Zur Meldung des Bundesforschungsministeriums “Auf der Suche nach den Schaltern im Erbgut” (http://www.bmbf.de/_media/press/Pm_0828-106.pdf) schreibt Dennis Riehle:
Ja, die Forschung in der Genetik ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil auf der Suche nach Hilfen für Menschen mit einer Unvollständigkeit, die Wissenschaft und Forschung möglichst bald als „vermeidbar“ einstufen wollen.
Gerade für mich, der ich mich anhand einer genetisch bedingten progressiven Erkrankung frage, ob und in wie weit die wissenschaftlichen Fortschritte zumindest denen, die nach mir auf diese Welt kommen mögen, manches Leid ersparen könnten (wobei hier gilt: Lebt und lernt der Mensch nicht besonders aus den Herausforderungen, die ihm angetragen werden?), sind solche Meldungen wie aus dem Ministerium zwiespältig:
Wenn ich da von den „Schaltern“ lese, die man erkunden will, so tut sich unweigerlich der immer und immer wieder neue Verdacht nach der Anmaßung des Menschen auf, Gott – Erschaffer und Lenker – sein zu wollen. Der permanente Drang der Überlegenheit ist ein Stressmerkmal, das sich in unserer Zeit nicht nur in der Forschung zunehmend öfter als das Spiel mit den Grenzen erweist. Und Grenzen sind verletzlich. Sie sind bei Unachtsamkeit und Überschwang rasch gebrochen – und die Faszination und Gier treibt dann etwas voran, was jeden ethischen Skrupel ausblendet.
Und wir wissen alle: Wer spielt, der kann eben auch verlieren. Und gerade bei der Wissenschaft rund um Erbgut und Genetik ist das Potenzial groß, dass diejenigen Verlierer werden, die manche in der Gesellschaft wohl als Last ansehen – und die sich kaum oder noch nicht äußern können. Nein, ich unterstelle niemandem vorrangig, im Angesicht dieser Absicht zu handeln. Kein Forscher hat es wohl primär im Kopf, ausselektieren zu wollen. Und doch ist die Versuchung und der Reiz groß, immer weniger Makel und immer mehr Perfektion zu wollen – wenn es denn machbar. Da sind es auch Eltern, die sich vor den Mühen ängstigen, die ein behindertes Kind mit sich bringen könnte. Und da ist es ein Idealdenken der Produktivität, das gerade ein gesunder Mensch wert-voll ist, weil er zur (ökonomischen) Wert-schöpfung beitragen kann.
Bei mir liegt in meinen Unterlagen dieser Befund – ein Molekül mit einem zwei Zeilen langen Namen, das nicht oder zu wenig in meinem Körper vorhanden ist. Einen Stoffwechselprozess in den Muskeln soll es beschleunigen – bei mir fehlt es aber. Und so muss ich mir eingestehen, dass meine Muskelkraft immer weniger wird, auch die Muskulatur in ihrer Masse. Und ja, es ist und bleibt beschwerlich, in der Ungewissheit der kommenden Zeit zu sein und nicht zu wissen, was sich da noch entwickeln wird. Aber wertlos ist mein Leben deshalb sicher nicht – und so würde das vielleicht auch manch ein Kind sagen, das aufgrund neuer Entschlüsselungen und Vorhersagen lieber gar nicht auf die Welt kommen soll, wenn ein „Defekt“ absehbar ist.
Ich weiß aus der Forschung nun, wie dieses Enzym heißt, an dem es bei mir mangelt. Anfangen kann ich damit wenig – zumal es nach Aussagen von Ärzten zumindest in den nächsten 80 – 100 Jahren nicht ersetzt werden kann. Zu komplex ist die synthetische Herstellung, zu aufwändig und selten die weitere Wissenschaft, zu selten das Vorkommen – und zu groß das Geheimnis von Gottes Allmacht. Und ehrlich gesagt: Ich warte auch nicht darauf. Denn heute stehe ich vor der Aufgabe, die mir gegeben ist. Und ich bewundere jeden Forscher, der sich im Sinne der Minderung von Schmerz und Qual für neue Erkenntnisse einsetzt. Doch ich denke, da sollte etwas nicht vermischt werden: Nicht unbedingt der Wunsch und die Forderung von Behinderten ist es, die Forschung in Sachen Erbgut vorantreiben zu wollen. Und auch will wohl kaum jemand von ihnen, dass man als Argument für die Wissenschaft missbraucht wird. „Seht her, wie er leidet. Das wollen wir anderen ersparen!“. Was gut gemeint sein mag, wird zur tiefsten Verletzung und Diskriminierung, der man sich wohl ausgesetzt sehen mag.