Frankfurter Buchmesse – eine Entwicklung

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Für den 19. Oktober 1533 prophezeite der Theologe, Mathematiker und Reformator Michael Stifel das Ende der Welt. Genau 483 Jahre später eröffnet die Frankfurter Buchmesse ihre Tore – der Weltuntergang hat nicht stattgefunden. Auch wenn es zunächst so aussieht, als würde beide Ereignisse, außer der zufälligen Übereinstimmung des Datums, nichts verbinden. Weit gefehlt!

Die Erfindung des Buchdruckes als Initialzündung der Frankfurter Buchmesse

Das verbindende Element zwischen den Ereignissen ist die Erfindung des Buchdruckes um das Jahr 1450 herum, die eine wahre Medienrevolution auslöste. Der Handschriftenhandel wurde durch den Verlagsbuchhandel ersetzt und Frankfurt am Main stieg in der Folge zur zentralen Buchmesse-Stadt Europas auf. Aufgrund der möglichen schnellen Verbreitung von Schriften, konnten die Ideen der Reformation und Aufklärung erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Naturgemäß gab es nicht nur gute Ideen, immer wieder auch Irrwege. Die törichte Schrift eines gewissen Herrn Stifel „Vom End der Welt“ ist ein lebendiges Beispiel: Sie basiert auf der „Wortrechnung“, welche zu dieser Zeit verbreitet war, und mit deren Hilfe er Texte und Buchstaben der Bibel mathematisch zu deuten versuchte. Der Weltuntergang blieb bekanntlich aus, was für den Rest der Welt durchaus sehr erfreulich war und ihm, als Nebenwirkung seines fehlgeschlagenen Orakels, eine ernüchternde Schutzhaft einbrachte. Zur Ehrenrettung des Herrn Stifel sei hier noch angemerkt, dass er im späteren Lebensverlauf die Welt durchaus mit vielen exzellenten Büchern, zu meist mathematischen Themen, bereichert hat – Schulkinder in aller Welt sind bis heute begeistert von seinen Theorien zu Arithmetik und Algebra.
Doch zurück zum großen Weltgeschehen …

Von der Aufklärung zur Gegenreformation – Aufstieg und Fall Frankfurts

Die Zeit der Aufklärung sollte für die Frankfurter Buchmesse Fluch und Segen gleichzeitig werden: Einerseits waren da die aufklärerischen Impulse der Vordenker, die sie in ihren Büchern einer immer größeren Öffentlichkeit präsentieren konnten und die zunehmend die zeitgenössische Literatur, Kunst und Politik beeinflussten, was wiederum die Nachfrage nach Büchern steigen ließ. Ein sich selbst verstärkender Prozess, der Frankfurts Bedeutung als Zentrum des europäischen Buchhandels permanent steigerte.

Andererseits rief das Plädoyer für religiöse Toleranz, den Kampf gegen Vorurteile und für das gesellschaftspolitische Ziel einer emanzipierten Bürgergesellschaft – mit Menschenrechten und Bildung für alle – schon bald böse Geister auf den Plan, die das muntere Treiben wenig lustig fanden. Eine kritische Öffentlichkeit? Ein wahrer Albtraum für die damalige katholische Kirche und den Kaiser! Zensur und Kontrolle sollten es richten und so kontrollierten alsbald kaiserliche Bücherkommissare die Einhaltung der „guten Sitten“. Die Gegenreformation war geboren und nicht nur die Schriften Martin Luthers wurden verboten.

Die Gegenreformation macht Leipzig zur Königin des Buchhandels

Verleger und Drucker aus Frankfurt wichen in der Folge nach Leipzig aus, da Kirche und Kaiser dort weniger Einfluss hatten. Der Niedergang der Frankfurter Buchmesse als Epizentrum des Buchhandels sollte gleichzeitig die Blütezeit für Leipzig als Buchstadt einläuten. Die Vorherrschaft gegenüber Frankfurt konnte sie über einen Zeitraum von unglaublichen 300 Jahren verteidigen, bis sie ab 1945 zu einem Nischendasein im Arbeiter-und-Bauern-Staat verurteilt wurde. Diesmal wurde Leipzig von Willkür, Kontrolle und Zensur hart getroffen und so pilgerten die Freigeister des Buchmarktes zurück nach Westen und machen seitdem die Frankfurter Buchmesse erneut zum Branchenprimus im Land der Dichter und Denker – womit wir den Ritt durch 500 Jahre deutscher Buchgeschichte mit schlanken 517 Wörtern an dieser Stelle hinter uns lassen.

Willkommen in der Gegenwart … der schönen neuen Welt

Über ein halbes Jahrtausend lang wurden die Prozesse rund um Buchherstellung und Vertrieb zwar technologisch perfektioniert, jedoch niemals vom Grundsatz her in Frage gestellt – bis das Internetzeitalter alles änderte. Die digitale Revolution verändert nicht nur die gesamte Gesellschaft, sondern auch die Spielregeln des Buchhandels wesentlich umfassender und hundertfach schneller, als es die Erfindung des Buchdruckes vor über 500 Jahren je vermochte. Der digitale Wandel – an dessen Anfang wir stehen – führt bereits jetzt zu einer Art Sinnkrise der Branche.

Die moderne Frankfurter Buchmesse: Spiegelbild und Schauplatz eines medialen Wandels

In diese Gemengelage startet nun die Frankfurter Buchmesse 2016 hinein. Bereits seit einigen Jahren setzt sie auch auf moderne elektronische Medien – gegen den Widerstand vieler etablierter Medienvertreter – um neuen medialen Entwicklungen Platz zur Entfaltung zu bieten.
Auf dem Parkett der Messe ist das auffälligste Beispiel auch dieses Jahr die rasante Entwicklung und Professionalisierung des Self-Publishing, welches die Kräfteverhältnisse zwischen den Protagonisten des Buchmarktes kräftig ins Wanken bringt, da das Internetzeitalter Autoren und Lesern vielerlei Alternativen zu den klassischen Buchhandelsstrukturen bietet. Autoren organisieren sich in Netzwerken oder Verbänden, und neue Formen des Buchhandels entstehen. Überall sprießen die zarten Pflanzen eines neuen literarischen Selbstverständnisses.

Auch etablierte Fachzeitschriften wie der Buchreport haben den Trend erkannt und berichten regelmäßig in einem eigenen Format über die unabhängigen Verlage und das Self-Publishing, die sogenannten „Indies“.
Kritiker dieser neuen Medienkultur sprechen in diesem Kontext gerne über einen Verfall der hohen literarischen Werte – welche das auch immer sein mögen? Im Geiste sind dies dieselben, die den diesjährigen Literaturnobelpreis an einen Sänger und Songwriter für einen schlechten Scherz halten. Sie verachten die Tatsache, dass Texte ihren Zauber nicht zwangsweise nur über die Schrift, sondern manchmal erst durch die Form des Vortrages entfalten – und damit mehr Menschen in ihrem Innersten berühren, als Schrift allein das vermag.

Im Übrigen steht völlig außer Frage: Innovation fördert nicht nur Geniales, auch Fehlschläge und Irrwege gehören dazu – wie ein Blick in das Jahr 1533 unmissverständlich aufzeigt. Hätte man deshalb Bücher bzw. die neue Technik verteufeln sollen? Wohl kaum, sonst wären viele wunderbare Erfindungen nicht gemacht und tolle Geschichten nicht geschrieben worden.

Leser möchten keine Hohepriester – sie möchten Autoren zum Anfassen

Die menschliche Komponente ist – durch den interaktiven Charakter der sozialen Netzwerke – ein wesentlicher Treiber der gerade stattfindenden Medienrevolte. Alle können nicht nur passiv dabei sein, sondern werden sogar zum Mitmachen ermutig – nicht nur online, auch live und möglichst auf Augenhöhe. Die Leipziger Buchmesse, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhanges gegen Frankfurt neu positioniert hat, macht sich diesen Trend sehr erfolgreich zu eigen und ist heute in erster Linie eine Publikumsmesse, die die Begegnung zwischen Autor und Besucher in den Vordergrund stellt. Frankfurt setzt nach wie vor schwerpunktmäßig auf das Fachpublikum, lässt Privatbesucher nur an zwei Tagen zu. Ein bisschen mehr Leipzig könnte hier zukünftig sicher nicht schaden.

Dennoch, egal ob Publikums- oder Fachmesse: Was den Reformatoren und Aufklärern vor vielen Jahrhunderten noch zu Ihrem Erfolg fehlte, nämlich der direkte, schnelle und umfassende Dialog mit den Menschen, ist nun Wirklichkeit geworden.

Das letzte Kapitel einer immer noch unvollendeten Aufklärung könnte nun geschrieben werden. Die Ziele – Freiheit, Toleranz, Teilhabe und Bürgerrechte – sind immer noch erstaunlich aktuell. Die Feinde dieser Werte, in anderem Gewand, leider auch.
Tragen wir Sorge, dass Geschichte sich nicht wiederholt!


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