GOLDEN DAWN
USA 1930
Mit Walter Woolf King, Vivienne Segal, Noah Beery, Alice Gentle, Marion Byron, Lupino Lane, Lee Moran, u.a.
Drehbuch: Walter Anthony nach der gleichnamigen Operette von Oscar Hammerstein II und Otto A. Harbach, Musik: Emmerich Kalman und Herbert Stothart
Regie: Ray Enright
Der Film soll laut imdb.com in Oesterreich und Schweiz unter dem Titel Die Zirkusprinzessin zu sehen gewesen sein
Dauer: 81 min
Vorspann:
Inhalt: Während des ersten Weltkrieges, in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Afrika. Dawn, eine Weisse, die als kleines Kind in Afrika entführt und von einer Schwarzen aufgezogen wurde, verliebt sich in den englischen Kriegsgefangenen Tom Allen. Sie wurde von ihrer Ersatzmutter im Glauben erogen, eine hellhäutige Schwarzafrikanerin zu sein; wegen ihrer hellen Haut ist sie dazu prädestiniert, mit einem afrikanischen Gott vermählt zu werden. Das Camp wird vom peitschenschwingenden Bösewicht Shep beaufsichtigt, der in Sachen Dawn und Allen kräftig intrigiert…
Der Film:
Man ahnt es schon anhand der Inhaltsangabe: Golden Dawn ist kein guter Film. Er hat den Ruf, in vielerlei Hinsicht miserabel zu sein, und das stimmt auch: Streckenweise ist Golden Dawn so richtig schlecht. Doch darum geht es hier für einmal nicht. Ray Enrights Musical-Adaption ist vom filmhistorischen Gesichtspunkt aus hochinteressant – vor allem was die Frühzeit des Tonfilms betrifft.
Als Ende der Zwanzigerjahre der Tonfilm aufkam – eine wegen des immensen Erfolgs rasend fortschreitende Entwicklung, die bereits 1930 mit der Umrüstung der Kinos praktisch abgeschlossen war – wurden Musicals nur so auf den Markt geworfen. Hunderte davon wurden in den späten Zwanziger- und frühen Dreissigerjahren innert kürzester Zeit heruntergekurbelt. Golden Dawn ist eines davon, im Folgenden soll es als typisches Beispiel für Hollywoods frühe Musicals herhalten.
Ursprünglich wurde Golden Dawn mittels eines frühen, rudimentären Technicolor-Verfahrens in Farbe gedreht – wie andere dieser “musikalischen Sentationsfilme” jener Zeit auch. Heute existiert leider nur noch eine (schlechte) schwarzweiss-Kopie davon.
Die meisten meiner Leserinnen und Leser kennen Gene Kellys / Stanley Donens Film Singin’ in the Rain. Dort wird vorgeführt, wie ein Filmstudio auf Tonfilm umrüstet, und in einer höchst amüsanten Sequenz werden die Probleme beim Dreh aufgezeigt, welche durch die sperrigen Mikrofone entstanden, die noch vollkommen immobil waren und die Darsteller zu statischen sprechenden Schaufensterpuppen degradierten.
Guckt man sich Golden Dawn an, kommt einem ständig diese oben erwähnte, nur leicht übertriebene Sequenz in den Sinn: Die Kamera bleibt fast ständig an Ort, die Schauspielerinnen und Schauspieler singen ihre Lieder starr in die Kamera, die einfach draufhält und filmt. Irgendwo vor dem Akteur musste das Mikro befestigt sein – in einem Busch oder hinter einem Zaun. Gelegentlich erlauben sich die Macher während eines Songs einen Schnitt auf die andächtig zuhörenden Camp-Insassen, doch das ist dann schon das Maximum an Abwechslung.
Gegenüber der gegen Ende Zwanzigerjahre gewonnenen Bewegungsfreiheit der Kamera waren diese frühen Tonfilme ein eklatanter Rückfall in die cinématografische Steinzeit, den aber kaum ein Kinogänger bemängelte, weil sie halbe Welt Ton-besoffen war.
Auch eine vernünftig sich entwickelnde oder zusammenhängende Handlung war – zumindes in den frühen Musicals – kaum mehr von Bedeutung. Musiknummern wurden, zusammengehalten von notdürftig motivierten Handlungsversatzstücken, oft ziemlich plump aneinandergereiht. Hauptsache, es klang und sang von der Leinwand.
Die Sängerinnen und Sänger trällerten ihre Arien mit gewöhnungsbedürftigen Vibrati und aus heutiger Sicht geradezu unanstängigen Glissandi. Das war damals en vogue, genauso wie die lächerlich deklamatorisch vorgetragenen Texte. Heute kratzt man sich darüber verwundert den Kopf, zu jener Zeit aber war gut, was mit Ton über die Leinwand ging.
Schaut man sich das nur drei Jahre später entstandene Warner-Musical 42nd Street (Lloyd Bacon, Busby Berkeley) an, dann wird einem das rasende Tempo bewusst, mit dem die Filmindustrie in jenen Kindertagen des Tonfilms in die Zukunft schritt. Hier ist die Kamera bereits wieder entfesselt. Es gibt äusserst ausgeklügelte Choreografien, sowohl bezüglich der Kamerabewegungen als auch der Tanzgruppen, ebenso im Schnitt, der harmonisch zur Musik ausgeführt ist. Das Problem des starren Mikrofons ist gelöst, man besinnt sich wieder auf die kamera- und aufnahmetechnischen Errungenschaften der Stummfilmzeit zurück. Golden Dawn-Regisseur Ray Enright drehte ab 1934 etliche Erfolgs-Musicals mit dem damaligen Star-Choreograf Busby Berkeley, u.a. Dames und We’re in the Money; auch sie lassen denselben unglaublichen Fortschritt erkennen. Allerdings ist nach der anfänglichen Kreativitäts-Explosion der im Lauf der Jahre eine gewisse Stagnation zu erkennen.
Diese sollte dann von Fred Astaire aufgebrochen werden, der zur gleichen Zeit bei MGM daran ging, die Musical-Konvention in eine andere Richtung zu verfeinern und auszuweiten. Seine ausgefeilten, auf seine Person zentrierten Choreografien wurden zwar zunächst auch grösstenteils abgefilmt, deren elegante Anmut und fliessende tänzerische Abgehobenheit bereicherte den tönenden Film aber um ein Vielfaches punkto harmonischer Bewegtheit.
Zurück zu Golden Dawn: Der Film ist noch aus einem weiteren Grund interessant – vor allem für Operettenfreunde. Die zugrundeliegende Bühnenfassung stammt nämlich aus der Feder des ungarisch-deutschen Operettenkomponisten Emmerich Kálmán (“Die Csardasfürstin”); die gleichnamige Operette feierte 1927 am Broadway recht grossen Erfolg und gehört zu Kálmáns wenigen in den USA entstandenen Werken. Das Libretto stammt von Oscar Hammerstein III (zusammen mit Otto A. Harbach), von dem so bekannte Musicals Showboat und Oklahoma! stammen.
Hammerstein hatte schon bessere Libretti verfasst. Die Verfilmung setzt noch einen drauf und behandelt die afrikanische Kultur mit an Beleidigung grenzender Naivität. Das fängt mit den schwarz bemalten Gesichter der als Afrikaner auftretenden weissen Akteure an, geht über die Darstellung der Eingeborenen als augenrollende Hottentotten-Verschnitte bis zum Song “My Bwana”, mit dem die vermeintlich Schwarze hellhäutige Hauptfigur ihren weissen Helden anschmachtet.
Ausser Noah Beery (dem Bruder des ungleich bekannteren Wallace Beery) ist heute keiner der Akteure und der Aktricen mehr bekannt. Vielleicht noch der Akrobat und Stummfilmkomiker Lupino Lane (der Onkel von Ida Lupino), aber der dürfte nur eingefleischen Slapstick-Liebhabern ein Begriff sein. Hier hat er leider eine enttäuschend kleine Rolle inne. Die anderen, Vivienne Segal, Walter Woolf King oder Alice Gentle kennt heute keiner mehr. King hatte in Golden Dawn seine ersten Filmauftritt, danach war nur noch in Nebenrollen zu sehen – kein Wunder, bei dem Talent…. (hüstel). Vivienne Segals Stern verblasste nach einigen Musical-Hauptrollen; 1934 zog sie sich vom Film zurück, feierte dann allerdings auf der Bühne ein glorioses Comeback. Alice Gentle hörte nach nur drei Filmen wieder auf. Die bemerkenswerteste “Unbekannte” in diesem Film ist aber Marion Byron. Auch sie zog sich 1938 vom Film zurück. Ihr Debüt hatte sie als leading lady in Buster Keatons Steamboat Bill jr. Offensichtlich besass sie ein grosses komödiantisches Talent, mit dem sie Golden Dawn erheblich aufwertet. Die drei Sequenzen mit ihr sind sehenswerte komische Kabinettstückchen, in denen sie derart lebhaft komisch und überdreht sexy agiert, dass es eine Freude ist und ich nun unbedingt weitere Filme mit ihr sehen möchte. Leider trat sie stets nur in Nebenrollen auf, die mit der Zeit immer kleiner wurden. Erstaunlich, denn sie ist für mich die Entdeckung dieses Films!
Golden Dawn ist ein interessanter Blick auf ein Hollywood, das sich beinahe über Nacht im totalen Umbruch befand, ein Film aus jener kurzen Zwischenzeit, die heute als blinder Fleck zwischen der Hoch-Zeit des Stummfilms und den ersten grossen tonfilmen steht. Ein Zeuge aus der Zeit, als der Film plötzlich wieder in Kinderschuhen steckte, denen er dann in unglaublichem Tempo entwuchs.
Abspann:
-Ray Enright drehte vor Golden Dawn das Western-Musical Song of the West, in welchem ebenfalls Vivienne Segal die Hauptrolle und Marion Byron eine komische Nebenrolle spielte. Danach führte er regie in der Komödie Dancing Sweeties.
–Die Zirkusprinzessin ist der Titel einer Operette, die Emmerich Kálmán 1926 noch in Deutschland geschrieben hatte. imdb.com gibt diesen Titel als deutschen Verleihtitel von Golden Dawn an, mit dem Hinweis, dass er in Oesterreich und der Schweiz in den Dreissigerjahren unter diesem Titel gezeigt worden sein soll. Die Seite operetta-research-center.org vermerkt dagegen, der Film sei im deutschsprachigen Raum nie gezeigt worden. Obwohl es denkbar wäre, dass man mit Bezug auf eine bekannte Operette des Komponisten Publikum zu gewinnen hoffte, tendiere ich dazu, imdb.com eines Fehlers zu bezichtigen.