Fragen und die deutsche Seele.

Von Westoestlichediva

16 Monate Lesereise mit Längst Woanders. Viel gelernt, viel gesehen und viel erlebt. Und viele Fragen, die mir bleiben.

Als Autor auf einer Bühne zu stehen, vorzulesen und anschließend mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen, ist eine komische Sache. Als Autor (und in meinem Falle auch noch als Übersetzer) sitzt man ja meistens allein und zurück gezogen in seinem Kämmerlein, denkt, liest, schreibt, beobachtet lieber, als dass man selbst Teil des Geschehens wäre. Zumindest geht es mir so, und auch vielen Kollegen. Man ist quasi von Natur aus eher nicht so die Rampensau, und für mich war das ein langer Weg, diese Aufregung und diese Scheu zu verlieren, mich auf einer Bühne mit meiner Arbeit der Öffentlichkeit zu stellen. Inzwischen klappt das ganz gut und macht auch Spaß, eine gewisse Routine hat sich eingestellt, oftmals wiederholen sich die Fragen der Besucher und ich habe das Gefühl, ich kann mit den meisten Dingen ganz gut umgehen.

Trotzdem gibt es nach wie vor Dinge, die mich irritieren, auch lange nach den Lesungen noch beschäftigen, Begegnungen, die hängen bleiben und Fragen, die an mich heran getragen werden und die dann in mir tagelang brüten.

Wenn mir im Anschluss an Lesungen zum Beispiel Besucher wahnsinnig persönliche Geschichten erzählen, über eigene Migrations- und Entortungserfahrungen, oftmals unglaublich traurige Geschichten über Rassismus, Verlorenheit und Angst. Einerseits freut es mich dann immer sehr, dass diese Leser und Zuhörer in meiner Arbeit etwas finden, was sie anspricht, ihnen vielleicht sogar Trost gibt, aber manchmal weiß ich auch einfach nicht, wie ich dann anders adäquat reagieren soll, als stumm zu nicken, ihnen alles Gute zu wünschen und mir dann leicht belämmert und unzulänglich vorzukommen.

Oder die immer wiederkehrende Frage, ob ich die Deutschen auch so sehe wie Layla, meine Romanfigur. Diese Frage kommt dann immer mit einem halb beleidigten, halb entsetzten Gesichtsausdruck, das sei ja schon sehr negativ, heißt es dann oft. Und so kommt sie dann durch, die gekränkte deutsche Seele, die sich in solchen Dingen so ungern in Frage stellt, die Layla im Roman so anprangert, und die sie so wütend macht, und so gern ich in solchen Situationen auch sagen möchte: „Nein, das sind vor allem Laylas Ansichten", so sehr muss ich dann einfach vor mir und auch den anderen zugeben: „Ehrlich gesagt, ja, manchmal schon, manchmal muss ich Layla einfach zustimmen!"

Das Wort „Überfremdung" zum Beispiel habe ich nie so oft live und im persönlichen Gespräch gehört wie im Verlaufe dieses Lesungsjahres. „Ist ja schön und gut, was Sie da erzählen, aber die Überfremdung ..." Was mache ich denn dann damit? Ich möchte ja niemanden beleidigen, nur frage ich mich dann, ob diese Menschen mir eigentlich zugehört haben in diesen letzten 90 Minuten einer Veranstaltung ...

Ich habe viel über Flüchtlinge und Integration diskutieren sollen, über Dinge, von denen ich eigentlich gar nichts oder nicht viel verstehe, über arabische und deutsche Politik, über Islam, über Menschenrechte. Man möchte uns so gern zu Experten oder öffentlichen Kommentatoren machen, vielleicht wegen unserer Biographie, vielleicht auch einfach, weil man von Autoren erwartet, eher eine menschliche Perspektive hören zu können als eine politische oder abstrakte. Verstehen tue ich das nicht, warum man mich zum Islam befragt, wo ich doch weder Islamwissenschaftlerin noch praktizierende Muslimin bin, oder warum ausgerechnet ich beantworten soll, wie denn meine eigene Integration so gut gelungen sei, wo doch Deutsch im wahrsten Sinne meine Muttersprache ist, die Sprache in der ich denke, lese, schreibe und träume. Warum eigentlich nie jemand über Literatur reden will, oder über Sprache, wo das doch eigentlich das ist, womit wir als Schreibende uns am besten auskennen.

All das und noch viele Fragen und Gedanken mehr nehme ich mit aus den letzten 16 Monaten und einiges vermutlich auch weiterhin nicht richtig verstehen.

Letztlich wird aber immer das Schöne überwiegen, die vielen wunderbaren Gespräche und Begegnungen, überraschende Freundschaften und eine ganze Menge Anerkennung, die ich mir niemals hätte träumen lassen, damals, als ich anfing zu schreiben. Längst Woanders hat mir viele Reisen gegeben, Preisnominierungen, und die Möglichkeit, nun das weiter machen zu dürfen, was ich immer tun wollte - schreiben.

Heute Abend lese ich ein letztes Mal (vorerst), hier zu Hause, anschließend haue ich das Honorar direkt mit ein paar Freunden auf den Kopf und sage jetzt mal einfach: Danke! Danke an alle und alles, für Schönes und Nachhallendes, und für Gedanken, die ich mitnehmen werde.

Und dann - auf zu neuen Büchern.