Francesco Alberoni: Faust

Francesco Alberoni: Faust

Wolfgang Krisai: “Mann mit Füllfeder”, Bleistift.

Zur Zeit lese ich mit der 7A Goethes „Faust I“, daher habe ich für alles „Faustische“ einen Blick. In der Buchhandlung Feltrinelli im 6. Stock des Einkaufszentrums „Le Barche“ am Rande der Altstadt von Mestre (die Buchhandlung ist groß und ausgezeichnet, auch mit gemütlichem Café) fiel mir der Titel „Faust“ natürlich sofort ins Auge. Ein italienischer Faust-Roman? Mit dem Untertitel „Come il diavolo lavora per l’amore“ („Wie der Teufel für die Liebe arbeitet“) – das versprach, interessant zu werden.

Ein Teufelspakt

Die Sache beginnt auch mit einer genialen Idee: Die Hauptfigur, der rund 60jährige Werbeguru Ivan Ivanovic (politisch korrekter Held: mit Migrationshintergrund), spaziert durch Mailand und begegnet vor dem Piccolo Teatro, wo gerade Goethes „Faust I“ inszeniert wird, einer in klassischer Weise als Mephisto verkleideten Gestalt. Gelungener Werbegag, denkt er und wird auch schon von dem vermeintlichen Schauspieler angesprochen, ob er nicht schnell einen Teufelspakt unterschreiben wolle. Er weigert sich, plaudert aber mit dem Typ ein wenig. Fragt, was dieser ihm als Gegenleistung für die Unterschrift bieten könne. Mephisto sagt, er könne ihn, Faust, zwar nicht physisch verjüngen, wie dies bei Goethe geschehe, aber sehr wohl psychisch, sodass er plötzlich wieder neue Lebenslust verspüren und wie ein junger Mensch denken und handeln werde. Ivan weigert sich weiterhin, den Pakt zu unterschreiben, aber ein Autogramm gibt er dem Schauspieler gerne in dessen Moleskine-Autogrammbüchlein. „Damit habe ich die Unterschrift“, triumphiert Mephisto.

Und tatsächlich: Im Lauf des kurzen Romans gerät Ivans „altes“ Leben aus den Fugen und beginnt ein „neues“:

Die Ehe mit Irina, einer in Italien aufgewachsenen Russin, ist am Ende. Die Frau geht ganz in ihrer Rolle als Miteigentümerin einer russischen Firma, die irgendwie millionenschwer am russischen Gasgeschäft beteilgt ist, auf und interessiert sich für Ivan kaum mehr. Dessen Werbeagentur ist im Zuge der Wirtschaftskrise eingegangen, niemand braucht ihn mehr als Branchenguru, sodass er im Grunde froh ist, in Irinas Firma ein neues, aber ihr untergeordnetes Betätigungsfeld gefunden zu haben.

Allerdings: Auf die Dauer ist das keine tragfähige Konstellation. Irina ist zwar eine wunderschöne Frau, aber wenn da außer Befehlen ihrerseits nichts mehr läuft, kann das nicht gutgehen. Zumal sie, als in Moskau der politische Wind dreht, dorthin fahren muss, um zu retten, was zu retten ist. Von da an hört Ivan kaum noch etwas von Irina, die gewissermaßen von ihrem russischen Clan aufgesogen wird.

Da erinnert sich Ivan wieder an eine Freundin seiner Frau, Malena, die ihm immer schon sympathisch war, die aber in letzter Zeit bei Irina in Ungnade gefallen ist. Er ruft sie an – und wider Erwarten ist sie unter der alten Handynummer noch erreichbar und für ein Date bereit. Gemeinsames Abendessen, wo es nur so funkt. Malena rät Ivan, wieder in der Werbebranche tätig zu sein, dort könne man ihn sehr wohl noch brauchen.

Und tatsächlich: Ein befreundeter Weinhändler will ihn sofort für eine großangelegte Marketing-Kampagne engagieren, und eine Mailänder Werbeakademie wählt Ivan zu ihrem Präsidenten. In seinem alten „Club“, wo sich die Créme der Werbebranche trifft, freut man sich, dass er wieder auftaucht und gleich auch Malena mitbringt.

Als ein alter Freund Ivan und Malena in seine Villa am Comosee einlädt, fahren beide hin und es kommt zu wunderbaren Liebesnächten und dem Eingeständnis, dass beide einander schon längst geliebt hätten.

Am Ende des Romans begegnen Malena und Ivan wieder der Mephisto-Gestalt. Ivan sagt:

„Malena, da ist mein Mephistopheles.“

Mephistopheles hatte sie schon erspäht und eilte zu ihnen.

„Faust, Faust“, rief er, „warte.“

Ivan blieb stehen. Der andere macht eine tiefe Verbeugung. Dann, immer noch den Mantel gerafft und in tiefer Kniebeuge, sagte er: „Faust, das ist also Margarethe?“

„Nein, Mephistopheles, es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, das ist nicht Margarethe, sondern Malena.“

„Und wo ist Margarethe, Margaritina, Irina?“

„In Russland, und sie wird nicht zurückkehren.“

„Ernste Probleme, stimmt’s, Faust? Also ist das Helena. Ja, Malena, ich hab’s schon verstanden, aber sie ist immer auch Helena, die endgültige.“

„Ich denke, ja.“

„Siehst du nun, Faust, dass ich meinen Pakt erfüllt und dir das kostbarste Geschenk gemacht habe?“

„Ja, du hast ihn erfüllt, Mephistopheles. Aber verlangst du jetzt nicht meine Seele?“

„Und wie sollte ich sie mitnehmen? Die hat doch schon diese Dame, Helena oder Malena, mit sich genommen!“

„Mephistopheles, gestatte mir eine indiskrete Frage: Weshalb machst du das, wenn es dir überhaupt keinen Vorteil bringt?“

„Denk nach, Faust. Wenn es nicht der Teufel täte, wer würde sich heute noch ernsthaft um das Seelenheil kümmern?“

Damit endet der kurze Roman auf Seite 95 (Übersetzung von mir).

Das Gute an dem Roman

Die Handlung reißt einen nicht unbedingt vom Hocker, denn außer der originellen Mephisto-Idee ist sie reichlich konventionell: eben ein Liebes- und Ehedrama wie viele andere auch. Die Stärke des Buchs liegt eher in den reflektierenden Passagen. Wo Ivan über sich und die Liebe nachdenkt (was in personaler Erzählform geschieht – um hier einmal den Germanisten heraushängen zu lassen), ist das äußerst interessant. Wenn man die Kurzbiographie des Autors liest und erfährt, dass er „einer der berühmtesten Soziologen der Gegenwart“ sei, wundert einen diese Präzision des Blicks auf problematische Herzensangelegenheiten nicht mehr.  Auf Deutsch gibt es zwar diesen Roman – noch – nicht, aber zahlreiche Sachbücher des Autors zum Thema Liebe und Erotik. Mit diesem Roman hat also ein Wissenschaftler sein Fachwissen erfolgreich in Literatur umgesetzt.

Francesco Alberoni: Faust. Come il diavolo lavora per l’amore. Reihe: Sonzogno narrativa / La scienza dell’amore. Venedig, Sonzogno die Marsilio Editori, 2013. 95 Seiten.



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