Frau Kowalski-Kokolowski hilft der Polizei noch nicht

Von Molly Logan @Frau_Logan

Eine hagere Blondine betrat den Raum. Wer bei dem Wort “Blondine” jetzt allerdings an eine strahlende Schönheit mit silberhellem Haar, der Farbe satten Weizens in der Sonne oder güldener Fülle denkt, liegt komplett falsch.
“Blond” ist hier eher Sammelbegriff für alles, was man mit Haaren so anstellen kann, die von Natur aus einfach nur straßenköterblond sind: Am Scheitel zeigte sich ein satter, 8 cm reichender gräulicher Ansatz, der in irgendwas Dunkelblondes (mit vielen grauen Strähnen) und dann auf Kinnhöhe Mittleblondes (mit etwas weniger grauen Strähnen, ein paar helleren Strähnen und letzten Schwingungen einer sauren Dauerwelle) überging, und sich schließlich splissig und dürr in Ammoniakblond (mit Resten roter Strähnchen und fusseligen Resten besagter Dauerwelle) auf die mageren Schultern stützte.
Um weiterhin die wunderbare Welt der Haarkosmetik in den methaporischen Bereich der Hundewelt zu verlegen, so könnte man diese Haarpracht ruhigen Gewissens als Kind eines “Senfhundes” bezeichnen, da hatte jeder mal sein Würstchen drin.

Der Rest der Frau war nicht weiter erwähnenswert: Falten, Tränensäcke, angefalteter Hals, hagere, knochige Statur, die mit einem Tank-Top, einer zerrissenen knallenge Bluejeans und ein paar undefinierbaren Sandalen bekleidet war. Daraus lugten – farblich zu den Resten auf den Fingernägeln passend! – blutrot gelackte Fußnägel.
An den Fingern und um die Handgelenkte bisschen Billigschmuck, das ebenfals nicht mehr frische Dekoltee leider unbedeckt.
Der rosafarbene Lippenstift passend zur (immerhin hundefreien!) Handtasche, die Augen stark schwarz umrahmt. Warum auch immer, hübscher machte das die Dame nun wirklich nicht.
Man könnte also sagen: Schminke und die Figur eines Teenagers in den Klamotten eines Teenagers mit der dermatologischen Konsistenz einer verlebten end-forty-agerin.
Unschön.

Diese Frau betrat nun also den Raum. Was daran erwähnenswert ist?
In dem Raum befanden sich 3 Männer, von denen 2 Polizisten und einer zweifellos tot war.
Die Spurensicherung war soeben abgerückt und die beiden Polizisten – Kommissar Bieber und Oberkommissar Justin – betraten soeben grummelnd den Tatort.
“Bei C.S.Y. dürfen die Bu-, ich meine: Dürfen die Kollegen immer als Erstes die Leiche sehen!”, grummelte Bieber. “Die müssen nie erst stundenlang dumm rumstehen!”
“So viel sei der Dramaturgie geschuldet!”, verkündete Justin besserwisserisch. “Bei mindestens einem Mord pro Folge, 3 verschiedenen Intrigen und 5 falschen Spuren inklusive anschließender Täterfindung, Verfolgungsjagd und Geständnisüberraschung da bleibt einfach keine Zeit für die Realität! Das nennt man, äh, ‘zuschauerkompressionierte Realität'”
Bieber schnaubte: “Du meinst wohl ‘komprimiert’! Wie hast Du es eigentlich zum OK geschafft mit all dem Blödsinn, den Du von Dir gibst?”
Justin warf seinem theoretisch Untergebenen einen finsteren Blick zu: “Das ist kein Blödsinn, sondern Allgemeinbildung! Und wenn ich es irgendwann auf den Ratestuhl schaffe und die Milionen absahne, werden wir ja sehen, wer zuletzt lacht!”
“Jaja”, brummte Bieber, der sich DIE Story schon an die 1000 Mal hatte anhören müssen. “Woll`n wir dann mal?” Er zeigte auf den ziemlich toten Mann, der vor ihnen auf dem Boden lag.
“Moment mal”, Justin deutete auf die Frau, die gerade zur Tür herein kam. “Wer sind Sie und was haben Sie hier zu suchen?”

“Gestatten, Magdalena Matschmann, Frührentnerin. Und was ich hier suche, sind SIE, meine Herren!”
Strahlend und die Proteste der Herren ignorierend kam die Frau näher.
“Das hier ist ein Tatort”, blaffte Bieber und packte die Frau am Ellebogen, um sie aus dem Zimmer zu bugsieren. “Wie sind Sie eigentlich hier rein gekommen?”
Die Mehrfarbige schüttelte ihn ab wie ein lästiges Insekt. “Na, ich bin an Ihrem eifrigen Wachmann unten vorbei und dann die Treppe rauf”, flötete sie und schenkte den Kommissaren ein nikotingefärbtes Lächeln. “Und wenn das hier kein Tatort wäre, wäre ich wohl kaum hier, oder?”

“Jetzt reicht`s aber!”, ging Oberkommissar Justin energisch dazwischen. Grob stupste er die Frau zurück in den Hausflur. “Zivilisten haben hier nichts zu suchen!”
“Wir sind auch Zivilisten”, grummelte Bieber, der sehr großen Wert darauf legte.
“Na, da sehen Sie`s!”, strahlte die Frau völig unbeeindruckt. “Ich habe genau so ein Recht, hier zu sein, wie Sie!”
Die beiden Kommissare wechselten einen Blick. “Wie kommen Sie denn auf so einen Käse?”, verlangte Bieber zu wissen. “Wir leisten hier wichtige Ermittlungsarbeit! Sie haben ja Mumm, hier aufzutauchen: Was, wenn der Mörder noch hier wäre, hä?”
“Sie müssen das so sehen, meine lieben Herren Polizisten: Ich habe doch als Bürgerin dieses Landes das Recht, unter gewissen Umständen eine ‘Bürgerverhaftung’ vorzunehmen, nicht wahr?”
“Ja? Das ist richtig, aber …”
“Und wenn der Mörder noch hier wäre und Sie nicht, dann wäre ich befugt, ihn festzunehmen und zu fesseln oder dabei auch unter Umständen auch Gewalt anzuwenden, nicht wahr?”
“Ja, aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus?”
“Wenn ich also – wie immer unter gewissen Umständen, ein Jurist könnte Ihnen das sicher besser erklären! – einen Mörder zusammenschlagen, verletzten, fesseln und somit seiner Freiheit berauben darf, warum sollte ich mir dann nicht den GRUND seiner Taten ansehen dürfen, Sie wissen schon, immerhin wüsste ich dann ja auch, dass er ein Mörder IST, aber das müsste ich ja erst mal wissen, weil wenn ich das nicht wissen würden täte, dann wäre ja auch meine ‘Bürgerverhaftung’ rechtswidrig und das gälte dann als Köper.. ach, sagen wir SCHWERE Körperverletzung und als Freiheitsberaubung und wer will da schon verklagt werden, frage ich Sie?
Und da ich mich nun einmal moralisch dazu verpflichtet fühle, fiese Verbrecher und natürlich auch Mörder in meiner Funktion als brave Bürgerin dieses schönen Landes festzunehmen – alleine schon, um die Allgemeinheit und somit auch Sie! vor weiteren Schandtaten dieses mordlüsternen Irren zu bewahren – ja DANN muss ich mich natürlich – auch dies eine moralische Verpflichtung, der ich mich unterworfen sehe! – VORHER davon überzeugen, dass der Mörder auch tatsächlich ein Mörder ist, sprich: Auch tatsächlich ein Mord stattgefunden HAT!
Man stelle sich nur vor, hier wäre gar kein Mord passiert und mir wäre eben im Hausflur ein blutbeschmierter Mann über den Weg gelaufen, in der Hand ein großes Messer, und ich hätte ihn einfach so als ‘Mörder’ bezeichnet! Dabei hätte sich der arme Kerl nur beim Zerlegen eines Schweinebratens in der Küche verletzt und wollte nun einen hilfsbereiten Nachbarn um einen Verband ersuchen, wer weiß das schon! Also wenn ich-”

“Halt! Stop! Das hält ja keiner aus!”, unterbrach Oberkommissar Justin endlich den Redefluß der Frau. Dummer Weise jedoch fiel weder ihm, noch Kollege Bieber auf die Schnelle ein schlaues Gegenargument ein: Die Ausführungen der Dame waren schlichtweg falsch. Das wusste er. Nur leider erkannte er nicht, WO GENAU der Fehler war. Daher flüchtete sich der Oberkommissar – der es schließlich nicht umsonst zum Oberkommissar geschafft hatte! – in die altbewährte Taktik des Gegenangriffs: “Und überhaupt: Was wollen Sie eigentlich von uns?” – “Na Ihnen helfen natürlich!”
“Wobei?”
“Na, den Täter zu finden, ist doch klar!” Die Frau lächelte erneut.
“Das wird mir jetzt zu bunt hier, jetzt weisen sie sich erst einmal aus” Oberkommissar Justin streckte fordernd die Hand aus. Frau Matschmann wühlte in ihrem bonbonrosafarbenen Täschchen und überreichte ihm dann ihren Personalausweis sowie eine Visitenkarte.

“Gabriele Kowalski-Kokolowski”, las Justin vor. Dann widmete er sich dem laminierten Pappkärtchen:

Magdalena Matschmann, Dunkelseherin o.A.
‘Ich schaue in die Zukunft Ihrer Feinde und Widersacher!’**
1 Sitzung (20 Minuten): 15 Euro.
3 Sitzungen (je 20 Minuten) zum Sparpreis von nur 40 Euro!
Anmeldung unter: ****/********
EMail: ******@abc.de
Pro Sitzung wird nur die Zukunft einer Person betrachtet!
*Alle Angaben ohne Gewähr, schließlich denke ich mir das alles nur aus!

“Dunkelseherin?”, echote Bieber.
“Oh ja! Damals als Ich-AG gestartet, bin ich mittlerweile so richtig selbstständig, mit Steuern zahlen und allem Drum und Dran!”, strahlte Gabriele Kowalski-Kokolowski alias Magdalena Matschmann stolz.
“Dunkelseherin?”, echote Bieber erneut.
“Oh ja! Ich sage Ihnen, das kommt ja SO VIEL besser an, als diese ganze Hellseherei! Mal ehrlich: Wer glaubt denn noch an sowas, hä? Rosige Zukunft, finanzieller Reichtum, strammer Ehemann und goldige Enkel für die Mutter, ist doch alles LANGWEILIG! Glaubt hier kein Schwein, das sag ich Ihnen, da sind die Leute hier knallharte Realisten! Dagegen etwas über die UNSCHÖNE Zukunft eines ungeliebten Menschen zu erfahren … Sie glauben ja nicht, wie voll mein Terminkalender ist!”

Oberkommissar Justin und Kommissar Bieber beschlossen einfach mal jeder für sich, sich darüber nicht zu wundern: Nach so vielen Dienstjahren kannten sie die menschliche Natur zur Genüge.
Das einzig Verwunderliche war, dass noch niemand vorher auf diese Idee gekommen wa r…

“Und Ihr Künstlername ist Magdalena Matschmann?”, fuhr Justin fort.
“Ja, aber nennen Sie mich ruhig ‘Tripple M’!”
“‘Tripple M'”, grinste der Oberkomissar. “Weil in Ihrem Namen 3 Ms sind, richtig?”
“Ähm …” Frau Matschmann räusperte sich. “Eigentlich stamt der Spitzname von … Freunden und bezieht sich auf … meine … lebhafte Vergangenheit. Und da ich ihn nicht loswerden konnte, habe ich ihn, nun ja, ein wenig modifiziert!”

“Und was bedeutet ‘o.A.’? Ohne Auftrag?” Kommissar Bieber lachte.
“Ach nein”, winkte Frau Matschmann ab, “‘o.A.’ wie ‘ohne Ausbildung’! Man muss ja immer schön ehrlich bleiben, nicht wahr?”
“Äh”, OK Justin blinste erneut auf das kleine Kärtchen. “Und Sie geben offen zu, dass das alles nur Humbug ist?”
“Aber natürlich!”, die Dunkelseherin schüttelte empört den Kopf. “Wie gesagt: Immer schön ehrlich bleiben!”
Einen Moment waren die beiden Polizisten verblüfft.
“Und Sie wollen uns helfen, diesen Mord aufzuklären?” – “Aber ja doch, meine Herren!”

Wird Gabriele Kowalski-Kokolowski alias Magdalena Matschmann Teil des Ermittlerteams? Wird sie den Mord an dem ermordeten Mordopfer aufklären können?
Über welche ominösen Fähigkeiten verfügt sie und wann wird sie endlich wieder zum Friseur gehen?
WEr weiß das schon? Schließlich liegt die Zukunft im Dunkeln …


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