Föhr 2018 – Tag 10: Eine Nacht am Meer

Es ist 7.30 Uhr, als ich von einem lauten „Guten Morgen, du faulpelziges Faultier!“ geweckt werde. Beach Body steht in unserem Wohnzimmer, wo wir seit der Ankunft der Kinder auf dem Schlafsofa nächtigen, und reißt die Gardinen auf.

Der frühe Vogel trifft den Vogel. Guten Morgen! #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #scheissaufdiekohle

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Aug 1, 2018 um 12:32 PDT

„Nachdem du gestern beim Flanieren durchs Watt regenerieren konntest, hauen wir heute so richtig rein“, eröffnet mir Beach.

„He, das waren gestern sechzehn Kilometer, die wir insgesamt gegangen sind“, protestiere ich.

„Genau“, erwidert Beach. „Und heute laufen wir sechzehn Kilometer. Schön in einem knackigen Tempo, um mal wieder einen Reiz zu setzen.“

Den Reiz setzt Beach bei mir ja eigentlich mit seiner schieren Anwesenheit, aber ich glaube, er versteht darunter etwas anderes. Er wirft mir meine Laufklamotten zu und pfeift „Sweeet Sixteen“ von Billy Idol.

Kurze Zeit später rennen wir auf dem Nieblumstieg Richtung – wie der Name der Straße vermuten lässt – Nieblum, ein pittoreskes Örtchen im Norden der Insel. Beach schlägt ein mörderisches Tempo an, als sei der Leibhaftige hinter uns her. Ich habe eher das Gefühl, als laufe der Leibhaftige vor mir her. Obwohl wir gerade mal etwas mehr als einen Kilometer absolviert haben, fühle ich mich wie auf den letzten Metern eines Marathons. Nur ohne die Endorphinausschüttung ob der Aussicht, es gleich geschafft zu haben.

Wir laufen auch nicht auf dem Fahrradweg, der neben der Straße gelegen ist, sondern auf dem unbefestigten Rand auf der anderen Seite, wo immer wieder Autos knapp an uns vorbeizischen. Ich schlage Beach vor, dass wir doch besser den Radweg benutzen sollten, aber er lehnt ab. „Das schult deine Reaktionsschnelligkeit und deine Sprungkraft.“

„Wieso?“, will ich wissen.

„Weil du immer schnell reagieren musst, wenn dich fast ein Auto erwischt“, erwidert Beach ungerührt. „Und wenn es eng wird, musst du einen ordentlichen Sprung über den Straßengraben ins Maisfeld machen.“

„Ich möchte aber nicht als Roadkill auf Föhr enden“, werfe ich ein.

„Ach, das passiert schon nicht“, beschwichtigt Beach mich. „Bei deinem orangen Shirt und deinem Tempo können die dich gar nicht übersehen. Wie so einen Mülleimer an einem Laternenpfahl.“

„Und wenn die mich doch nicht sehen?“, gebe ich zu bedenken.

„Dann habe ich eine Menge Scherereien“, antwortet Beach. „Von wegen Polizei benachrichtigen, die ganze Bürokratie, die das nach sich zieht und so.“ Er verzieht sein Gesicht, und man sieht ihm an, dass ihm das sehr unrecht wäre.

„Und was ist mit mir?“, frage ich entrüstet.

„Na, dir ist dann alles egal“, sagt Beach lapidar. „Du siehst dann aus wie der Kollege hier.“ Mit diesen Worten zeigt er auf eine pelzige Flunder, die auf dem Asphalt klebt und so platt gefahren ist, dass nicht mehr zu erkennen ist, ob es mal ein Hase, eine Katze oder ein Fuchs war.

Irgendwann durchqueren wir Nieblum und rennen weiter nach Borgsum, wo Beach am Ortsausgang umdreht und ruft: „So, jetzt solltest du richtig aufgewärmt und dein Puls auf Betriebsgeschwindigkeit sein. Da können wir mal einen Zahn zulegen. Immer nur dieses lockere Traben bringt ja auch nichts.“ Dann verschärft er das Tempo. Aber wenigstens darf ich jetzt auf dem Fahrradweg laufen.

Nach sechzehneinhalb Kilometern und gut 90 Minuten sind wir zurück an der Ferienwohnung, wo sich Beach verabschiedet. „Das war doch gar nicht mal so schlecht heute“, sagt er. „Jetzt hast du dir einen schönen Kohlrabi-Salat zum Frühstück verdient.“ Ich nicke ihm zu und als er nicht mehr zu sehen ist, gehe ich zum Bäcker.

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Bei der Bäckerei reicht die Schlange erstmals im Urlaub nicht bis auf die Straße. Ich befürchte kurz, dass der Laden gebrandschatzt wurde und irgendeine Bande alle Camping-Wecken geraubt hat. Meine Angst ist allerdings unbegründet. Anscheinend bin ich einfach zu einer günstigen Zeit erschienen und es gibt auch noch genügend Camping-Wecken für einen sorgenfreien Start in den Tag. (Aber kein Gratis-Brötchen, wovon ich mich aber nicht runterziehen lasse.)

Beim Frühstück ist die Stimmung ausgelassen, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass heute ein Glas Nutella auf dem Tisch steht. Das hatten die Frau und ich gestern Abend noch nach unserer Rückkehr von Amrum gekauft, weil wir befürchteten bei einem weiteren nutellafreien Frühstück von den Kindern nachts mit einem Kopfkissen erstickt zu werden.

Die Kinder streichen mehr als großzügig die Nuss-Nougat-Creme auf ihre Camping-Wecken und versichern sich gegenseitig lautstark, wie köstlich das schmeckt. Dabei werfen sie uns provozierende Blicke zu, mit denen sie uns zu verstehen geben, dass das nur komplette Vollidioten anzweifeln.

„Warum sollte das auch nicht schmecken, wenn man etwas Süßes auf etwas anderes Süßes schmiert?“, fragt die Tochter und nimmt einen Bissen von der Größe Liechtensteins von ihrem Camping-Wecken. Ich finde es zwar ziemlich despektierlich, von Camping-Wecken und von Nutella als „etwas Süßes“ zu sprechen, als wäre es ein ordinärer Schokoriegel, aber es fällt mir schwer, der Logik der Tochter zu widersprechen.

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Am Strand gibt es neue Bewohner im Korb 184. Ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern von circa zwei und vier Jahren. Die Mutter hat eine sportliche Figur und einen bandagierten linken Knöchel. Sie erzählt einer anderen Frau, sie sei beim Beach-Volleyball umgeknickt. Aber damit kann sie – und der Tourismus-Ausschuss von Föhr – mich nicht hinters Licht führen. Ich gehe davon aus, dass ihre Erklärung wieder ein Ablenkungsmanöver ist, um die Existenz des aggressiven Kraken, der in Strandnähe sein Unwesen im Meer treibt, zu verschleiern.

Ihr Mann ist bereits gut vorgebräunt, aber auf eine attraktive Art, nicht mit so einer ledrig-rotbrauen Haut, wie Menschen sie haben, die zu viel Zeit im Münz-Malle verbringen. Er hat ebenfalls eine sportliche Statur mit einem beeindruckend muskulösen Oberkörper. Kurz überlege ich, ihn zu fragen, ob er auch mit Beach Body trainiert.

Aufgrund seines leuchtend gelben Muscle-Shirts mit dem Schriftzug Ole vermute ich, dass er Ole heißt. Vielleicht täusche ich mich da aber auch. Schließlich heißen ja auch nicht alle Männer, die in einem Anflug modischer Umnachtung Camp-David-Hemden tragen, David. Möglicherweise aber Camp? Vielleicht sollte ich mich ein wenig in den Schatten setzen. (Die Frau nickt.)

Strandbekleidung für den modisch interessierten Junge-Union-Anhänger. #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #werbungdamarkeimbild #keinepinkepinke

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Aug 1, 2018 um 11:27 PDT

Das markanteste Merkmal von Ole ist sein breites Dauergrinsen. Ununterbrochen präsentiert er seine schon unnatürlich weiße Zahnreihe, dass ich mir wünsche, anstatt meiner Sonnenbrille eine Schweißermaske zu tragen, um nicht zu erblinden. Es sieht aus, als hätte Ole so eine Maulsperre im Mund, wie sie einem bei einer Zahnbehandlung verpasst wird, damit man nicht versehentlich dem Zahnklempner die Hände abbeißt. Oder trägt er einen Kleiderbügel quer im Mund? Es scheint mir aber wenig ratsam, diese Frage mit ihm zu erörtern. (Stichwort muskulöser Oberkörper)

Sein Dauergrinsen erinnert mich an eine Kommilitonin, die mir in einem Publizistikseminar gegenübersaß und mich unentwegt anlächelte. Wie wohl fast jeder heterosexuelle Mann Anfang 20 dachte ich, dass sie mit mir flirtet, bis ich irgendwann feststellte, dass sie einfach immer debil vor sich hingrinste.

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Nach dem Abendessen steht dem Sohn und mir ein besonderes Abenteuer bevor: Wir übernachten am Strand in einem Schlafstrandkorb. (Bevor es hier erboste Aufschreie gibt, dass dieses Erlebnis den männlichen Familienmitgliedern vorbehalten ist: nächste Woche sind die Frau und die Tochter dran.)

Den Schlafstrandkorb hatte ich vor ein paar Wochen auf der Föhr-Website entdeckt und reserviert. Erstaunlich eigentlich, dass ein Mensch, der eine Aversion gegen das Campen hat, weil es wenig Komfort und viel Ungeziefer verspricht, etwas bucht, das nicht nur wenig Komfort und viel Ungeziefer, sondern auch noch viel Sand verspricht. Aber nun mal auch Nervenkitzel, denn wir schlafen nur 20 Meter vom Meer entfernt.

Der Schlafstrandkorb steht an der Strandpromenade auf Höhe des Aquaföhrs, dem – laut Webseite – Bade-, Gesundheits-, Thalasso- und Wellness-Center der Insel. Der Korb ist eigentlich recht komfortabel und mehr eine Art Koje mit Matratze, geräumigen Ablagefächern an der Kopfseite, LED-Lichtern und wir haben sogar Bettzeug. (Die hatte ich dazu gebucht, damit ich im Urlaub nicht wie ein wildes Tier die Nacht im Schlafsack verbringen muss.) Schon am Mittag hatte mir der Strandkorbwärter alles erklärt und dabei die typisch norddeutsche Beredsamkeit an den Tag gelegt. „Da ist der Strandkorb.“ „Da sind die Schlösser.“ „Die Toiletten sind da.“ Jeder Satz, der über vier Wörter hinausgeht, gilt hier schon als Redeschwall. Ich liebe es!

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Bis circa 22 Uhr leisten uns die Frau und die Tochter noch Gesellschaft, bevor sie in die Ferienwohnung gehen, um sich einen schönen Restabend zu machen und einen Film anzuschauen. Der Sohn meint, wir würden uns dagegen wie gebildete Menschen unterhalten und lesen. (Nächste Woche, wenn die Frau und die Tochter im Schlafstrandkorb übernachten, möchte er allerdings auch einen Film anschauen. Irgendwo hat das Gebildetsein ja auch seine Grenzen.)

Arbeiten, wo andere Urlaub machen. #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #nomoneynocry

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Aug 1, 2018 um 11:58 PDT

Der Sohn und ich gehen noch schnell ins Aquaföhr, wo die Strandkorbschläfer die Toiletten benutzen können, um uns die Zähne zu putzen. Danach machen wir es uns in unserer Schlafkoje gemütlich. Anfangs lassen wir noch das Verdeck offen und schauen rüber Richtung Festland, wo die Windräder mit ihren roten Lichtern blinken. Wir erörtern die wichtigen Fragen des Lebens. Warum blinken Windräder? Wo liegt von uns aus Amrum? Und wo Sylt? Was ist eigentlich eine Hallig? Warum heißt eine Hallig Hallig? Ich bleibe die meisten Antworten schuldig. Eigentlich alle.

Etwas später schließen wir das Verdeck, weil es uns doch etwas zu unheimlich ist, ganz unter freiem Himmel zu schlafen. Aber vorne gibt es eine Art Fenster, so dass wir trotzdem einen Meerblick haben. Sonst macht es ja auch keinen Sinn am Meer zu übernachten, wenn man das Meer nicht sehen kann.

Gute Nacht! #schoenefoehrien #werbungdaortsnennung #keincash

Ein Beitrag geteilt von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) am Aug 1, 2018 um 1:27 PDT

Eigentlich hatte ich mir zum Einschlafen eine Gruselgeschichte ausgedacht, denn so etwas gehört ja zum Übernachten in der Natur dazu. Dass man sich gruselige Geschichten erzählt. In meiner Geschichte ging es um Monster, die nachts immer aus dem Meer kommen, und Tiere und Menschen auf Föhr fressen. Allerdings laufen zu der späten Stunde noch einige Menschen über den Strand und ich kann nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass es sich nicht unter Umständen um enbediese Meermonster handelt. Deswegen ist mir meine eigene Geschichte zu gruselig und ich behalte sie lieber für mich.

Kurz nach Mitternacht machen wir die Lichter in unserem Strandkorb aus und mummeln uns in die Decken ein. Kaum haben wir es uns richtig bequem gemacht, fällt dem Sohn ein, dass er doch nochmal auf Toilette muss. Das ist zwar ein wenig nervig, gehört aber auch zum Schlafen in der freien Natur dazu. Dass man nachts nur mit einer Taschenlampe bewaffnet irgendwelche düsteren Wege zur Toilette geht und hinter jedem Busch einen Axtmörder vermutet.

Zurück im Schlafstrandkorb können wir erstmal nicht einschlafen. Wir lauschen den Geräuschen draußen. Es ist erstaunlich, wie viele Jugendliche zu dieser Uhrzeit noch auf der Strandpromenade sind. Und es ist noch erstaunlicher, wie viele von ihnen Lautsprecherboxen dabei haben. Und am aller erstaunlichsten ist es, was für miese Musik sie hören.

Auf den Treppenstufen des Aquaföhr hocken ein paar Jungs und unterhalten sich leise. Als zwei Mädchen vorbeikommen, macht einer der Knaben den miesesten Anmachspruch des Tages:

„Entschuldigung, kannst du mir einen Gefallen tun. Mein Kumpel hat gesagt, ich darf erst nach Hause gehen, wenn ich eine Nummer bekommen habe.“

„Dann wirst du wohl hier übernachten müssen.“

(Leider hat das Mädchen das nicht gesagt, sondern ihm tatsächlich ihre – oder irgendeine – Nummer gegeben. Am liebsten wäre ich aus dem Schlafstrandkorb gestiegen und hätte sie geohrfeigt. Und den Jungen gleich mit.)

Irgendwann höre ich die gleichmäßigen Atemzüge des Sohnes, der eingeschlafen ist, während ich selbst noch länger wach liege. Ich erinnere mich an die Szene aus Frank Schätzings „Der Schwarm“, in der irgendwelche Tiere aus dem Meer gekrabbelt kommen und Unheil anrichten, stelle mir vor, wieviel Milliarden Insekten am Strand leben und wie viele davon gerade unterwegs zu unserem Strandkorb sind, und überlege, ob es wohl Psychopathen auf Föhr gibt, die nachts Feuer unter Schlafstrandkörbe legen und dann die Insassen meucheln. Halt ganz normale Gedanken, die man so denkt, wenn man am Meer übernachtet.

Gute Nacht!

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Alle Teile des Föhr-Tagebuchs finden Sie hier.

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