„Lass doch der Jugend ihren Lauf!“, schallt im Vorspann das Volkslied aus dem 18. Jahrhundert und verkündet die Lektion des Kino-Elternabends. Man muss die Kinder einfach machen lassen, dann finden sie schon ihren Weg. Wohin der führt zeigt Regisseur Sönke Wortmann erst unmittelbar vor dem Abspann, aber keine Sorge, bis dahin aushalten muss man nicht. Sonderlich geistreich sind die als Lacher gedachten Entwicklungen der Kinder der aufmarschierenden Eltern nämlich nicht. Wo die Schablone für die holprige Handlung kommt, ist bereits von der ersten Filmminute an klar.
Der Gott des Gemetzels soll heraufbeschworen werden, dieses mal in einer Dresdner Grundschule. Abgucken bringt nichts, hieß es früher in der Schule, aber Wortmann hat davon augenscheinlich nichts gehört. Vielleicht ist es ihm auch einfach schnurzegal, dass Frau Müller muss weg peinlich bemüht ist ein besseres nachahmt. Ein bisschen erinnert das an ein Schulkind, das einen populären Klassenkameraden kopiert – ohne zu begreifen, dass gerade sein Mangel an Originalität und eigenen Ideen so uncool ist. Um zu wissen, ob erst Wortmann seine Adaption nach Polanskis Verfilmung ausrichtete oder schon Co-Drehbuchautor Lutz Hübner seine Bühnenfassung nach Jasmina Rezas scharfsinnigem Stück modelte, müsste man sich eingehender mit Hübners Vorlage befassen.
Das scheint nach der Verfilmung ungefähr so prickelnd wie schulische Pflichtlektüre, über die man morgen einen Aufsatz schreiben muss, obwohl man sie bisher nicht mal aufgeschlagen hat. Für solche Nachlässigkeiten gibt es dann im Unterricht die entsprechende Note, die selbst die wohlwollendste Lehrkraft nicht schönfärben kann. Genau das wollen die Eltern, die in der Eingangsszene in feindlicher Übernahme ins Schulgebäude vordringen, um die titelgebende Klassenlehrerin (Gabriela Maria Schmeide) zur Abgabe der Klasse zu nötigen, nicht wahrhaben.
Ihre Kinder halten sie für unterforderte Genies, sozial Benachteiligte gegenüber besser gestellten Familien oder für „total terrorisiert“. Schuld ist Frau Müller! „Die hat ihre Chance gehabt“, kommentiert kühl Karrierepapa Patrick (Ken Duken), dessen Sohn unbedingt aufs Gymnasium soll. Ähnlich denken die übrigen Eltern mit Ausnahme der rein aus Solidarität anwesenden Katja (Alwara Höfels). Deren Sohn ist allerdings ein Musterschüler, was ihre inszenatorische Positionierung als Gegenstimme zu den unterbefähigten, überambitionierten Eltern unterwandert.
Dass nicht allein Prestige-Denken, sondern reale Zukunftsängste die Erpressungsaktion motivieren, verdrängt Wortmann wo es geht. Stattdessen zerstreut die trotz überschaubarer 87 Minuten zähe Story die Protagonisten im leeren Schulgebäude. Das Kölner Paar Patrick und Moralheulsuse Marine (Mina Tander) diskutieren in der Turnhalle, die alleinerziehende Katja und der arbeitslose Ex-DDR-Bürger Wolf diskutieren vor einem kaputten Getränkeautomaten ihre kaputte Affäre. Aus Zickigkeit wird Rührseligkeit, nur Oberzicke Jessica (Anke Engelke) fällt ins Wasser. Der Plot ist da schon längst gelandet.
Die Stereotypisierung der Elternfiguren läuft der satirischen Prämisse zuwider. Statt Selbsterkennen gibt es nur Fremdschämen, besonders wenn sich hinter den vorgeführten Vermessenheiten der Figuren die Vorurteile der Filmemacher enttarnen. Katja, die gegen Wolf stichelt: „Seid doch nicht so ein Mädchen!“ hat im Film einen Sohn statt einer Tochter, wohl da Wortmann dessen Werdegang zum Hacker zu unmädchenhaft fand. Ossi-Kinder sind lernschwache Janines, Wessi-Kinder ADHS-Lucasse, die Beamtin im öffentlichen Dienst eine fabelhafte pädagogische und ethische Institution. Ironischerweise sind gerade solche Momente die aufschlussreichsten einer unfreiwilligen Selbstparodie, die sich in ihren eigenen Dialogen demaskiert: „Wenn’s um Konflikte geht, wird das hier immer unterirdisch.“
Regie: Sönke Wortmann, Drehbuch: Lutz Hübner, Sarah Nemitz, Oliver Ziegenbalg
Darsteller: Gabriela Maria Schmeide, Justus von Dohnányi, Anke Engelke, Ken Duken
Filmlänge: 87 Minuten, Kinostart: 16.01.2015, www.constantin-film.de/kino/frau-mueller-muss-weg/