Europa ist ein brodelnder Hexenkessel, der kurz vor Ausbruch des wohl verheerendsten Krieges der Menschheit steht. Im Death Valley, Kalifornien/Nevada wird mit 56,7 °C die bisher höchste Temperatur gemessen. Marcel Proust sucht nach der verlorenen Zeit, Franz Kafka wirbt in langen, wunderschönen Briefen um die Gunst von Felice Bauer. Der Prototyp des ersten Aldi-Supermarkts entsteht in Essen während in Mailand die erste Prada-Filiale eröffnet wird. Marcel Duchamp erfindet zwar nicht das Rad neu, wohl aber das Ready-made. In der Zwischenzeit sitzt der österreichische Postkartenmaler Adolf Hitler in München an kleinbürgerlichen Stadtansichten…
Max Beckmann schreibt in sein Tagebuch: “Der Mensch ist und bleibt doch ein Schwein erster Klasse.”
1913, 12 Monate, 12 Kapitel, in denen Florian Illies den Leser auf eine Zeitreise durch die Geschichte nimmt, mal begleitet er Kurt Tucholsky beim Versuch, eine eigene Zeitschrift zu gründen, sieht Rainer Maria Rilke bei seinen lästigen gesellschaftlichen Pflichten über die Schulter während Adolf Loos erkennt, dass das Ornament ein Verbrechen ist. Viele Namen, die man alle schon einmal gehört hat, viele Namen, zu denen einen vielleicht auch das eine oder andere einfällt oder auch: viele Namen, die man unbedingt kennen muss. Illies kennt sie alle und verwebt ihre Geschichten zu einen lustvollen, amüsant zu lesenden Panorama eines ereignisreichen Jahres.
1913 war ein besonderes Jahr, wenngleich ich auch ganz ehrlich zugeben muss: aus dem Stegreif fallen mir relativ wenige Begebenheiten dazu ein. Ich gebe es ja zu: Geschichte war früher nie mein Lieblingsfach, irgendwann war ich der gefühlt hundertsten Wiederholung des 2. Weltkrieges leid. Geschichtsunterricht war für mich immer zu sehr auf die politische Geschehen fokussiert während Themen wie Literatur und Kunst wenn überhaupt nur ein stiefmütterliches Dasein behaupten konnten. Deshalb war ich sehr angenehm überrascht, mit welch leichter Hand Illies die Geschehnisse des Jahres 1913 anhand Anekdoten von Protagonisten aus Literatur, Kunst und Musik nachzeichnet. Für diese Art von Geschichtsstunde war es höchste Zeit, und ehrlich: ich wünschte, Illies würde sich daran machen, doch bitte alle Jahre niederzuschreiben. Utopisch, ich weiß. Aber vieles, was im Jahre 1913 noch utopisch schien ist heute längst selbstverständlich.