämtlichen Film noirs jeglicher Produktionsjahre. Billy Wilders "Frau ohne Gewissen" ist allerdings ebenso die Essenz des noirs schlechthin. Ob er der erste ist, sei mal dahingestellt, ob er als einer wenigen eben dieses mythische Genre (vorausgesetzt, dass es tatsächlich eines ist) revolutionierte, das lieber nicht.
Harte Kontraste, bedrohliche Schatten, spärliche Beleuchtung, düsteres, wenngleich des Öfteren sogar "unschuldiges" Ambiente (Kegelbahn…), gediegener Schnitt – "Frau ohne Gewissen" ist handwerklich zunächst nüchtern betrachtet der typische Film noir, mixt diese Elemente zu einem stimmigen audiovisuellen Cocktail, verdeutlicht damit nicht zuletzt die Ausweglosigkeit der Protagonisten, wenn sie in einem verdunkelten Raum vor aufgezogenen Jalousien stehen und das Licht lediglich durch die kleinen Schlitze fällt, wodurch im metaphorischen Sinne die Gefangenheit aller Beteiligten auf die Spitze getrieben wird. Viele Teile des Films spielen komplett im Dunkeln. Die Eingangssequenz ist ein Musterbeispiel perfekten zeitlich- wie räumlichen Spannungsaufbaus mithilfe atmosphärischer Stilmittel. Da, genau dort, wo alles anfängt, in einem kalten, gottverlassenen Versicherungsgebäude, fast so gottverlassenen, dass es fast ein wenig surreal wirkt, dort, wo Walter Neff mit Schweißperlen auf dem Gesicht sein Geständnis ablegt, dort wird alles enden, in nächtlicher Umgebung hat es angefangen, mit den Sonnenstrahlen des Tages wird es enden, der durch Manipulation und Betrug einhergegangene psychische Verfall Walter Neffs.

Der perfekte Mord, sexuelle Anzüglichkeiten, Lügen, Lust, Begierde – ganz in der Tradition des Film noirs nimmt sich "Frau ohne Gewissen" trotz des – und das ist bei Wilder, der sich immer durch Studiokonventionen hindurch mogelte, keine Überraschung – damalig vorherrschenden Hays Codes zur strengen Zensur moralisch verwerflicher Filme all der Themen jener "Schwarzen Serie" an, die Hollywood besonders missbilligte. Billy Wilder und der erstmalig an einem Drehbuch mitarbeitende Raymond Chandler, dessen Romanvorlage "Tote schlafen fest" später von Howard Hawks verfilmt werden würde, erzählen die Geschichte des Romans von James M. Cains in Rückblenden mit Voice-Over-Kommentaren, einem weiteren gern verwendeten Mittel des klassischen noirs, das die Zuschauer unvorbereitet traf, weil es bis dato noch nicht verwendet wurde und der Augenmerk weniger auf unkonventionellen, mehreren Zeitebenen spielenden, als vielmehr auf geradlinigen Handlungen lag. Obwohl man weiß, wie das teuflisch-suggestive Versteckspiel zwischen Mrs. Dietrichson und Neff sein Ende finden wird, dreht sich die Frage, die alles entscheidende Frage, nach dem "Wie?". Wie konnte es dazu kommen, obwohl es man vorher weiß?
Dass der Zuschauer ungeachtet vorweggenommener Lösung mitfiebert und miträtselt, dafür lassen sich Wilder und Chandler besondere inszenatorische wie schriftstellerische Kabinettstückchen einfallen. Das Drehbuch ist verwinkelt, wenn auch, gerade in Bezug auf die nebulösen Motive Lolas (Jean Heather) und Ninos (Byron Barr), bisweilen etwas zu konstruiert, bezieht seinen Reiz vordergründig aus der Ermittlungsarbeit einen Versicherungsbetrüger, später gar einen Mörder, zu finden, der in Wirklichkeit in den eigenen Reihen sitzt, aus seiner Angst, irgendwann doch enttarnt zu werden, und seinen Zweifeln, das scheinbar perfekte Verbrechen vielleicht doch nicht perfekt genug ausgeführt zu haben, jenem Walter Neff nämlich, dessen aufkeimende Beziehung, sowohl in sexueller als auch in dienstlicher Hinsicht, zu Mrs. Dietrichson einem Pakt mit dem (hier: femininem) Teufel gleicht. Begleitet von gepfefferten Dialogen, die so geschliffen wie poetisch daherkommen, verantwortlich für Wortspiele und Zweideutigkeiten, wie sie nur Wilder und Chandler schreiben können. Selbst das Urklischee aller Klischees in einem Krimi, der nicht anspringende Motor im entscheidenden Moment, verdichtet das Script zur nervenzerreißenden Spannung, ebenso wie jene Szene, als Neff im Zimmer seines Chefs auf den einzigen Zeugen beim initiierten Selbstmordversuch trifft, in der Hoffnung, dass er von eben diesem nicht erkannt wird.

Hingegen dem obligatorisch-coolen, abgebrühten Detektiv aus anderen noirs wie Philip Marlowe aus "Tote schlafen fest", porträtiert Wilder dagegen einen relativ normalen Durchschnittstypen, der keine attraktive Frau sein Eigen nennen kann und von dem ganz großen Geld noch ein ganzes Stück entfernt ist. Da ist es logisch, dass er die Chance ergreift, zum ganz großen Geld zu kommen, zur attraktiven Frau, auch wenn der Gewinn mit einem abscheulichen Plan und der daraus resultierenden Gefahr bei Festnahme durch den elektrischen Stuhl verbunden ist. Bei Walter siegt schlussendlich die Sehnsucht nach Phyllis, nach ihrem goldenen Beinkettchen, ihrem Jasminduft, den hohen Schuhen, alles, was seinen Untergang bedeuten wird.
"Ein Freund von mir hat eine feine Theorie. Er sagt, wenn zwei ein Mord begehen, fahren sie in der gleichen Richtung und können nicht anhalten. Keiner kann vor der Endstation abspringen. Sie müssen gemeinsam fahren und ihre Endstation ist der elektrische Stuhl."
Während Fred MacMurray die Rolle des amoralischen Versicherungsagenten famos und mit pointierten Sprüchen zwischen den Lippen interpretiert, gelingt es seinem weiblichen Gegenpart ebenfalls die Sympathie des Zuschauers auf seine Seite zu ziehen, obwohl er mindestens genauso skrupellos handelt und mindestens genauso intrigant und kokett erscheint. Stanwycks blonde Perücke, Phyllis' eiskalte Augen, als der Plan zu gelingen scheint, wird man so schnell nicht vergessen. Ihr Schauspiel ist außerordentlich, nach außen hin charismatisch, innen brodelt es, da ist ihre Gier nach materiellem Reichtum verankert, mehr noch, schier grenzenlos, das billige Versprechen vom Traum der großen Liebe mit Walter billige Attrappe. Sie weiß, wie man spielt, wie man mit den Reizen Walter einwickelt, um ihn zu hintergehen. Walter ist Werkzeug, Phyllis befehlsgebende Instanz, die auch dann nicht aufgibt, wenn der Plan längst aufgeflogen ist. Legendär, wenn sich beide im Supermarkt treffen und alles genau kalkulieren, Phyllis ihrem eleganten Stil wegen konsequenterweise mit schwarzer Sonnenbrille.

Eigentlich lebt und fällt "Frau ohne Gewissen" angesichts seines Dreiergespanns, nicht seines Zweiergespanns mit Phyllis und Walter. Für die wohl größten Suspense-Augenblicke sorgt nämlich der Mann, welcher die illustre Runde erst komplettiert und letztendlich seinen besten, klügsten Mitarbeiter des Mordes überführt. Man fragt sich dauerhaft: Was würde Barton Keyes machen, wenn er keinen "kleinen Mann" hätte, der ihm die zahlreichen Versicherungsbetrügereien aus dem Bauch heraus mitteilt? Robinson verkörpert einen durchweg gerissenen Hund, der nicht locker lässt, immer schnüffelt, immer etwas wittert, wenn es was zu wittern gibt, etwas stinkt, insbesondere nach Geldprellung. Man kann sicher sein: Wo es nichts herauszufinden gibt, findet er es heraus. Keyes verfügt über eine kleine Körperstatur, doch umso größer und effektiver, sein Riechorgan.
Paradoxerweise ist es ausgerechnet Keyes, der den Rücken seines Arbeitskollegen frei hält, nur um am Ende zu der Einsicht zu gelangen, dass ihn sein unwiderstehlicher Helfer das erste Mal im Stich gelassen hat, als er den falschen Täter in Verdacht hatte. Unvergessen, der Monolog Keyes beim Chef, als er die Annahme mithilfe guter, alter Statistiken in der Luft zerfetzt, es würde sich bei dem betreffenden Fall um Selbstmord handeln. Schließlich beweisen Statistiken alles. Sie sind unfehlbar. Unvergessen auch die Tatsache, dass Keyes sich in regelmäßigen Abständen beim Verlangen nach einer Zigarette das Feuer von Neff borgen muss, respektive von Hand entzündbare Streichhölzer. Nur ein einziges Mal hat er selber Streichhölzer für Neff übrig. Der Moment könnte ironischer nicht sein – in der entscheidenden Schlusssequenz, wo Neff vor seinem Tod (sei es auf dem elektrischen Stuhl, durch Gas oder anhand seiner Schussverletzung; Wilder hat die gedrehte Sequenz in der Gaskammer wieder verworfen) die letzte, wirklich allerletzte Zigarette rauchen will. Das Skurrile: Neff, der sonst zu jeder Zeit Feuer hatte, ist jetzt auf das Feuer Keyes' angewiesen.

Fazit

Eine promiskuitive Raubkatze, ein idealistischer Schäferhund und ein besessener Mörder, auf dessen Seite sich der Zuschauer auch noch schlagen muss - dass Hitchcock den Film außerordentlich mochte, ist kein Geheimnis, warum er ihn mochte, wird schnell deutlich. Über "Frau ohne Gewissen" weht einerseits klassischer noir-Hauch, andererseits fatalistischer, erotisch aufgeladener und in den besten hell-dunkel Montagen gar expressionistisch wirkender Krimiduft, der andere Wege einschlug als seine Genrekollegen und seinen Sog in einer schäbigen Welt entfesselt, bei der man förmlich den Staub fühlen kann. Einmal mehr entpuppt sich Wilder als richtungsweisender Regisseur, dessen Werk eine Sonderstellung innerhalb der "Schwarzen Serie" einnimmt. Dennoch gilt es zwei Dinge zu beachten: Die Inhaltsangabe auf der Rückseite der deutschen DVD lässt man lieber links liegen und den deutschen Filmtitel gleich mit. Wilder: "Frau ohne Gewissen"? Das trifft doch auf nahezu jede Frau zu."
8/10