Wenn man einen Foodblog betreibt, landet man automatisch auf dem Radarschirm von Kommunikations- und PR-Agenturen sowie allen anderen Unternehmen, die in der Food- und Weinbranche arbeiten und naturgemäß Aufmerksamkeit für ihr Geschäft benötigen.
Das ist gar nicht schlimm – ganz im Gegenteil: Trommeln gehört ja bekanntlich zum Geschäft, und wenn jemand interessante Ideen, Produkte oder was-auch-immer hat, soll er damit gerne anklopfen.
In den ersten zwei Jahren von cookin‘ waren die Anfragen jedoch vielfach kurios: einige, überwiegend in der Provinz beheimatete, Agenturen offerierten streng-geheime Projekte, deren exklusiven Inhalt sie erst nach der Übersendung eines konkreten Preises enthüllen wollten. Unabhängig davon, dass es auf meinem Blog nichts gegen Geld gibt, blieben meine Nachfragen, um was es denn überhaupt gehe, stets unbeantwortet.
Gerne erinnere ich mich auch an die Mails eines Berliner Inkubators, der überwiegend erstaunlich absurde Kooperationen im Angebot hatte. Mein Highlight: eine potenzielle Zusammenarbeit, die mich befähigen würde, meine Leser regelmäßig mit den heißesten Neuigkeiten zum Thema „Brotschneidemaschinen“ zu versorgen.
Mon dieu!
Die Zeiten haben sich jedoch glücklicherweise geändert: die Gugu-Anfragen sind dieses Jahr auf nahezu Null zurückgegangen. Dafür landen immer wieder spannende Einladungen im digitalen Briefkasten: sei es zu Weinproben, zum phantastischen Chefkoch-Foodcamp 2017 (Bericht steht noch aus) oder zu der Veranstaltung, über die ich mich gefreut habe wie ein Schneekönig und über die ich im Folgenden berichten möchte: das JoselitoLab 2017 im Restaurant Vendome.
Das JoselitoLab ist eine Projekt-Reihe des spanischen Schinken-Produzenten Joselito. Dabei ist der Begriff „Schinken-Produzent“ unzureichend bis missverständlich, denn: unter den spanischen Schinken-Fabrikanten gilt Joselito als derjenige, der sich mit Abstand am kompromisslosesten Qualität und Nachhaltigkeit verschrieben hat. Drei bis vier Hektar stehen jedem einzelnen (!) Schwein zu Verfügung, die Tiere ernähren sich ausschließlich natürlich, sprich: sie ernähren sich selbst mit dem, was die Natur ihnen gibt. Es wird nicht zugefüttert. Flächendeckende Untersuchungen stellen sicher, dass die Böden auf den Farmen nicht mit Schwermetallen belastet sind.
Respekt vor der Natur im Allgemeinen und dem Tier im Besonderen ist der Kern der Betriebs-Philosophie. Damit hat sich Joselito eine einzigartige Position auf dem spanischen Markt erobert – und international natürlich auch.
Das ist sehr erfreulich, denn zum einen wird der Markt damit um Produkte von außerordentlicher Qualität bereichert. Und zum anderen zeigt die Erfolgsgeschichte von Joselito, dass es in dem hoch-industrialisierten Umfeld der Lebensmittelindustrie, in dem überwiegend Effizienz und Rendite über allem stehen, Qualität eine Chance hat. Dass diese Qualität ihren durchaus üppigen Preis hat, ist gar nicht schlimm sondern schlicht und einfach realistische Vergütung des erforderlichen Aufwandes. Außerdem kann niemandem daran gelegen sein, jeden Tag 200 g Schinken zu futtern.
Da die Produkte von Joselito inbesondere in der spanischen Sterne-Gastronomie einen festen Platz haben, lag die Idee nahe, herausragenden Köchen die Möglichkeit zu geben, ihre Kreativität an den Joselito-Produkten auszuleben.
2013 war es soweit. Das JoselitoLab war geboren.
Für die erste Ausgabe dieses hoch-spannenden Projektes konnte Joselito den spanischen Koch-Papst Ferran Adria (2013) gewinnen, es folgten mit Massimiliano Alajamo aus dem Le Calandre (2014), Jonnie Boer (2015), Seiji Yamamato (2016) weitere höchst-dekorierte Ausnahmetalente.
Und nun Joachim Wissler. Der kocht im Restaurant Vendome auf Schloss Bensberg und hält dort seit über 10 Jahren drei Sterne im Guide Michelin. Dazu kommen 19,5 Punkte im Gault Millau. Außerdem ist er in verschiedensten mehr oder weniger seriösen Listen relativ weit vorne vertreten. Beispielhaft sei an dieser Stelle der 16. Platz in der, wie ich finde, relativ hilfreichen OAD-Liste erwähnt.
Es traf also Spitzen-Schinken auf Spitzen-Koch. Damit war klar, dass dieses Mittagessen besonders spannend werden würde – zumal sich mein kleiner Blog ja schwerpunktmäßig mit dem Thema Food Pairing auseinandersetzt. Und wie könnte man dieses Thema besser erfassen, als wenn ein Ausnahmekoch ein komplettes Menu rund um ein Produkt kreiert?
Wie würde also Joachim Wissler, einer der profiliertesten Spitzenköche Deutschlands, diese Herausforderung rund um das Thema Schwein und Schinken meistern? Immerhin hat das Produkt Schwein nach wie vor keinen besonders guten Leumund.
Hier ist meine, natürlich völlig subjektive, Antwort:
Der Auftakt:
Sieben kleine Schweinereien (Achtung Wortspiel
Joselito-Schinken mit Gewürzpflaume und Avocado
Was für eine geniale Kombination! Durch zwei kleine aber effektive Kniffe dreht Joachim Wissler die Kombination „Pflaume – Speck“ so ins Frische, dass man fast von einem Frühlingsgericht sprechen könnte. Denn bei der eingelegten Pflaume ist ordentlich Säure im Spiel. Dazu passt, das in der englischen Version des Rezeptes von „pickled plums“ die Rede ist.
Die Säure verleiht der Pflaume eine besonders knackige Textur sowie eine enorme Frische. Dazu hält das Fett vom Pancetta den Schinkengeschmack dezent im Hintergrund. Er bildet lediglich den „tierischen“ Rahmen. Die grünlich-frische, leicht kühlende Avocado vervollständigt diese Kombination ideal. Das ist große Klasse und eine gute Idee für zuhause.
Zum Rezept: hier entlang
Kleine Bemerkung nebenbei: ich habe dort, wo verfügbar, die Original-Rezepte von der JoseiltoLab-Seite verlinkt. Diese entsprechen allerdings nicht alle exakt den Gerichten, die an diesem Tag serviert wurden.
Pulled Pork Steam Bun
Mittlerweile ein Klassiker im Vendome, bei dem der Service beim letzten Besuch leicht maliziös bemerkte, die Marinade des Fleisches stamme von der Großmutter eines koreanischen Gastkoches und werde von diesem im Detail nicht verraten. Dieses Geheimnis ist nun gelüftet, denn das Rezept für die köstliche Marinade ist im Rahmen der Rezepte-Sammlung für das JoselitoLab dokumentiert.
Geschmacklich sind die Steam Buns quasi das Gegenteil des Pflaumes-Häppchens. Üppig, hedonistisch, vor Marinade triefend und herrlich fluffig zeigen sie das Wohlfühl-Schmackofatz-Potenzial von Schwein. Dabei geraten diese kleinen Herrlichkeiten keinesfalls simpel. Ein toller Gang und ein absolutes Leuchtturm-Gericht in Sachen gehobener Wohlfühl-Küche. Steht ganz oben auf meiner Nachkoch-Liste!
Zum Rezept: hier entlang
Gillardeau-Auster, Pancetta & Melone
Foto: Katherina Wagner für Joselito
Absolut großartig, was man mit einem gehörigen Schuss Kreativität aus dem „alten Hut“ Melone & Schinken herausholen kann. Joachim Wissler lässt die beiden vermeintlichen Hauptakteure dieses Klassikers, den Schinken und die Melone, einen Schritt zurücktreten. Sie liefern nunmehr den Rahmen für einen neuen Star, nämlich die Auster. Die ist pochiert, dadurch deutlich milder und in der Konsistenz fester. Ähnlich wie weiter unten bei der Makrele ergänzt der Pancetta Auster und Melone ganz dezent, fast wie ein feiner Bass-Lauf, den man kaum hört, ohne den der Komposition eine entscheidende Komponente fehlen würde.
Die Weinbegleitung:
Bollinger – Champagner „Special Cuvée“ brut N.V.
Die „Special Cuvée“ von Bollinger ist für mich persönlich einer der schönsten Einstiegs-Champagner in das Portfolio der großen Champagner-Häuser überhaupt. Mehr Qualität für den Preis findet man in dieser Liga und außerhalb der Welt der Winzer-Champagner kaum. Stilistisch ist der Champagner klar in Herbst und Winter verortet und damit ideal für die Kombination mit Schinken. Er passt allgemein wunderbar zu den Auftakt-Kleinigkeiten. Besonders gut harmoniert er mit den eher klassichen Zubereitungen. Für die Auster und die Pflaume hätte mit Sicherheit ein frühlings-hafterer, frischerer Champagner auch sehr gut gepasst.
Das Menu:
Erster Gang: geflämmte Makrele mit gepickelter Beete und Pancetta
Für mich persönlich ein echtes Highlight und gleichermaßen der beste wie spannendste Gang des Tages.
Warum?
Joachim Wissler löst sich hier weit aus der „klassischen Schinken-Welt“ und nutzt den ausgelassenen Pancetta, ähnlich wie bei der Gillardeau-Auster, als hintergründigen und dennoch wirksamen Geschmacks-Geber. Denn: ähnlich wie bei herausragendem Rindfleisch, ist auch beim Joselito-Schinken das Fett phänomenal lecker.
Das köstliche Fett verleiht dem Gericht Tiefe, Substanz und schafft es so, der knackige Säure von Passionsfrucht und Beeten den perfekten Rahmen zu geben und zusätzlich eine, wenn man so will, „tierische“ Aromen-Komponente hinzuzufügen. Absolut großartig und eine tolle Idee auch für zuhause. Dazu die deutlichen Röstnoten und die dezente Salzigkeit des Kaviars – das passt alles perfekt zusammen.
Zweiter Gang: Marmorierter Mascarpone -Raviolo
Viel klassischer geht es nicht. Ein sahnig-pilziger Wohlfühl-Teller. Der Schinken schmilzt durch die Wärme des Gerichtes quasi von selbst. Die Einlage (wir waren uns am Tisch einig, dass es sich um Steinpilze gehandelt hat) ergibt in Kombination mit dem Schinken eine regelrechte Umami-Bombe. Das ist wahnsinnig lecker und ein absolutes Wohlfühl-Highlight – wenn auch am Ende dann sehr klassisch. In einer idealen Welt hätte ich mir, gerade im Kontext dieser Veranstaltung, etwas mehr Experimentier-Freude gewünscht. Aber das ist Meckern auf sehr, sehr hohem Niveau.
Das Gericht ist übrigens durchaus beherzt gesalzt – wie der folgende Gang auch.
Zum Rezept: hier entlang
Die Weinbegleitung zum ersten und zweiten Gang:
Dönnhoff – „Norheimer Dellchen“ Großes Gewächs 2011
Das „Dellchen“ ist mein persönlicher Favorit von Dönnhoff. Ich würde es jederzeit der deutliche berühmteren „Hermannshöhle“ vorziehen, ist es doch in den meisten Jahrgängen schlanker und feiner. In 2011 ist das „Dellchen“ Jahrgangs-bedingt ganz schön üppig geraten, dadurch schafft es jedoch den Spagat, sowohl zur Makrele als auch zum Raviolo zu funktionieren.
Dritter Gang: Miso-mariniertes Landei mit Schinken-Velouté, Alba-Trüffeln und Fenchel-Creme
Nochmals ein eher klassischer Gang. Dennoch gibt Joachim Wissler dem Klassiker – Schinken – Ei – Trüffel einen neuen Twist, indem er mit dem Fenchel eine deutlich gemüsige Komponente zur Seite stellt und die Schinken-Velouté, subjektiv gefühlt, relativ schlank hält. So gerät das Gericht deutlich schlanker und weniger üppig als befürchtet.
Hier zeigt sich allerdings die Krux des Produktes Schinken: das Salz. Vor dieser Herausforderung ist selbst ein 3 Sterne-Haus nicht gefeit. Denn: das Gericht gerät so deutlich salzig, dass einige empfindlichere Tisch-Nachbarn erkennbar ihr Mühen mit dem Salzgehalt haben.
Zum Rezept: hier entlang
Vierter Gang: Pluma mit gepickeltem Gemüse und Bernaise
Ein Augenöffner! Wir haben Schweinefleisch im Allgemeinen und die mageren Stücke im Besonderen seit Jahren aus unserer Küche weitgehend verbannt. Zu schlecht sind die verfügbaren Qualitäten von Schweine-Filet & Co. Ausnahmen sind rustikale Stücke wie der Schweinebauch oder Stücke für den Grill, die vom Metzger nebenan kommen, der dankenswerterweise bei der Erzeugergenmeinschaft Schwäbisch Hall bezieht.
Aber dieses Pluma hier ist der Hammer. Pluma ist ein schön marmoriertes Stück aus dem vorderen Rücken des Schweins. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit der üblichen Supermarktware zu tun und erinnert in Textur und Geschmack stark an sehr, sehr gutes Kalbfleisch. Rosa gebraten ist das Fleisch ein Gedicht.
Sehr gut gefällt mir an diesem Gang die Idee, der üppigen Bernaise gepickeltes Gemüse als Kontrast entgegenzusetzen. Die Säure des Gemüses bricht die Reichhaltigkeit der Sauce und bringt das Gericht damit perfekt in die Balance.
Zum Rezept: hier entlang
Die Weinbegleitung zum dritten und vierten Gang:
Bodegas Vega Sicilia – Unico 2003
Ganz toll. Blind hatte ich den Wein an der Nordrhone verortet, insbesondere wegen des Duftes nach gegrilltem Fleisch und Gewürzen. Und nie im Leben wäre ich auf den Jahrgang 2003 gekommen, der als einer der heißesten Jahrgänge der letzten Dekaden gilt, denn der Wein hat eine wunderbare kühle Frucht und macht einen deutlich schlanken und keinesfalls fetten Eindruck. Der Unico passt super sowohl zum Ei als auch zum Schwein.
Desserts & süßer Abschluss
Alles sehr lecker, naheliegenderweise aber ohne Schinken