Florence Joelle - Stealing Flowers

Florence Joelle - Stealing Flowers

Der Sound ist der von Jazz-Clubs in den 40er Jahren. Songs, die als Soundtracks für klassische Film-Noir-Streifen gelten könnten. Doch was Florence Joelle für ihr zweites Album „Stealing Flowers“ geschrieben hat, sind höchst aktuelle - teils politisch zugespitzte - Lieder, die nur im altertümlichen Sound daher kommen.

Ihre Musik sei „Blues merged with gypsy jazz exotica and sprinkled with a hint of rockabilly“ meint die in London lebende französische Songwriterin. Und auch auf ihren Fotos kommt sie immer verführerisch ganz im Retro-Look daher. Welch eine Irreführung des Hörers! Oder besser: Welch angenehme Überraschung, wenn man sich vom einschmeichelnden Sound von „Stealing Flowers“ nicht davon abhalten lässt, sich die Songs wirklich anzuhören. Denn Joelle singt nicht von Mandolinen und Mondschein, von Rum & Coca Cola oder ähnlichen Banalitäten für harmoniesüchtige Genießer. In „29 Bus Blues“ geht es um einen Überfall in einem Londoner Nachtbus, deren Zeugin sie wurde. „How Many Chickens Do You Miss Today?“ protestiert gegen brutale Ausweisung von Roma durch die französische Regierung im Jahr 2010. Und „The God of Things“ entstand während der gewalttätigen Ausschreitungen in England im Sommer 2011. Die inneren Bilder von schummrigen Bars mit eleganten Damen und schmierigen Gangstern, die einem die Lieder zunächst vorgaukeln werden fast unheimlich gebrochen und halten einem immer wieder die eingefleischten Klischees des Denkens vor: Nein, die „gute alte Zeit“ war niemals so golden. Wir erinnern uns nur so an sie, weil alles, was wir davon zu wissen glauben, schon durch die diversen medialen Filter verzerrt wurde. Blues, Jazz Noir, Gypsy Swing - all das ist nur das musikalische Gewand, dass sich eine engagierte Songwriterin gesucht hat. Und es ist ihre Art, von einer Gegenwart zu singen, die sich gegen eine solche Behandlung scheinbar zu sperren scheint: Hektik, Härte und Kompromisslosigkeit - normalerweise verbinden wir das musikalisch eher mit Rock, mit Punk - oder meinetwegen auch mit heftigem Freejazz und nicht mit dahinperlendem Calypso oder jazzigem Blues im Geiste der 20er Jahre.

Das Retro-Gewand ist ein verführerischer Trick, um die Gegenwart abzubilden. Und das zieht sie denn auch konsequent durch: Live und direkt auf Tonband wurden die Songs aufgenommen, nicht nur die 2-Zoll-Maschine, auch die verwendeten Mikrophone stammten aus längst vergangen Jahrzehnten. Und auch die Cover von Duke Ellingtons „Caravan“ (mit Lap-Steel-Gitarre!) und Django Reinhardts „Coucou“ oder auch das immer wieder von Musikern hervorgeholte „Is You Is Or Is You Ain‘t My Baby“ wurden so lebendig und voller Energie konserviert: Und immer wieder packt einen diese unvergleichliche Stimme von Florence, die bei aller verführerischen Sanftheit immer wieder auch die Krallen ausfahren kann - und die schon seit den ersten Demos die Journalisten zu den absonderlichsten Wortkombinationen herausfordert: Sie singt Rock n Roll, so wie das Billie Holiday gemacht hätte, „croons a torch ballad as Wanda Jackson ma, and spices it all with a bit of Patti Smith attitude“ ist mein derzeitiger Liebling aus dieser Sammlung. Geschrieben wurde er im „Vintage Guitar Magazine“ von einem Journalisten, der auch schon Biographien über Django Reinhardt veröffentlicht hat. Selbst das Cover-Foto bleibt konsequent analog: Präsentiert wie auf einem Zeitschriftenbild aus den 50er Jahren sieht man die Sängerin, wie sie von der Fotographin Jayne Taylor mit einer alten Hasselblad abgelichtet wurde.

Florence Joelle ist mit „Stealing Flowers“ ein absolut überzeugendes Album gelungen, dass innerhalb der Retro-Szene absolut einzigartig dasteht mit seinen aktuellen Songs!

 


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