Harrison Ford und Emmanuelle Seigner (mit rotem Kleid tanzend!) sind gestandene Könner ihrer zu verrichtenden Arbeit auf der Leinwand. Ein Glück, dass Polanski sie für "Frantic" gewinnen konnte. Er kitzelt aus ihnen das Nonplusultra dessen heraus, womit der Film Hochspannung aus einer schleierhaft-diffusen Entführungsarchitektur suggeriert, die über viele waghalsige, über zahlreiche unsicher umherschlängelnde Abzweigungen schließlich metaphorisch zwischen Eiffelturm und Freiheitsstatue endet. Nur dass der Preis der Freiheit so hoch ist, dass der Einsatz des Lebens geopfert werden muss. Ford spielt die Urgestalt einer gleichermaßen verwirrenden wie verzweifelten Hitchcock-Statur kess und ein bisschen sexy, die in ein ihr bislang unbekanntes Mordsabenteuer hineinschlittert und sich an keine Hilfe festhalten kann, weil keiner richtig weiß, worin diese Hilfe bestehen sollte. Richard Walker (Ford) als Normalsterblicher im Dunstkreis der Einsamkeit. Seine Frau – entführt. Der Grund – irgendeiner. Er – allein. Insofern grandios interpretiert, als dass der ambivalente Harrison Ford ungeheuer flexibel die gedrückte Niedergeschlagenheit, aber auch die teuflische Ironie unverfälscht mitzuteilen weiß. Die zwei besten Szenen hat er, als er das letzte Mal vor dem Finale mit seinen Kindern telefoniert (Niedergeschlagenheit), sowie der Moment, in dem er sich als Liebhaber Michelles (Seigner) verstellt, um die Gangster in Schach zu halten (Ironie). Wie üblich bei Polanski – der Riecher für die Präzision des Bildhintergrundes in akribisch arrangierter Komposition zum Bildvordergrund. In der großartigen Duschszene, der Schlüsselstelle der Entführung, zeigt Polanski einen ohrenbetäubenden Brausevorgang, stellt Ford (blind, taub) in den linken Teil des Bildes, während im rechten wiederum jener einzige Informationssprung angesichts eines tüchtigen Zooms sukzessive ausgemalt wird, den der Zuschauer gegenüber der von der Kamera mit viel Beharrlichkeit beobachteten Hauptfigur hat.
"Frantic" ist charmant unzeitgemäß und doch ruhelos, atmosphärisch verschlossen und handwerklich unaufdringlich, die assoziativen Morricone-Teppiche legen sich nie über die Szenerie, sondern füttern sie. Der Film studiert menschliche Lügen, was die Frage aufwirft, welchen man glauben darf, sofern man ihnen glauben will. Kleinere Randdetails blähen sich zu essentiellen auf, diese nähren wiederum den MacGuffin in Form eines Nuklearsprengsatzauslösers, Anstoßgeber und Motor der feingesponnen, streckenweise eine Prise zu langen Konstruktion, die, man verzeihe, gelegentlich trotzdem nicht umhin kommt, sich dem Holzhammer hinzugeben, wenn unvorhergesehene Komplikationen nah an der Katastrophe entlangschrammen (Statue auf dem Dach zerschellt unterhalb dessen). Polanski zeichnet überdies ein der Konsensmeinung diametrales Panorama politischer wie sozialer Gegenwärtigkeit einer verlockenden Stadt, von der wir zu wissen glauben, dass wir alles über sie wissen. Das Paris der neckischen Liebe verkommt dem der abgestumpften Schroffheit. Hinterhöfe, Hintergassen, Hinterausgänge, Klamotten, Musik und Schminke ausgiebig, Drogen en masse, Exzess logisch, Grace Jones peitscht voran, dann noch neonbeleuchtete Parkhäuser, abgesplitterte Treppenhäuser, versiffte Freunde; die Bürokratie zerstört alles, der individuelle Anti-Lifestyle ist längst im gesellschaftlichen Mainstream angedockt. "Frantic" inhaliert beißenden Lokalkolorit, den Polanski der verschlungenen Wahrheitssuche unterjubelt, die stets durch deren aufreizende Verführbarkeit für den einzig Unkorrumpierbaren Gefahr läuft, sich im Kreis zu drehen. Der von diesem Regisseur in diesem Film angehimmelte Hitchcock hätte seinen Gefallen daran gefunden. Bestimmt. Und Polanski hat noch Knackigeres gedreht, aber er hatte zumindest einen Plan vom Zitat zur Hommage.
6/10