Als 16jähriger flieht Farah Abdi als verfolgter Homosexueller aus Nairobi (Kenia) alleine über den Sudan und Libyen nach Europa. Unterwegs wollten ihn Milizionäre ermorden. Er schafft es in einem der vielen wackeligen Boote nach Malta, wo er heute als Journalist und Blogger lebt. Seine Rettung: Glück, der Glaube an ein besseres Leben und eine gute Bildung.
Farahs Flüchtlings-Geschichte in meinem Radio-Porträt für den Norddeutschen Rundfunk:
http://ecomedia.info/wp-content/uploads/2015/11/Farah_Malta_NDR.mp3und zum Lesen:
„Sehr schwul, sehr schwarz, sehr religiös“
Valletta, Malta. Auf dem Boulevard tippt ein Jugendlicher konzentriert in sein mit glitzernden Swarovski-Steinen besetztes I-phone 5. Seine Fingernägel hat er in einem dunklen Grünton lackiert, drum herum einen akkuraten weißen Rand gezogen. Die lockigen Haare fallen über die rosa Kopfhörer auf die schmalen Schultern. Eine junge Frau, die sich an Vallettas Flaniermeile Republic Street zwischen Edelboutiquen und teuren Cafés mit einer Freundin zum Bummeln verabredet hat? Nein. Ein Armutsflüchtling, der in einem maroden Kahn an Maltas Küste gestrandet ist? Schon eher.
Vor zwei Jahren ist Farah Abdi mit mehr als 70 anderen Afrikanern in einem Dinghi, einem offenen Holzboot, an der Küste Maltas gelandet. Inzwischen hat er EU-Kommissarin Cecilia Malmström interviewt und vor den Vereinten Nationen eine Rede gehalten. In Maltas zweitgrößter Zeitung Malta Today schreibt der 19jährige jede Woche eine eigene Kolumne. „Ich werde von der Fashion Week berichten,“ erzählt er strahlend.
„Mach uns keine Schande“
„Als Grundschulkind habe ich gemerkt, dass ich anders bin“, erinnert sich Farah an eine „glückliche, behütete Kindheit“ in Nairobi. Am liebsten spielt er mit Mädchen, mag Literatur, Kunst und Mode. Die Lehrerin lädt die Mutter zum Gespräch. „Mach uns keine Schande“, fleht sie ihn an. Mit 13 schickten sie den Buben auf eine Jungen-Schule. „Ich wurde immer trauriger, depressiv“, berichtet der junge Mann.
Zehn Jahre zuvor war die Familie aus dem kriegszerstörten Somalia geflohen – tagelang zu Fuß durch die Wüste. Vom Flüchtlingslager zogen die Eltern mit den beiden Söhnen in die Hauptstadt, wo der Vater einen Elektroladen eröffnete. „Uns ging es gut. Wir waren Mittelklasse.“
Farahs Vater folgt der strengen Auslegung des Islam. In der Moschee lässt er sich sagen, was falsch und richtig ist. Zweifel waren verboten. Wenn die Kinder nicht spurten setzte es Schläge. Die Mutter, „eine einfache, religiöse Frau“ bot dem Jungen Halt und Trost. Warum ihr Sohn so anders war, verstand auch sie nicht.
Schwule werden eingesperrt wie Verbrecher
96 Prozent der Kenianer nennen Homosexualität in einer Umfrage „inakzeptabel.“ Schwule werden eingesperrt wie Verbrecher. Ihnen drohen bis zu 14 Jahre Knast. Im Nachbarland Uganda will der Präsident alle Homosexuellen umbringen lassen. Proteste aus aller Welt hinderten ihn im letzten Moment daran, die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche Liebe einzuführen.
Mehr als die staatliche Unterdrückung quälte Farah die Zurückweisung seiner Eltern. Wer sich zu lange selbst verleugnet geht zugrunde. Am 2. Februar 2012, kurz vor seinem 17. Geburtstag, packte er das Nötigste und schlich sich unter Tränen davon. „Natürlich hatte ich Angst, aber alles erschien mir besser als weiter in einem Käfig zu leben.“
Stationen eines Albtraums
Uganda – Sudan – Sahara – Libyen: Stationen eines Albtraums. Mit sieben weiteren Flüchtlingen gelangte er über Uganda in den Südsudan. Eine bewaffnete Gruppe schnappte die jungen Leute. Sie seien „Spione des Nordens“ weil die beiden Mädchen nach muslimischer Tradition einen Schleier trugen. Sie mussten sich ausziehen, wurden ausgepeitscht und vier Tage lang in einen dunklen Raum gesperrt. „Wenn die Natur rief, mussten wir uns selbst helfen“, umschreibt Farah in druckreifem Englisch die Not in einem Verließ ohne Toilette. Gegen Lösegeld kamen sie frei.
Um sich vor Übergriffen und Vergewaltigungen zu schützen verbarg Farah seine runden Körperformen stets unter einem weiten Gewand. Die größte Angst hatte er vor der Wüste. In Khartum packten Menschenschmuggler 33 ihrer Opfer auf einen Pickup. Bewaffnete Milizionäre kassierten die erste Rate in bar.„Die dunklen, kalten Augen“ des Bewachers jagten Farah „eisige Schauer über den Rücken“.
Mit Benzin gestrecktes Wasser in der Wüste
Zwölf Tage lang dauerte die Fahrt durch die Sahara. „Sie gaben uns nur mit Benzin vermischtes Wasser, damit wir möglichst wenig tranken.“ Wer unterwegs die nächste Rate nicht bezahlen konnte, wurde in der Wüste ausgesetzt. Zu essen gab es ein paar Nudeln. Nachts gruben sich die Flüchtlinge gegen die Kälte im Sand ein. Tagsüber brannte ihnen die Sonne auf den Kopf. Farah klammerte sich an seinen Traum vom Leben in Würde und fand Trost bei einem Deutschen: Texte von Erich Fromm hätten ihm geholfen, die Quälerei zu überstehen.
Die Hölle habe er dann im Libyen erlebt. 2011 stürzten Aufständische mit westlicher Hilfe Diktator Muammar al Gaddafi. Seitdem zerfällt das Land in Gebiete sich gegenseitig bekriegender Clans und Milizen. Bei den Flüchtlingen kassieren sie alle. „Die Schmuggler haben uns an mehreren Stationen ihre Folterkeller gezeigt, damit wir bezahlen.“ Nachts setzten die Fluchthelfer ihre lebende Ware an leerstehenden Gebäuden ab. „Einmal haben wir uns in einer Schule versteckt“, erzählt Farah. „Bewaffnete Männer haben sich sich die Mädchen geholt: Sie haben sie missbraucht.“
Mit letzter Kraft kam die Gruppe an der libyschen Küste an. Fünf Mal wurde sie in schrottreife Boote gesteckt, aufs Meer gefahren und von Milizionären wieder eingefangen. Die brachten sie zurück und die Schlepper kassierten für die nächste Überfahrt. Wieder auf See näherte sich erneut ein Schiff. „Die Sprache der Leute dort klang wie Arabisch. Wir hatten panische Angst“, erinnert sich Farah, der als erste die rot-weiße Fahne Maltas am Heck entdeckte. „Da wusste ich, wir waren gerettet.“
Die maltesische Polizei sperrte die Flüchtlinge in ein Lager, das Detention Center. Die EU- Mitgliedsländer dürfen Minderjährige nicht internieren. „Doch mich hat niemand nach meinem Alter gefragt.“ Farah war körperlich und psychisch am Ende. „Ich hatte Angst vor meinem eigenen Schatten.“
Sein Glück war eine Mitarbeiterin der maltesischen Flüchtlingsbehörde. Sie erkannte die Not des erschöpften, traumatisierten jungen Mannes und brachte ihn zu einer Psychologin. „Das größte Geschenk meines Lebens“, weiß er heute. „Sie hat mir geholfen, meine innere Büchse der Pandora aufzuräumen.“
Seine Gesichte referiert Farah heute routiniert, als sei es die eines Fremden. Er hat sie für die Zeitung Maltas Today aufgeschrieben, Mitarbeitern von Terre des Hommes, Vertretern der Vereinten Nationen und vielen anderen erzählt. Bald erscheint sein Buch über die Flucht.
10.000 Euro und viele Menschenleben für eine Reise, die mit dem Flugzeug 456 € kostet
„Ein Hin- und Rückflug Nairobi – London kostet mit 456 Euro“, bilanziert Farah. „Ich habe für die Reise 10.000 bezahlt und mein Leben riskiert.“ Warum? „Da zitiere ich Cecilia Malmström: „Es ist so gut wie unmöglich, legal in die EU zu kommen.“ Ohne Visum im Pass lässt das Bodenpersonal in Nairobi niemanden in einen Flieger nach Europa.
Verbrecherbanden verdienen prächtig an der Not. Das Magazin Forbes zählt den Menschenschmuggel zu den am schnell wachsenden „Geschäftszweigen weltweit. Geschätzter Umsatz 2010: 23 Milliarden Euro. Nur Drogenhandel bringt noch mehr.
Farah hat in Malta Asyl erhalten. Er ist glücklich, in Europa leben zu dürfen. Seine dunkelbraunen Augen leuchten. Geholfen hat ihm seine Bildung, sein Wissen, die geschliffenen, höflichen Umgangsformen und vor allem die Sprache. „Wieso sprichst Du als Afrikaner so gut Englisch?“, fragen ihn Einheimische häufig.
Ein Flüchtling: „Gleich klaut er“
Rassismus erlebt Farah in Europa unterschwellig: „Verkäufer beobachten mich immer genau, wenn ich einen Laden betrete. In ihren Gesichtern liest er Gedanken wie „Kann der sich unsere Produkte überhaupt leisten?“ oder „Gleich klaut er“. Tief verletzt hat ihn eine Begegnung im Bus. Der Fahrer verlangte zusätzlich zum Ticket einen Personalausweis. „Ich habe den Ausweis beim Kauf meiner Wochenkarte vorgezeigt“, entgegnete Farah. „Im Bus reicht die Fahrkarte.“ Der Schaffner befahl ihm auszusteigen. Als sich Farah weigerte, gab ein Wort das andere. Im Handgemenge warf ihn der Busfahrer zu Boden. Obwohl er die anderen Fahrgäste um Hilfe bat, sagte niemand etwas. Farah, der seine Worte sonst so sorgfältig wählt, ruhig und klar spricht, wird wütend, wenn er an diese Begegnung denkt. Seine Augen funkeln.
Ihn ärgern die Stereotype über Flüchtlinge, Schwarze oder Homosexuelle: „Ja,ich liebe Mode und schöne Dinge und ja, ich bin Materialist aber ich bin mehr als einer der vielen Schwulen, die auf Glitzer und Klamotten stehen.“ Der 19jährige hat sein Zuhause aufgegeben und sein Leben riskiert, um der sein zu dürfen, der er ist.
Kein Opfer sein
Er will kein Opfer sein. In Europa sähe man Flüchtlinge aus Afrika entweder als bedrohliche Invasion oder als Arme, die Hilfe benötigen und die man mit Steuergeldern durchfüttern muss. „Ich will eine andere Geschichte erzählen: Die eines starken Träumers, der in Würde leben will.“ Seine Ziele haben ihn von Kenia bis nach Malta getragen. Hier jobbt er in einem Restaurant, übersetzt im Auftrag der Regierung bei Behörden und Gerichten. Als nächstes will er „Internationale Beziehungen“ studieren. Dann werde er „in Zürich seinen Traummann heiraten und einen Porsche fahren.“
Info Flüchtlinge:
Von Januar bis November 2014 sind nach Angaben der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen UNHCR 163.368 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Fast 3500 haben die Überfahrt nicht überlebt. Weltweit waren 2014 50 Millionen Menschen auf der Flucht, fast so viele wie Westdeutschland Einwohner hat. Im weltweiten Vergleich nimmt die Europäische Union nur wenige Schutzsuchende auf. Die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien bleiben zum Beispiel in Jordanien, dem Libanon und der Türkei.Im Kleinstaat Libanon ist etwa jeder vierte Einwohner ein Flüchtling. Umgerechnet auf die EU wären das 125 Millionen Flüchtlinge statt der tatsächlichen 500.000. Mittel- und nordeuropäische Länder überlassen die Flüchtlinge gerne anderen: Nach der Dublin – III – Verordnung muss das europäische Land den Flüchtling aufnehmen und das Asylverfahren durchführen, in dem er zuerst angekommen ist. An Mittelmeer und Atlantik sind dies Italien, Griechenland, Spanien und Malta. Dort werden die Schutzsuchenden inhaftiert, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies bereits verboten hat.
Informationsverbund Asyl und Migration: http://www.asyl.net/ mit vielen Adressen zum Thema
Landesflüchtlingsräte: http://www.fluechtlingsrat.de/
Viele Städte, Gemeinden und Hilfsorganisationen in Deutschland suchen Ehrenamtliche, die sich um Flüchtlinge kümmern, zum Beispiel den Kindern Deutschkurse geben, bei den Hausaufgaben helfen oder beim Ausbau der Unterkünfte mit anpacken. Infos bekommt man in den Rathäusern, bei Flüchtlingsräten und den örtlichen Büros der Wohlfahrtsorganisationen (AWO, Diakonie, Caritas, Der Paritätische u.a.)
MerkenMerken