Françoise Cactus: Sprechstunde

Françoise Cactus: SprechstundeUne Entrevue téléfonique von Catherine Collin
Stereo Total machen es jedem schwer, der versucht, sie in eine Schublade zu stecken. Der lässige Brezel Göring und die Power-Chanteuse Françoise Cactus schaffen es seit Jahren, ihren kompromisslosen Weg als Paar und als Gruppe unbeirrt zu gehen. Und so klingt das neue Album wie ein Road Movie, der vor 50 Jahren in der Garage von Antoine und seinen Élucubrations ("Les Élucubrations d'Antoine" von Antoine, 1966) startet, um im Hier und Jetzt der Berliner Clubszene zu enden. Mittendrin steht Madame Cactus und wirkt (dial a cliche) so erfrischend und prickelnd wie ein frisch eingeschenktes Glas Champagner. Die Exil-Französin fühlt sich nach drei Jahrzehnten in Berlin immer noch zu hause und lebt dort, was sie in ihren Liedern predigt: unaffektierte, pure Lebenslust. Zeit also für ein paar grundsätzliche Fragen.
Françoise, kommt der Kaktus im Namen eigentlich aus Deinem Elternhaus oder aus dem Lied von Jacques Dutronc?
Beides! Eigentlich habe ich dieses Pseudonym schon sehr früh ausgesucht: Meine Mutter ist Hobbygärtnerin und pflegte, während des Winters alle Kakteen in mein Schlafzimmer einzuquartieren. Ich hatte schreckliche Angst – auf meinem Nachttisch gab es zum Beispiel ein ganz grausames Exemplar und ich dachte, wenn ich mich während die Nacht bewege, würde ich mich daran stechen (lacht). Und dann ist da natürlich noch das Lied von Jacques Dutronc (Le monde entier est un cactus, Jacques Dutronc, Album: Il est cinq heure,1966 – Anm. Redaktion).

Die Energie aus dem Berlin der 90er, wo Stereo Total ja entstanden sind – trägt sie noch heute, oder bedeutet Dir die Stadt mittlerweile etwas anderes?
Berlin hat mir immer etwas gegeben. Ich lebe hier seit Mitte der Achtziger Jahre. Ich sehe, wie diese Stadt sich verändert, jedes Jahrzehnt hat seine ganz eigene Stimmung. Momentan ist es wieder sehr interessant. Die Stadt ist so international, das mag ich sehr. Es gibt hier viel Kommunikation zwischen den Künstlern und Kulturen, vieles ist sehr viel offener als mancher anderen Großstadt.
Vielleicht wie in Paris?
Ja, wie in Paris (lacht).

In der französischen Zeitschrift L'hebdo bezeichnete Thierry Sartoretti 1997 Eure Musik als preußischen Twist und Karpaten-Disko ... geht Dir Frankreich manchmal auf die Nerven?
Ja, die Franzosen regen mich auf. Und zwar immer mehr. Es nervt mich ungemein, dass so viele Menschen hier für Le Pen stimmen. Ich habe Anfang der 80er in Paris gelebt – und damals war es großartig. Selbst wenn ich heute nach Frankreich zurückkehren würde, in Paris wollte ich ganz sicher nicht mehr leben.
Gibt’s denn noch Alternativen zu Berlin?
Ja schon – New York! Und Los Angeles. Tokio vielleicht nicht unbedingt, vor allem zu dieser  Zeit (lacht). Aber Mexico City ... oder Madrid!
Françoise, ob in der Musik oder in der Liebe, Du hinterläßt immer den Eindruck, als sei alles sehr viel einfacher als wir uns das alle so denken. Was ist denn Dein geheimes Rezept für diese Leichtigkeit?
Ach, es ist gar nicht immer sooo leicht wie es vielleicht klingen mag. Ich versuche aber einfach immer optimistisch zu bleiben!
Ist Ernsthaftigkeit manchmal trotzdem eine Versuchung?
Nein! Ganz einfach deshalb, weil ich keine ernsthafte Frau bin. Absolut nicht! Ich muss mich vielmehr bemühen, wirklich ernst zu sein. Hier in Deutschland werden allerdings eher die ernsten, weil seriösen Künstler geschätzt. Aber ich möchte nun mal lieber fröhliche, lebendige Lieder schreiben, schließlich wollen wir die Leute ja unterhalten.
Auf Eurem neuen Album ist der Sound teilweise etwas härter, wer von Euch hatte Lust darauf?
Alle beide. Auch wenn unsere bekanntesten Lieder sehr heiter sind, haben wir immer auch düstere Stücke gemacht. Sachen über ... ja, Selbstmord zum Beispiel, also nicht gerade super lustig! Wir schreiben aber, wonach uns gerade ist und erst sehr viel später wird’s vielleicht analysiert. In ein paar Jahren sagen wir uns: Ach, guck mal, dieser Platte das war so oder so. Aber diese hier haben wir gerade erst geschrieben, also können wir noch gar nicht wissen warum …

Und bei der Sprache? Wie entscheidet Ihr, welche Sprache für welches Lied geeignet ist?
Wir haben mehrere Lieder, die in verschiedenen Sprachen erschienen sind. “ L’Amour à trois“ z.B. ist sowohl auf Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Deutsch und Französisch übersetzt worden. Aber normalerweise kommt die Idee für ein Lied sofort, und zwar entweder auf Französisch oder auf Deutsch. Ganz selten auf Englisch. Das war‘s. Ich entscheide also nicht im Vorfeld: Heute möchte ich unbedingt ein Lied über dieses oder jenes Thema machen – manchmal ist es auch nur ein kleiner Satz, der mir vorschwebt. Wie z. B.„Du bist schön von hinten“: Ich dachte an Schönheit und mir fiel auf, dass man bei Schönheit eigentlich immer nur an „vorne“ denkt, man stellt sich also seinen Gegenüber immer nur frontal vor. Aber Dich finde ich auch von hinten schön. Das ist einer dieser kleinen Gedanken, dem folgt ein Satz, spontan auf Deutsch oder Französisch, und all das entscheidet dann darüber, ob ein Lied in dieser oder jener Sprache erscheint.
Wie bewertest Du die Sprachen für Dich?
Meistens sind unsere deutschen Lieder um einen amüsanten, zweideutigen Satz aufgebaut, da steht eher die Idee im Vordergrund. Die französischen Songs sind hingegen mehr atmosphärisch, mit kleineren Wortspielereien. Die deutsche Sprache ist so aufgebaut, dass es unmöglich wäre, Sachen, die ich jetzt auf Französisch singe, plötzlich auf Deutsch zu singen.
Den Großteil der englischen Stücke wiederum könnte man unmöglich auf Deutsch wiedergeben – alle würden unweigerlich denken „wie grauenvoll!“.
Dein neues Lied “Halt deine Kerze gerade" klingt so, als seist Du auf eine bestimmte Person sauer?
Ja! Auf meine Mutter (lacht)! Ständig hat sie zu mir gesagt: „Halte Dich gerade!“ Sie war sehr streng.  Es ist also ein Lied gegen meiner Mutter (lacht). Na hoffentlich liest sie das nicht! Obwohl - nein, nein, es ist eigentlich doch gegen die strenge katholische Erziehung!
Neues Album – neue Tour: Wie ist es für Euch, wieder unterwegs zu sein?
Einerseits habe ich total Lust darauf, weil ich Konzerte liebe. Wir beide mögen es, es ist ja auch wirklich lustig. Wir haben super Fans, also läuft es eigentlich immer gut. Aber anderseits denke ich auch an die stundenlangen Busfahrten – und das nervt! Seit den 80ern bin ich unterwegs, bin schon so viele Kilometer gefahren und habe so viele Touren gemacht, mir tut echt schon bei dem Gedanken daran der Hintern weh und ich wünsche mir jedes Mal, ich wäre schon da.

Gibt es denn eine besonders schöne oder schlimme Tour-Erinnerung?
Eigentlich haben wir nie etwas Schlechtes erlebt. Obwohl – just in der Schweiz, dem reichsten Land schlechthin, hat man mir mal meine schönste Pauke geklaut!
Françoise, bevor wir uns verabschieden gebe ich Dir ein Paar Begriffe, und Du gibst mir Deinen Soundtrack dazu, einverstanden?
Ok!
Sommernacht?
"La Madrague" von Brigitte Bardot
Sonntagmorgen?
"Le petit pain au chocolat" von Joe Dassin
Die ganz große Liebe?
"Je t’aime, moi non plus" von Serge Gainsbourg
Berlin?
"Berlin" von Nina Hagen
Françoise Cactus?
"Le monde entier est un cactus" von Jacques Dutronc
Und Brezel Göring?
"Die großen weißen Vögel - Weit draußen auf dem blauen Meer" von Ingrid Caven.

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