Der eigentliche Skandal ist, dass ich diesen Text überhaupt schreiben muss. Schreiben muss, weil es anscheinend nicht selbstverständlich ist, dass Menschen in Not in diesem Land geholfen wird. Und zwar aus einem einfachen Grund: Weil es ein Gebot der Menschlichkeit ist.
Wie weit ist eine Gesellschaft von ihrem humanitären Kern entfernt, wenn sie diese Empathie nicht mehr aufbringt?
Flucht – Der letzte Notausgang zum Überleben – Foto: © segovax / pixelio.de
Wenn sie Gründe erfindet, um diese Menschen zu diskreditieren? Wenn sie aus Flüchtlingen Kriminelle macht!
Wenn protestierende Flüchtlinge in München auf Bäume flüchten und dann die bayrische Sozialministerin ihr Mitgefühl mit dem Satz ausdrückt: „In Bavaria we don´t climb on trees“. Da möchte man rufen: Kein Wunder, denn Amöben siedeln ja vor allem in feuchten Böden.
Und wenn dann noch, wie in München geschehen, ein zufällig des Weges Kommender angesichts der verzweifelten Flüchtlinge in den Bäumen anmerkt: „Lasst sie doch dort oben hocken bis sie runterfallen“ dann kann man jetzt schon erfühlen welch ein verlogenes Event dieses Weihnachtsfest ist.
Hat ja letztendlich nur noch der Hinweis gefehlt: Die Flüchtlinge müssen weg, damit Platz für den Weihnachtsmarkt ist. Wir lassen uns durch die Realität das Fest doch nicht kaputtmachen!
Wenn im Angesicht dessen, dass Millionen auf der Flucht sind (so viele wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr) man auf die aberwitzige Idee kommt, dass man, da man ja eh nicht alle aufnehmen könne, besser gar keine aufnehme, um denen die noch unterwegs sind, erst gar keine Hoffnung zu machen, dann zeugt das schon von einer gehörigen Portion Realitätsverlust.
Und wenn es dann Alexander Gauland von der AfD (die ja vieles ist, aber bestimmt keine „Alternative“) so formuliert: „Wenn noch mehr Ausländer kommen, bekommen wir eine intolerante Gesellschaft!“, dann meint er: Ausländer raus, damit sie den dumpfbackigen Hohlköpfen aus dem rechten Milieu keine Angriffsfläche bieten und damit nicht noch mehr aus dem bürgerlichen Lager in den braunen Sumpf abrutschen.
Ja, so klingt es wenn Neonazis studiert haben (Zitat Volker Pispers)
Für viele wäre eine Hirnamputation eine große Erleichterung.
Bis heute habe ich aber noch keinen Kommentar von diesen Brandstiftern zur Studie der Bertelsmann-Stiftung gehört, nach der Ausländer in Deutschland mehr in die Sozialsysteme einzahlen, als dass sie herausnehmen. Wie blöd, dass das nicht ins Weltbild passt.
Aber wir waren ja bei den Flüchtlingen.
Haben wir tatsächlich geglaubt, dass die über Jahrzehnte aufgebauten Ungerechtigkeiten, die Ausbeutung der 3. Welt und die Aufrüstung des Nahen Osten, dass das alles nicht irgendwann auf uns zurückfällt?
Haben wir tatsächlich geglaubt, dass es auf Dauer gut geht, wenn die einen im Wohlstand leben und die anderen für uns die Drecksarbeit machen?
Haben wir geglaubt, dass es reicht an Weihnachten mit wohltätigen Spenden Ablasshandel zu betreiben?
Wenn uns schon die Humanität nicht leiten kann, dann sollte es zumindest die Vernunft tun.
Denn die wirklich entscheidende Frage lautet nicht: Wie können wir die Migration stoppen, sondern sie lautet schlicht: Wie viel Migration ist für alle gut?
Für uns kann Zuwanderung ein Zugewinn sein, und das nicht nur wirtschaftlich, und für die Länder aus denen die Flüchtlinge fliehen ist es oft ein riesiger Verlust.
Denn zu uns kommen ja nicht die Ärmsten der Armen, sondern oft die gut ausgebildeten, die die noch einen Rest an Geld auftreiben konnten, um die Schleuser zu bezahlen. Das sind genau die, die beim Aufbau einer Zivilgesellschaft fehlen werden.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir vom Kuchen etwas abgeben müssen. Die Taktik des Abschottens und des Weitermachens wie bisher wird unweigerlich ins Chaos führen.
Keine Mauer und kein Zaun der Welt kann Ungerechtigkeit und Unrecht auf Dauer kaschieren.
Und allen, die die Not der Flüchtlinge für ihre menschenverachtenden Parolen nutzen, rufe ich zu: Don´t climb on the trees! Die Affen würden sich sonst schämen…
von Christoph Sieber
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Quellen – weiterführende Links
Notausgang – Foto: © segovax / pixelio.de
Text: Christoph Sieber, öffentlich via Facebook am 01.12.2014