Förderunterricht für Schulanfänger?

Vor kurzem hatten wir das erste Eltern-Kind-Treffen der Schulklasse unseres Großen. Wir fanden uns informell im Park zusammen, um uns ein wenig kennenzulernen. Abgesehen davon, dass nur ca. die Hälfte der Eltern und Kinder anwesend war und ich mir nur wenige Namen merken konnte, war es trotzdem recht interessant. Mein Großer erzählt ja nicht viel vom Schulalltag und so erfuhr ich einige Dinge, die ich noch nicht wusste. Zum Beispiel, dass seit kurzem zwei Kinder schon Förderunterricht hatten.
Eine Mama berichtete, dass sie ziemlich überrascht, um nicht zu sagen geschockt war, weil ihre Tochter kaum 4 Wochen nach der Einschulung schon eine "Einladung" zum Förderunterricht in der Postmappe hatte. Sie erzählte auch, dass ihre Tochter das nicht gut verkraftet hatte, sondern sich nun "schlechter" und unter Druck gesetzt fühlen würde. Und das alles schon kurz nach Schulstart! Ich war auch überrascht, als ich dies hörte, hätte ich doch nie damit gerechnet, dass so schnell Leistungsdruck aufgebaut wird und "schlechtere" Schüler gefördert werden. Ich muss ehrlich sagen, ich wäre ziemlich perplex gewesen, wenn solch ein Schreiben in unserer Postmappe gewesen wäre und mein Großer nun zum Förderunterricht müsste.
Förderunterricht für Schulanfänger?Bildquelle: Pixabay
Der Förderunterricht findet bei uns vor dem regulären Unterricht statt, d.h. startet um 7:25 Uhr. Um 8 Uhr beginnt der normale Schulalltag. Die betroffenen Kinder haben also noch einen längeren Unterrichtstag und merken natürlich, dass sie herausgepickt wurden, weil irgendwas nicht so ganz läuft, wie es optimalerweise laufen sollte. Prinzipiell finde ich es gut, wenn die Pädagogen mit ihrer Erfahrung individuell auf die Kinder schauen und diejenigen unterstützen, denen gewisse Dinge schwerer fallen als anderen. Wir wissen alle selbst, dass es oft nicht ausreicht bzw. nicht funktioniert, wenn die Eltern ihre Kinder zum regelmäßigen Üben anhalten. Viele Kinder reagieren auf die Bemühungen ihrer Eltern mit Abwehr oder machen dicht. Außerdem sind Eltern keine Pädagogen, haben oft wenig Zeit und noch weniger Geduld. Insofern ist es sicherlich sinnvoll, diese "Nachhilfe" in der Schule, von der Klassenlehrerin zu bekommen.
Allerdings war ich (und nicht nur ich) wirklich überrascht, dass damit schon 4 Wochen nach der Einschulung begonnen wird. Sollten die Kinder nicht erstmal ganz langsam den Schulalltag kennenlernen und nach und nach ans Lesen, Schreiben, Rechnen und die Anforderungen des Schulsystems herangeführt werden? Sollte man nicht erstmal Wert auf das Zusammenwachsen der Klasse legen, anstatt einige Kinder nun schon zu stigmatisieren? Kann man so früh überhaupt merken, ob ein Kind wirklich Defizite hat oder vielleicht lediglich noch an der Umstellung auf die Schule zu knabbern hat? 4 Wochen sind wirklich kein langer Zeitraum, die Kinder müssen soviel Neues verarbeiten, und sollen dann noch nach so kurzer Zeit ein bestimmtes Leistungsniveau erfüllen? Das finde ich persönlich ungut.
Andererseits gibt es sicherlich Kinder, die tatsächlich von Anfang an elementare Schwierigkeiten auch mit den einfachsten Schreibanforderungen haben oder nicht mal geometrische Formen erkennen und zuordnen können. Für diese Kinder ist es dann tatsächlich gut, wenn sie schon früh individuell gefördert werden, bevor der Abstand zum Rest der Klasse zu groß wird. Aber kann man das wirklich unterscheiden? Manche Kinder sind einfach schüchtern und zeigen vielleicht nicht ihr wahres Leistungsvermögen. Manche funktionieren unter Druck nicht so gut. Und andere konzentrieren sich möglicherweise am Anfang erstmal auf das ganze soziale Gefüge, bevor sie bereit sind zu lernen. Eine schwierige Gratwanderung, das als Pädagoge zu unterscheiden, und sicherlich auch für die betroffenen Eltern dieser Kinder nicht immer nachvollziehbar.
Die Tochter der Mama, die dies erzählte, fühlt sich jedenfalls schon jetzt verunsichert durch diese Sonderstellung. Diese Verunsicherung äußert sich durchaus auch als Schulunlust und Abwehrhaltung. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei meinem Großen ganz ähnlich wäre, wenn es ihn betreffen würde. Ist so etwas nötig, wenige Wochen nach Schulstart? Ich meine nein, aber ich bin keine Pädagogin. Ich kenne auch nicht die genauen Beweggründe und Umstände, die dazu geführt haben. Ich kann nur hoffen, dass nicht nach einem starren vorgegebenen Schema geurteilt, sondern individuell eingeschätzt wurde. Dass die Förderung für diese Kinder also wirklich unbedingt nötig ist. Ansonsten finde ich persönlich es wichtiger, den Erstklässlern so lange wie möglich die Freude am Lernen und die Lust, in die Schule zu gehen zu erhalten. Auch wenn vielleicht noch nicht alles so perfekt läuft. Aber das muss es doch auch gar nicht. Schließlich sind sie gerade erst in die Schule gekommen!
Was meint ihr dazu?

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