Junge Welt, 20.06.2013
Rechte und neoliberale Kräfte innerhalb der Regierungspartei könnten Politik nach deutschem Vorbild machen
Frankreichs Sozialisten wollten am vergangenen Wochenende nicht weniger als ein europaweites Aufbruchssignal geben, mit dem die sozialdemokratische Linke in der EU in die Offensive übergehen sollte. Auf der europapolitischen Konferenz stellte die Partei des französischen Präsidenten François Hollande ihren Gegenentwurf zum Spardiktat vor, das die Bundesregierung der Euro-Zone aufzwang. In einer Resolution der Sozialisten wurde zur entschiedenen »Konfrontation mit den europäischen Rechten« aufgerufen. Diese stünden für eine Politik der ungehemmten Konkurrenz – bei der »jeder gegen jeden« stehe – und etablierten europaweit eine »Logik des Gegeneinander«. Eindringlich warnten Parteivertreter vor einem Erstarken der extremen Rechten bei den kommenden Europawahlen, das durch die Sparpolitik befördert werde.
Doch die Aufrufe zur länderübergreifenden Geschlossenheit der sozialdemokratischen Linken konnten die zunehmenden Spannungen und Differenzen innerhalb der Sozialistischen Partei (PS) kaum verdecken. Den größten Streitpunkt bildete in jüngster Zeit ausgerechnet die besagte europapolitische Resolution, die auf Betreiben der Regierung und des rechten Flügels in entscheidenden Punkten entschärft wurde. Wochenlang habe die Partei um das Papier »gerungen«, meldete die Financial Times. Schließlich sei es der Führung gelungen, »die Sprache zu entschärfen und linke Ergänzungsanträge abzublocken«. Zum einen ließ sie die Passage entfernen, die der »egoistischen« Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Verantwortung für die schweren sozioökonomischen Verwerfungen in der Euro-Zone gab. Zudem wurden die Forderungen der Linken nach einer Aussetzung des deutschen Fiskalpaktes abgeschmettert, der die Kürzungsvorgaben europaweit institutionalisiert.
Dabei soll es nach den Wortführern des linken Flügels der französischen Sozialdemokraten alles andere als demokratisch zugegangen sein. Die Parteiführung habe untersagt, »einen alternativen Leitantrag vorzustellen«, klagte der linke Abgeordnete Guillaume Balas. »Dann hat man uns unter Druck gesetzt, daß wir keine gemeinsamen Änderungsanträge einreichen, und jetzt werden die Wahlergebnisse manipuliert«, so Balas gegenüber Medienvertretern. So hatte beispielsweise der Antrag des linken Flügels, die Europäische Zentralbank (EZB) einer politischen Kontrolle zu unterwerfen, laut dem Parteivorsitzenden Harlem Désir bei einem Mitgliedervotum weniger als 25 Prozent der Stimmen erhalten. Die Linke geht dagegen von 47 Prozent aus, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Demnach soll die Parteiführung auch alle ungültigen Stimmen und Enthaltungen als Gegenstimmen gezählt haben.
Wie sehr die europapolitischen Vorstellungen in der PS auseinanderdriften, macht der Auftritt des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors deutlich. Er sieht die Ursachen der Euro-Krise im »Finanzsystem sowie im wirtschaftlichen Rückstand einiger Mitgliedsstaaten« und rief – ganz nach Merkels Muster – zur Verbesserung der »Wettbewerbsfähigkeit« auf, wie das Handelsblatt zufrieden bemerkte. Diese Steigerung der französischen Wettbewerbsfähigkeit will die PS-Regierung in einem ersten Schritt durch eine neoliberale Rentenreform in Angriff nehmen. Unter anderem ist dabei eine Anhebung der notwendigen Beitragsjahre von 41,5 auf 44 Jahre vorgesehen. Inflationsausgleich sowie Steuernachlässe für Rentner sollen abgeschafft werden. Bei genauerer Betrachtung unterscheidet sich die Politik der Sozialisten somit gar nicht so sehr von den »Sparprogrammen« der Konservativen, gegen die die PS auf ihrer Konferenz mobilmachen wollte.
Diese anstehenden »Reformen« haben inzwischen einen guten Teil der Parteianhängerschaft verprellt. Nur noch 15 Prozent der Wähler würden laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov bei den kommenden Europawahlen für die PS stimmen, die somit hinter der neofaschistischen Front National (18 Prozent) und der konservativen UMP (19 Prozent) auf Platz drei liegen würde. Selbst unter den Anhängern der Sozialisten gab nur noch rund die Hälfte an, ihr Kreuz wieder beim PS machen zu wollen