Franz Hohler: 52 Wanderungen

Wolfgang Krisai: Abstieg von der Hohen Wand. 2014. Buntstift, Tuschestift.Bei einer Autorenlesung in der Wiener Städtischen Bücherei, wo der Schweizer Autor Franz Hohler das Publikum zuerst zu Lachkrämpfen brachte und dann mit dem größten Applaus, den ich je bei einer Autorenlesung erlebte, belohnt wurde, kaufte ich mir die „52 Wanderungen“. „Für Wolfgang und seine Wanderschuhe“ schrieb Hohler mir hinein.

Ein Vorhaben zum Sechziger

Warum es gerade 52 Wanderungen sind, ist nicht schwer zu erraten: jede Woche eine, ein ganzes Jahr lang. Zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 2003 beschließt Hohler nämlich, jede Woche eine kleine Tageswanderung zu unternehmen. Und er hält durch, bei Wind und Wetter, im In- und Ausland.

Mit einem Kenner die Schweiz erkunden

Auf jeweils vier, fünf Seiten beschreibt er in eher lakonischem Stil die Wanderung und seine Beobachtungen und Erlebnisse dabei. Das ist eine sehr nette Art, gemeinsam mit einem Kenner die Schweiz zu erkunden. Vom Bodensee bis ins Tessin, vom Engadin bis in die französische Schweiz reicht das Gebiet, wenn man von einigen wenigen Wanderungen, die im Ausland, zum Beispiel in Wales, stattfinden, absieht. Es gibt Wanderungen im Flachland genauso wie Besteigungen hoher Berge, Wege im Städtischen Ballungsraum wie auf einsamen Bergkämmen. Hohler geht manchmal mit seiner Frau oder mit Freunden, meistens aber allein. Er hat eine unspektakuläre Jause mit Holundersirup und Wurstbrot dabei und bricht sich gelegentlich einen Wanderstock ab, wenn es gar zu steil bergauf geht. Von Landkarten ist selten die Rede (nur, wenn die alte von 1975 zum Beispiel eine neue Straße noch nicht verzeichnet), von GPS oder Navigationsgerät natürlich schon gar nicht. Hohler kennt sich einfach aus. Er ist ja immer schon, scheint es, in der Schweiz umhergewandert.

Ins Exil gehen?

Ein bisschen richtet er sich nach der Wetterlage und ärgert sich, wenn er diese falsch einschätzt. Auch die politische Wetterlage macht ihm Sorgen, da in diesem Jahr die Schweizer Nationalisten im Parlament die Mehrheit erobern. Da erkundet Hohler gleich einmal einen „Fluchtweg“ ins deutsche Exil (S. 151).

Mit seinem Deutschlehrer auf Bergtour

Besonders gefallen hat mir die Wanderung mit seinem ehemaligen Deutschlehrer L. auf das Brienzer Rothorn (S. 121-124). Der Lehrer ist 23 Jahre älter.

„Ich bin oft hinter ihm hergegangen, schon als Kantonsschüler. Er war damals mein Deutschlehrer, war für seine gewagten dreitägigen Schulreisen gefürchtet und hat uns gelegentlich auch gefragt, ob wir Lust hätten, mit ihm eine Bergtour zu machen. Ein paar wenige hatten jeweils Lust, und ich war immer bei den wenigen. Die Ernsthaftigkeit, mit welcher er in die Berge ging, und die Ernsthaftigkeit der Gespräche, die wir führten, der Fragen, die er stellte, und auch die Ernsthaftigkeit, mit welcher er schweigen konnte, gefielen mir, der ich viel leichtfertiger war, und nach dem Ende der Schulzeit fragte manchmal einer der anderen, ob er Lust hätte, mit in die Berge zu kommen. Langsam wuchs unserer Vertrautheit. Er sei, sagte er mir einmal, für lange Freundschaften gemacht.“ (S. 122f)

Wanderschuhe anziehen!

Zu Lachkrämpfen wird man von diesem Buch nicht animiert, das passt nicht zum Wandern. Aber dafür befällt einen die Lust, selbst die Wanderschuhe anzuziehen und wieder einmal die Gegend zu erkunden.

Franz Hohler: 52 Wanderungen. btb, München, 2007. 233 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Abstieg von der Hohen Wand.  2014. Buntstift, Tuschestift. – Die Hohe Wand ist ein rundum steil, zum Teil sogar in Felswänden abfallender, oben aber eher flacher Berg bei Wiener Neustadt. Zahlreiche Routen und Klettersteige bieten sich zum Begehen an. 


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