Framing - Wie Begriffe laufen lernen

Von Stefan Sasse
Wer glaubt, dass Worte unbestechlich objektiv einen Tatbestand ausdrücken, läuft genau ins Netz der Spin-Doktoren und Politikkommunikationsexperten. Kaum etwas ist im öffentlichen Diskurs so umkämpft wie die Deutungshoheit über bestimmte Begriffe, das Aufladen von Worten mit einer impliziten Bedeutung, und damit die Hersschaft über die öffentliche Meinung. Wer glaubt, hier handle es sich nur um letztlich bedeutungslose politische Spielereien, ein weiteres Beispiel des "schmutzigen" Politikbetriebs, der macht sich selbst blind gegenüber den Tricks der politischen Werbung und erkennt sie nicht, wenn er sie sieht. Es ist merkwürdig, wie wenig Aufmerksamkeit den Begriffen entgegengebracht wird, die in der Debatte verwendet werden - niemand glaubt schließlich dem allerort auf die Packung gedruckten "Delikatess-" oder "Premium-" Zusatz auf den Packungen der Billiglebensmittel. Im Folgenden soll anhand einiger Beispiele aus dem deutschen und amerikanischen Politikbetrieb aufgezeigt werden, wie das Aufladen von Worten mit politischer Bedeutung - das so genannte Framing - funktioniert.
"Das Grundgesetz" / "The Constitution" Das Grundgesetz ist die Heilige Kuh in Deutschland. Nichts ist so unangreifbar. Wenn eine bestimmte politische Maßnahme in dem Verdacht steht, das Grundgesetz zu verletzen, so ist sie praktisch tot. Der tödlichste Vorwurf, der einer Partei gemacht werden kann, ist, nicht "auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen". Besonders gern wird er gegenüber der LINKEn verwendet, die in der letzten Zeit gerne mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Beharren auf der eigenen Grundgesetzlichkeit (gibt es das Wort?) gegenzuhalten versucht. Interessant ist die Doppelschneidigkeit des Begriffs: Während im Parteienwettbewerb die vier etablierten Parteien klar die Parteien des Grundgesetzes sind und sich als solche gegen die LINKE in Stellung gebracht haben, ist in den Augen der Bürger "das Grundgesetz" die letzte Schutzbarriere vor eben diesen Politikern, die heldenhaft vom Bundesverfassungsgericht verteidigt wird. Die Geister die sie riefen, sie werden sie nicht mehr los.  Etwas anders sieht die Situation in den USA aus. Hier beruft man sich auch sehr gerne auf "the constitution", aber das ist eine Domäne der Rechten, besonders der Tea Party. Sie hat es seit 2010 geschafft, die Verfassung firm im eigenen Wertestall zu verankern. Hört man die Republicans reden so könnte man meinen, sie hätten das Dokument selbst geschrieben. Die "Werte der Verfassung" zu beschwören ist damit gleichbedeutend damit, ein "echter" Amerikaner zu sein, und die Werte der Verfassung sind natürlich deckungsgleich mit denen der Tea Party. Man kann annehmen, dass das Kleiden der eigenen Politik in den wärmenden Mantel der "constitution" einige Punkte Zustimmung mehr gebracht hat, als ohne diesen rhetorischen Trick möglich gewesen wären.
"Ausgeglichener Haushalt" / "Balanced Budget" Der ausgeglichene Haushalt ist das große Ziel der deutschen Politik. Jede Regierung will es erreichen, und das Zieldatum ist jedes Mal gerade außerhalb der eigenen Legislaturperiode, was das Ausgeben der Parole auch so attraktiv macht. Denn den ausgeglichen Haushalt will jeder haben. Argumentier auch mal für einen unausgeglichenen Haushalt! Die Bedeutung, die man dem ausgeglichen Haushalt hier aufgeladen hat, ist vom Begriff selbst völlig entfernt. Ist der Haushalt ausgeglichen, gehen Einnahmen und Ausgaben effektiv auf null aus. Ein unausgeglichener Haushalt mit massenhaft Überschuss wäre eigentlich toll. So aber aber ist es ein reichlich artifizielles Ziel und hilft beim offiziell angestrebten Schuldenabbau auch nur sehr langfristig (weil durch die Produktivitätssteigerung und Inflation die Schulden auf Dauer weniger werden). Eigentlich müsste ein Überschuss angestrebt werden. Überschüsse im Staatshaushalt aber sind gefährlich, und ein ausgeglichener Haushalt klingt dagegen wunderbar positiv. Gleichzeitig wurde der ausgeglichene Haushalt mit der zusätzlichen Bedeutung aufgeladen, dass das Ungleichgewicht ausschließlich durch Kürzungen ausgeglichen werden kann, weil der Staat "zu viel" ausgibt. Wer also vom ausgeglichenen Haushalt redet, meint fast immer Kürzungen. In den USA ist der Begriff erstaunlich gleichförmig: das "balanced budget" meint im Englischen praktisch wortgleich dasselbe und wird mit denselben Konnotationen benutzt. Auch hier sind vor allem die Rechten Apologeten des "ausgeglichenen Haushalts" und wollen den Ausgleich ausschließlich über Kürzungen erreichen. Dies führt soweit, dass das "balanced budget" das einzige Thema in den USA ist, bei dem die berühmte Unabhängigkeit der Reporter einfach außer Kraft gesetzt ist (siehe hier).
"Gerechtigkeit" / "Fair share" Gerechtigkeit ist ein herrliches Ding. Jeder will sie, jeder ist dafür, aber es gibt keinerlei Einigung, was sie ist. Im Gegensatz zu den beiden obigen Beispielen fällt bei Gerechtigkeit das Fehlen jeglicher akzeptierter Bedeutung auf und zeigt die Wichtigkeit von Framing noch einmal frappant auf. Für die LINKE etwa bedeutet "Gerechtigkeit" eine hohe Besteuerung von Reichen und eine Umverteilung von oben nach unten, während die FDP unter "Gerechtigkeit" mit Selbstverständlichkeit versteht, dass jeder behalten darf und rechtmäßig erworben hat, was er besitzt. Der Begriff hat eine etwas linke Tendenz (insofern als dass er hier wesentlich häufiger verwendet wird), weswegen er von Seiten der Rechten häufig zusätzlich qualifiziert wird: Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit und ähnliches werden hier gerne ins Rennen gebracht, um auch gerecht sein zu dürfen und trotzdem keine linken Ideale teilen zu müssen.  Ein wenig anders sieht es in den USA aus. Auch hier variiert die Verwendung des "fair share" zwischen den politischen Lagern etwas, aber beide beziehen sich auf ein deutlich eingegrenzteres Feld. Während die deutsche Linke mit der Gerechtigkeitsforderung grundsätzlich Enteignungen legitimieren könnte, geht es beim "fair share" nur um die Verteilung des aktuell erwirtschafteten. Besonders häufig war der Begriff in den letzten Jahren zu hören; die Arbeiter sollten ihren "fair share" an den steigenden Gewinnen der Unternehmen nach den Einbrüchen der Finanzkrise bekommen. Die Popularität des Begriffs verdankt sich wohl ihrer hemdsärmeligen Griffigkeit und phonetischen Schönheit. Auch Republicans können bedenkenlos den "fair share" fordern, denn in bestehende Besitzverhältnisse greift er im Gegensatz zur deutschen Gerechtigkeit nicht ein. Kein Wunder hören wir nicht von einem "fair share of chances". Klänge auch lange nicht so gut.
Kein Äquivalent / "War on Women" Ein Begriff, der nur in den USA eine Karriere erlebt hat ist der "War on Women". Ausgerufen wurde er nach Lesart der Democrats von den Republicans in den Nachwehen des Tea-Party-Erfolgs von 2010, in dessen Gefolge diverse radikale Abtreibungsgegner und erzkonservative, fast reaktionäre Abgeordnete ins House of Representatives einzogen. Mit kriegerischen Metaphern ist man in den USA immer schnell zur Hand (vgl. War on Christmas), und da die Republicans ohnehin als Falken gelten, passt er umso besser. Der Begriff steht deswegen so heraus, weil er trotz seiner Aggressivität schnell Fuß fasste. Er umfasst in prägnanter Kürze, gegen wen die Republicans angeblich Stellung beziehen und positioniert sich selbst automatisch als Verteidiger der solcherart Bekriegten. Mit Sicherheit eine der erfolgreichsten Wortschöpfungen der Democrats der letzten Jahre.
"Sparen" / "Cutting spending" Kaum ein Framing im Deutschen ist so erfolgreich. "Sparen" ist ein Ziel, dem (mit Ausnahme der LINKEn) jeder verschrieben ist. Sparen ist gut. Wer will nicht sparen? Sparen klingt verlässlich, bodenständig und vernünftig. Ein sparender Staat (ich habe das beschrieben) wäre zwar geradezu toxisch - schließlich würde er Milliardenbeträge auf die Seite legen, wo sie als nutzlose Liquidität das Finanzsystem fluten oder aber dem Geldkreislauf entzogen werden, beides nicht gerade erbauliche Perspektiven. Aber glücklicherweise ist das ohnehin nicht gemeint.
Die Amerikaner sind da deutlich ehrlicher. Sie Sprechen von Kürzungen, und zwar von Ausgaben. Im Deutschen hat "Ausgabenkürzungen" bei weitem keinen so guten Klang. Da die Amerikaner aber ein Grundmisstrauen gegenüber der Regierung und besonders dem Ausgeben ihrer hart erarbeiteten Steuerdollar haben, ist "cutting spending" hier eine tolle Sache, während man in Deutschland den Euphemismus vom Sparen bemüht. Die Idee, dass die amerikanische Regierung "savings" anlegen könnte ist geradezu absurd. Die Forderung, die Kohle sofort an die Bürger rauszurücken wäre gleich auf dem Tisch. Aber hier in Deutschland sieht man die Sache etwas anders, und deswegen spart der Staat hier nicht, anstatt nicht seine Ausgaben zu kürzen.
"Pragmatisch" /  "Bipartisan"
Das letzte Begriffspaar dieser kurzen Beispielliste hat erst einmal keinen direkten Zusammenhang, denn der englische und der deutsche Begriff meinen jeweils völlig andere Dinge. Was die beiden Begriffe aber gemeinsam haben ist der positive Klang, den sie im jeweiligen Land besitzen und die Sehnsucht, die sie befriedigen. Dieseits wie jenseits des Atlantiks nämlich begeistert sich niemand für die Parteien. Die Verachtung von Politik als Prozess wie von Politik als Beruf sitzt tief und wird ständig durch neue Klischees bedient.
Wenn also jemand in Deutschland pragmatisch handelt (wie es Merkel gerne von sich behauptet), so erhebt er sich über Ideologien, denen die Deutschen naturgemäß sehr misstrauisch gegenüberstehen, weswegen diese hierzulande auch stets in Begriffe getarnt daherkommen. Eine "pragmatische" Politik ist von Verstand geprägt, vom vorsichtigen Abwägen und, über allem, dem Ignorieren der Politiker selbst. Eine pragmatische Politik erhebt sich praktisch zwangsläufig über das Parlament, die elende "Schwatzbude", und packt die Sachen einfach an. Diese spezifische Politikvorstellung hat in Deutschland eine bis ins Kaiserreich ragende Tradition und wurde niemals wirklich überwunden.
In den USA sieht die Lage zwar änhlich, aber doch etwas anders aus. Hier begeistert man sich für alle Initiaitven, die "bipartisan" sind, also von Abgeordneten beider Parteien gestützt werden. "Partisan" zu sein ist der gleiche Vorwurf wie der der Ideologie in Deutschland, das Gegenteil von "pragmatischem" Handeln. Es ist jemand, der seine Partei oder seine Ideologie über das Vernünftige stellt. Arbeitet man jedoch mit der Gegenseite zusammen, so  nimmt der Amerikaner automatisch an, dass die Vernunft waltet. Da hierzulande die Trennung zwischen Opposition und Regierung schärfer und deutlicher ist (weil die mangelnde Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament das gar nicht anders zulässt), gibt es in Deutschland keine vergleichbare "überparteiliche" Tradition, auf die man zurückgreifen könnte. Im Zuge des allgemeinen Siegs des amerikanischen Kulturimperialismus aber kommt diese Vorstellung langsam, aber stetig immer mehr nach Deutschland; die Piraten etwa waren vor ihrem Totalabsturz große Vertreter dieser Vorstellung.

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