Reaktionen auf Tschernobyl
Tschernobyl gilt als die schlimmste Atomreaktorkatastrophe aller Zeiten. Am 26. April 1986 kam es zur Explosion des Kraftwerks im Block 4. Zunächst wurde es verschwiegen und später aufgrund zahlreicher Messungen aus dem Ausland, musste die damalige Regierung der UdSSR einräumen, dass es einen Reaktorunfall in der Ukraine gab.
In Deutschland wurde die Nachricht sehr ernst genommen. Schon kurz nach dem Unfall wurde versucht Vorsichtsmaßnahmen umzusetzen. Kinderspielplätze wurden geschlossen, Landwirte sollten die Feldfrüchte unterpflügen. Die Molke musste von der Milch getrennt werden, weil sie als besonders verstrahlt galt. Diese wurde dann gesondert gelagert und unter Verschluss gehalten. Die Milchkühe sollten in diesem Sommer auch nicht auf den Weiden grassen, sondern mit Heu, welches für den Winter gedacht war, gefüttert werden.
Die Gründung des Bundesamt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit war dann die direkte Folge. Alle deutschen Atomkraftwerke wurden daraufhin auf ihre Sicherheit überprüft und von dem Bau neuer Atomkraftwerke wurde abgesehen. Die SPD veränderte ihre Position zur Atomkraft und ist seitdem für einen Atomaustieg. Die FDP und CDU waren sich der schwierigen Lage für die Atomkraft bewusst und so wurde die „Brückentechnologie“ erdacht. Die Anti-Atomkraft-Bewegung sowie die Grünen bekamen einen riesigen Zulauf. Die Medien nahmen sich der Diskussion um Tschernobyl an und viele Legenden bildeten sich rund um die Katastrophe. In das gesellschaftliche Bewusstsein ging sie als „größter anzunehmender Unfall“ (GAU) ein. Sie wird oft in Verbindung gebracht mit hundertausenden von Opfern [2]. Soweit zur Geschichte.
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Chernobyl’s Legacy: Health, Environmental and Socio-Economic Impacts
Die Folgen von Tschernobyl waren damals aber noch kaum abzusehen, sowohl was die Anzahl der tatsächlichen Opfer angeht als auch die politischen Konsequenzen.
In den folgenden Jahren wurde der Unfall wissenschaftlich untersucht unter der Leitung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) [3][4] in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordination humanitärer Hilfe (UN-OCHA), dem wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen über die Wirkung ionisierender Strahlung (UNSCEAR) und der Weltbank sowie den Regierungen Weißrusslands, der Russischen Föderation und der Ukraine und ist bekannt unter „Forum Tschernobyl“.
Ein umfassender Bericht des „Forum Tschenobyl“ wurde dann im Jahr 2005, zwanzig Jahre nach der Katastrophe, veröffentlicht. An der Untersuchung nahmen hundert Wissenschaflter, Ökonomen und Gesundheitsspezialisten teil.
Ihre Ergebnisse standen / stehen dabei in einem krassen Widerspruch zur öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland. Den Bericht verlinke ich am Ende des Artikels unter den Quellen [5]. Hier die Zusammenfassung aus einem Artikel von Novo-Argumente [6]:
• Bis Mitte 2005 wurden weniger als 50 Todesfälle direkt der Strahlung aus der Katastrophe zugeschrieben. Praktisch alle Opfer gehörten zu den Rettungskräften, die sehr stark bestrahlt worden waren. Viele starben in den ersten Monaten nach dem Unfall, aber andere haben bis ins Jahr 2004 überlebt.
• Von den über 200.000 Rettungs-, Bergungs- und Sanierungskräften, die 1986 bis 1987 eingesetzt und bestrahlt wurden, könnten Schätzungen zufolge 2200 an den Folgen der Bestrahlung vorzeitig sterben.
• Die meisten Rettungskräfte und Einwohner der kontaminierten Gebiete erhielten eine im Vergleich zur Bestrahlung aus natürlichen Quellen schwache Ganzkörperdosis. Daher waren weder Anzeichen noch eine Wahrscheinlichkeit für eine verminderte Fruchtbarkeit in den betroffenen Bevölkerungsgruppen festzustellen. Auch gab es keine erhöhte Zahl angeborener Missbildungen, die auf Bestrahlung zurückzuführen wären.
• Etwa 4000 Schilddrüsenkrebsfälle – hauptsächlich bei Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalls Kinder oder Jugendliche waren – sind auf die Kontamination nach dem Unfall zurückzuführen. Mindestens neun Kinder sind daran gestorben.
• Die Gruppe internationaler Fachleute stellte bei den betroffenen Einwohnern keine Anzeichen für eine Erhöhung der Krebshäufigkeit durch den Unfall fest.
• Abgesehen von den Krankheiten und Todesfällen infolge der Bestrahlung sind die Auswirkungen von Tschernobyl auf die geistige Gesundheit „das größte vom Unfall ausgelöste volksgesundheitliche Problem“. Der Bericht schreibt die schädlichen psychischen Folgen dem Fehlen genauer Informationen zu. Hinzukommen dürften die Übertreibungen des Katastrophenausmaßes in Westeuropa.
• Mit Ausnahme der noch immer geschlossenen, stark kontaminierten 30-Kilometer-Zone um den Reaktor, bestimmter abflussloser Seen und von Wäldern, zu denen der Zutritt eingeschränkt ist, sind die Strahlenpegel in den meisten Fällen auf annehmbare Werte zurückgegangen.
• Der ökonomische Schaden durch die Reaktorkatastrophe wird auf mehrere 100 Milliarden Dollar geschätzt.
The other Report on Chernobyl (TORCH)
Die Ergebnisse werden aber nicht von allen anerkannt. Eine alternative Studie [7] wurde im Auftrag von Rebecca Harms [8], EU-Abgeordente der Grünen, und mit Unterstützung der Altner-Combecher-Stiftung für Ökologie und Frieden [9] durchgeführt.
Die Ergebnisse weichen hier nach oben ab, aber sie sind nicht so hoch, wie man vielleicht vermutet. Hier ein Zitat aus dieser Studie:
Zusammenfassend ist aus dem Bericht Folgendes zu schlussfolgern:
es ist mit etwa 30.000 bis 60.000 zusätzlichen Todesfällen durch Krebs zu rechnen – 7 bis 15 Mal mehr als die Zahl von 4.000 in der Presseerklärung der IAEO die Schätzungen zu den übermäßig hohen Sterbezahlen hängen stark vom angesetzten Risikofaktor ab die geschätzten zusätzlichen Fälle von Schilddrüsenkrebs belaufen sich je nach Risikomodell auf 18.000 bis 66.000 weitere Krebsarten mit langen Latenzzeiten beginnen 20 Jahre nach dem Unfall in Erscheinung zu treten Weißrussland, die Ukraine und Russland wurden stark kontaminiert, mehr als die Hälfte des nuklearen Niederschlags von Tschernobyl ging jedoch außerhalb dieser Länder nieder der radioaktive Niederschlag von Tschernobyl kontaminierte ca. 40 % der Fläche Europas die glaubwürdigste Schätzung der Kollektivdosis beträgt etwa 600.000 Personen-Sievert, mehr als das Zehnfache der Schätzungen von 55,000 Personen-Sievert aus dem IAEA/WHO Bericht etwa 2/3 der Kollektivdosis von Tschernobyl verteilen sich auf die Bevölkerung außerhalb von Weißrussland, der Ukraine und Russland, insbesondere auf Westeuropa die Werte des durch Tschernobyl freigesetzten Cs-137 sind schätzungsweise etwa ein Drittel höher als offiziell geschätzt
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Mein Zwischenfazit: Vernünftige Reaktion auf Tschernobyl
Jetzt wissen wir wie es um die Katastrophe von Tschernobyl steht. Egal welcher Studie man vertraut, welche Reaktion auf diese ist vernünftig?
Die Gegner der Atomkraft wollten damals die Konsequenz ziehen aus der Kernergie sofort auszusteigen, wie auch heute nach Fukushima. Das ist so, als wolle man den Flugverkehr abschaffen, weil es manchmal zu Abstürzen führt, als will man autofahren verbieten. weil es täglich auf den Straßen zu Unfällen mit tödlichen Ende kommt, als will man Alkohol verbieten, usw. usf. Sie verstehen was ich meine. Nur weil es auch zu Unfällen kommen kann muss man nicht der Technologie abschwören.
Eine vernünftige Herangehensweise ist es, weitere Anstrengungen zu unternehmen die Risiken von Atomkraftwerken zu minimieren. Im Übrigen wie im ersten Teil dieser Serie [10] dargestellt, sind die Auswirkung auf die Gesundheit und auch die Anzahl der Todesfälle nicht höher als bei den anderen Formen der Energieerzeugung.
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Dieser Artikel ist der dritte Teil einer mehrteiligen Serie zum Thema Kernergie. Im ersten Teil habe ich die einzelnen Energieerzeugungsformen verglichen und etwas zu Wahrscheinlichkeiten gesagt, der zweite Teil beschäftigte sich mit der speziell deutschen Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung.
Teil 4 erscheint wieder im Abstand von einer Woche am Samstag morgen um 08:00 Uhr und wird sich mit den Auswirkungen von Fukushima beschäftigen. In weiteren Teilen werden die Rolle der Medien, der Umgang mit dem Atommüll und noch andere Themen beleuchtet.
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Quellen / Links [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl#Bundesrepublik_Deutschland [2] http://www.zeit.de/wissen/2011-04/tschernobyl-gesundheitsfolgen-bericht/seite-2 [3] http://www.iaea.org [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Atomenergie-Organisation [5] http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Chernobyl/chernobyl.pdf [6] http://www.novo-magazin.de/81/novo8110.htm [7] http://www.chernobylreport.org/?p=zs [8] http://de.wikipedia.org/wiki/Rebecca_Harms [9] http://stiftungen.stifterverband.info/t318_altnercombecher/index.html [10] http://ffreiberger.wordpress.com/2011/05/14/fokus-kernenergie-1-umgang-mit-wahrscheinlichkeiten-und-risiken-energietechnologien-im-vergleich/