Immoment sind Berichte über die Linke sehr selten, zumindest, wenn sie sich nicht um den von den Medien beschworenen Flügelstreit drehen. Eigentlich gäbe es viele Themen mit denen die Linke glänzen könnte so etwa die Debatte um Hartz IV oder das BGE.
Über diese Themen sprachen wir mit Werner Schulten, Sprecher des BAG Hartz IV und Mitglied im Bundesvorstand der Linken.
Hartz IV
Freiheitsliebe: Werner Schulten als Sprecher der BAG Hartz IV stellt sich die Frage, wie DIE LINKE gedenkt Hartz 4 abzuschaffen. Ist dies eher über Druck der Bevölkerung zu schaffen oder durch parlamentarische Zusammenarbeit mit den anderen Parteien?
Werner Schulten: Beides ist unabdingbar. Der Druck über die Bevölkerung alleine wird ebenso wenig ausreichen wie parlamentarische Aktionen. Perspektivisch ist eine Abschaffung dieser Gesetze und eine dem Sozialstaatsgebot gerecht werdende Neuordnung nur in Zusammenarbeit mit SPD und Grünen möglich. Diese sind aber noch meilenweit davon entfernt, die durch sie eingeführte Gesetzgebung korrigieren zu wollen. Dazu bedarf es massiven Drucks durch die Straße ebenso wie durch Gewerkschaften und Sozialverbände. Besonders die Gewerkschaften haben noch nicht in ausreichendem Maße verstanden, dass die Hartzgesetze geschaffen wurden, um massiven Druck auf die Beschäftigten auszuüben, um notwenige Lohnsteigerungen zu verhindern und um einen Armuts- und Niedriglohnsektor einzuführen.
Freiheitsliebe: Unter der amtierenden Regierung ist die Abschaffung von Hartz IV sehr unrealistisch, bist du trotzdem der Meinung, dass man die Situation der Betroffen auch in dieser Legislaturperiode schon verbessern kann?
Werner Schulten: Gerade die letzten Monate haben gezeigt, dass sich die Situation für die Betroffenen eher verschlechtert und weiter verschlechtern wird. Die schwarz/gelbe Regierung hat mit dem sogenannten Sparpaket und der Regelsatz-Neuberechnung gezeigt, dass sie auch künftig den Sozialabbau weiter betreiben wird. Als nächstes folgt am 1. Januar die Einführung der sogenannten Bürgerarbeit. Ein Workfare Projekt nach dem Motto: Keine Leistung ohne Gegenleistung. Alle Gesetzesinitiativen der LINKEN laufen ins Leere, auch weil die anderen Oppositionsparteien, die ja die Büchse der Pandora geöffnet haben, nicht mitziehen. So ist absehbar, dass SPD und Grüne bei einer Normenkontrollklage der LINKEN gegen die Neufestsetzung der Regelsätze nicht mitziehen wird. Das ist für mich ein Skandal, dass selbst Oppositionsparteien ihre Kontrollfunktion bei verfassungswidrigen Gesetzen nicht wahrnehmen wollen.
Freiheitsliebe: Welche Alternativen erscheinen dir sinnvoll als Alternative zu Hartz IV? Ist das BGE eine Möglichkeit aus der Sicht der BAG Hartz IV?
VWerner Schulten: Beschlusslage der Partei ist die Einführung einer bedarfsgeprüften repressions- und sanktionsfreien Mindestsicherung, die vor Armut schützt und die Bürgerrechte der Betroffenen achtet. Die BAG Hartz IV hat im Frühjahr hierzu ein Positionspapier beschlossen (http://die-linke.de/partei/zusammenschluesse/bag_hartz_iv/positionspapiere/soziale_sicherung/), in dem wir die Höhe auf 990 € festgelegt haben. Dies entspricht dem Mittelwert der unterschiedlichen Berechnungen der Armutsrisikogrenze nach europäischem Standard. Hierbei bleibt offen, ob dies als einkommensabhängig oder bedingungslos an alle gezahlt wird. In diesem Positionspapier wird ein Kindergrundeinkommen gefordert, da wir der Meinung sind, Kinder sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unabhängig vom Status ihrer Eltern. Ich halte das Bedingungslose Grundeinkommen aus vielerlei Sicht für die optimale Form, gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu verteilen. Eine Stimmungsumfrage auf einer Mitgliederversammlung der BAG Hartz IV im September 2009 ergab folgendes Bild: Für das bedingungslose Grundeinkommen sprachen sich 65% aus, 26% stimmten dagegen und 9% enthielten sich.
Freiheitsliebe: Wie kommt es, dass die Linke trotz vieler aktueller Themen, mit denen sie punkten könnte, in der politischen Debatte nicht in dem Maß wahrgenommen wird, wie es den Themen entsprechen könnte?
Werner Schulten: Das hat meines Erachtens drei Gründe: 1. DIE LINKE wird von den Medien bewusst und massiv benachteiligt, so dass ihre Positionen in der Bevölkerung nicht ankommen. 2. Die Partei wird in der Bevölkerung nur in ihren ursprünglichen Kernthemen Soziale Gerechtigkeit und Frieden als kompetent wahrgenommen. Strategisch sollten diese also wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Ein Beispiel: Bei allen Debatten um Ökologie punkten nur die Grünen. Uns muss es besser als bisher gelingen, unseren Ansatz nach außen zu bringen, auch die ökologische Frage mit der sozialen zu verbinden. 3. So unverständlich es scheint: Systemkritik ist dann am erfolgreichsten, wenn das System „normal“ läuft. Ist die Existenz der Menschen bedroht, neigen sie weniger dazu, Neues zu versuchen, sondern setzen eher auf Bewährtes und vertrauen auf schnelle Genesung. Zudem ist die Kapitalismuskritik unserer Partei nicht deutlich und einheitlich genug. Was zum Teil auch daran liegt, dass die LINKE auf Landes- und Kommunalebene gezwungen ist, praktische Politik innerhalb des Kapitalismus mitzugestalten.
Flügelkampf - Von den Medien beschworen oder Tatsache
Freiheitsliebe: In den Medien wird über einen Flügelstreit innerhalb der Linken gesprochen, besonders auf dem letzten Parteitag. Siehst du die Gefahr, dass sich die verschiedenen Plattformen und Gruppierungen weiter voneinander entfernen?
Werner Schulten: Gefahr sehe ich so nicht. Es ist richtig, dass scheinbar unauflösbare Meinungsunterschiede bestehen, aber die betreffen fast ausschließlich Überlegungen, wie man am besten zum gemeinsamen Ziel kommen kann. Bei der Eigentumsfrage zum Beispiel ist nach meiner Ansicht ein Konflikt hochstilisiert worden. Die eine Seite sagt, über das Eigentum werde die Machtfrage entschieden, die andere Seite sagt, die Eigentumsfrage alleine löse das Problem nicht. Denn auch bei Staats- oder Gemeinschaftseigentum wäre das Kernproblem, nämlich die Fixierung auf Profitstreben nicht automatisch gelöst. Das sehe ich nicht als Widerspruch. Bei der Friedensfrage gibt es einen ganzen Strauß von Positionen vom reinen Pazifismus über Blauhelmeinsätze bis zur Anerkennung der UN-Charta bei einer Neuregelung dieses Gremiums. Kriegseinsätze, die der Sicherung unseres Lebensstandards dienen, wie im Weißbuch 2006 beschrieben, lehnen alle ab. Hier liegen die Differenzen in Details: was tun wir bei einem Völkermord, was bei einer Gefährdung des Weltfriedens. Der dritte Streitpunkt ist die Frage der Definition von Arbeit. Hier wurde auf dem Programmkonvent mehr als deutlich, dass die reine Fixierung auf Erwerbsarbeit von einer großen Mehrheit in der Partei nicht gewollt ist, sondern dass in einem sozialistischen Programm deutlich werden muss, dass alle vier Arbeitsbereiche: Produktionsarbeit, Reproduktionsarbeit, Politisch-Gesellschaftliches Engagement und Arbeit an sich selbst als gleichberechtigte Arbeitsformen notwendig sind.
Freiheitsliebe: Könnte der von den Medien beschrieben Flügelstreit die Linke in den anstehenden Wahlkämpfen behindern?
Werner Schulten: Es wird darauf ankommen, ob von der Bevölkerung verstanden wird, dass dies kein Flügelstreit im klassischen Sinne ist, sondern eine demokratische streitbare Auseinandersetzung um Positionen, bei der es darum geht, den besten Weg zu finden, die Gesellschaft zu verändern und sie gerechter und menschlicher zu gestalten. Darum sollten wir, vor allem in einigen Landesverbänden, nicht den falschen Eindruck erwecken, die Einen betrachten sich als die reinen Sozialisten und die Anderen seien Opportunisten. Dies gilt natürlich auch umgekehrt.
Landtagswahlen und Koalitionen
Freiheitsliebe: Siehst du bei den kommenden Landtagswahlen realistische Chancen auf Koalitionen mit SPD und/oder Grünen?
Werner Schulten: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird es sicher nur um den Einzug in den Landtag gehen, in Bremen ist zumindest rechnerisch eine rot/rot/grüne Regierung möglich, in Mecklenburg-Vorpommern wäre rot/rot eine Option, die Grünen könnten hier allerdings möglicherweise zum Zünglein an der Waage werden. In Sachsen-Anhalt wird zunächst vieles davon abhängen, ob DIE LINKE stärkste Kraft wird. Dann bleibt abzuwarten, ob die SPD erstmalig unter einem LINKEN-Ministerpräsidenten mitspielt. Bisher hat sie dies blockiert. In Berlin ist wegen der Stärke der Grünen eine Fortsetzung des rot/roten Senats eher unwahrscheinlich und die Grünen werden auch nicht Halt vor der CDU machen, um endlich wieder in Regierungsbeteiligung kommen. Aber vielleicht werden die Wähler ja auch ganz anders entscheiden, als es die derzeitigen Umfragen glauben machen.
Freiheitsliebe: Wir danken dir für das Interview und wünschen viel Erfolg bei den anstehenden Wahlen