Ich war letztens im Urlaub. Und so ein Urlaub ist schwer zu organisieren, dachte ich. Man muss Urlaub nehmen. Man muss den Dienstplan aufstellen können. Man muss packen. Man muss ggf noch ein Scalamobil beantragen. Aber das Reisen, die Komplexität des Reisens als solches, werde ich als Laie wohl niemals erfassen können. Natürlich habe ich Respekt vor dem Abreisetag selbst. Da ist erst mal die Bahnfahrt mit der Bahn. Da müssen, die Zeiten stimmen, da muss man früh aufstehen, das ist schon einiges. Und trotzdem ist es nicht so schwer für mich, als wenn ich das beruflich machen müsste. Als Laie fahre ich zum Bahnhof und will in den Zug. Als Bahnangestellter stellt sich mir da die Frage: „Wer soll die Rampe öffnen?“. Als Laie fahre ich mit der Bahn und gehe davon aus, dass wenn ich das beim Mobilitätsservice angemeldet habe, dass ich abgeholt werde. Als Bahnmitarbeiter stellt sich mir die Frage: „Hole ich den Reisenden am Wagon ab“, schließlich kann man gut nachvollziehen, wo ein Rollstuhlfahrer im Zug sein könnte „oder erweise ich mich als besonders kreativ und warte woanders?“ Vorteil hier von ist: ich muss dann auch nicht mit dem Gepäck helfen, wenn derjenige aus dem Zug aussteigt. Logisch klingt das auch, wenn man am Aufzug wartet. Blöd nur, wenn der Bahnsteig zwei davon hat. Lustiger wird es, wenn man sich versteckt und es umso länger dauert, dass man gefunden wird. Ob die Bahn diese heiteren Momente erwähnt, wenn sie sich auf Nachwuchssuche begibt?
Nächste Station. Auch das Flughafenpersonal hält so manche Kniffe und Tricks zur Erheiterung für seine Reisenden parat. Jedes Mal werden die Karten neu gemischt und was letztens noch kein Problem war, kann heute schon Stoff für eine eigene Daily Soap bieten. Ich als Nebendarstellerin konnte das Geschehen nur fassungslos verfolgen. Auf einmal war nicht mehr klar, ob ich mein Scalamobil denn mit nach Polen nehmen könnte. Dabei weiß doch jeder: Kein Scalamobil, kein Polen. Drei weitere Komparsen, die den Anspruch an sich hatten Protagonisten zu werden, gesellten sich dazu und es wurde telefoniert, diskutiert und die Betriebsanleitung studiert. Natürlich nicht mit mir, die schon zum 1000 mal mit Hilfmittel fliegt, sondern mit der Neuanfängerin hinterm Schalter. Letztes Mal hieß es nur Sicherung raus und gut ist. Dieses Mal war nichts gut. Dieses Mal war alles Katastrophe mit und ohne Sicherung. Unser Gepäck war schon eingecheckt, aber das Scalamobil sollte zum Sperrgut. Nach dem Tadel, den ich mir eingefangen hatte, weil ich ja manueller Rohlstuhl ohne Batterie angegeben hatte und die Experten aber meinen Schieberollstuhl aufgrund des angehängten Scalamobils als Elektrorollstuhl klassifizierten, hielt ich auch die Klappe als ich kein Zettelchen bekam und war froh, schnell wegfahren zu können. Meine Nebenrolle schrumpfte zu einer Stummrolle zusammen.
Das Scalamobil wurde gescannt, nachdem ich mir dann doch nochmal das Zettelchen abholen musste, denn ohne geht’s nicht, auch eingepackt, nur die Batterie musste zurückbleiben. Und Ladys und Gentlemen damit war der Hauptdarsteller unseres Dramas geboren. Nachdem ich endlich den Begleitservice gefunden hatte (der vergeblich nach meinem Elektrorollstuhl Ausschau hielt), kam auch der Wortführer der letzten Diskussion dazu und meinte, die Batterie dürfe nicht in die Kabine. Die Lösung: mich aus meinen Rollstuhl in ein Modell vom Flughafen umsetzen und die Batterie an einer Art Tasche, oder vielmehr Stofffetzen am Rollstuhl zu befestigen, den sie ‚Tasche‘ schimpften. Nach circa 85 Metern Ducttape gelang es ihnen auch, nur ich fragte mich, wie ich das Zeug nur jemals wieder abbekommen sollte. Am Gate angekommen begann schon das Boarding und ich feierte mich für meinen Entschluss mein Brötchen statt im Zug, wie der Sohnemann, beim Warten am Gate essen zu wollen, weil da ja immer so viel Zeit ist. Ich hungriges Genie.
Wobei hätte ich gewusst, dass ich als letzte boarden würde, hätte ich gegen den Frust wenigstens anfressen können. So begann der Urlaub auf Null-Diät. Um uns die Wartedauer abwechslungsreich zu gestalten, kamen immer mal wieder Flughafenmitarbeiter bei uns vorbei, die uns darüber informierten, dass die Batterie doch nicht in den Frachtraum darf, sondern in die Kabine muss. Ne doch nicht. Frachtraum, aber in einer Kiste. Auch nicht. Kabine, aber in eigener Tasche. Schnell wurde einer meiner Rucksäcke – zum Glück nehme ich immer so viele mit- zur Batterietragetasche umfunktioniert. Wieder falsch. Im Rucksack in den Frachtraum. Noch auf dem Umsetzstuhl vor der Flugzeugtür, also zwischen Tür und Abflugshalle fand die Diskussion ihren Höhepunkt. Vier Flughafenmitarbeiter, zwei Stewardessen und ein Pilot diskutierten wie wild drauf los. Auflösung: scheinbar haben Piloten immer das letzte Wort und die Batterie wurde extra aus dem Frachtraum ausgepackt und vom Karton in den Rucksack, in die Kabine.
Nun im letzten Akt traf ich endlich auf mein Publikum. Die Wizzair hat nämlich beschlossen ihre inmobilen Fluggäste nicht mehr wie zuvor in die erste, nein sie setzt sie nun in die vorletzte Reihe. Ganze 28 lange Reihen lang, konnte jeder die Frau bestaunen, die für die über 20 minütige Verspätung des Abfluges Schuld war. Gerechtfertigt? Verdient? Egal. Es reicht ja so schon aus sich auf diesem wackeligen Stuhl durch den viel zu engen Gang zu quetschen und dabei nicht die beste Figur zu machen. Sitzposition und verrutschtem Oberteil sei Dank. Meine Stummrolle wurde um ein paar ‚Ohs‘, ‚Au`s‘ und ‚Entschuldigungs‘ wieder erweitert, aber ansonsten blieb mir die Sprache weg. Ich kann gar nicht verstehen, warum mich die Leute immer wie ein Auto angucken, wenn ich sage, dass ich in den Urlaub fliege. Ist doch super easy. Und dank der deutschen Bahn, dem über engagiertem Flughafenpersonal und den Fluggesellschaften die selber ihre eigenen Vorgaben nicht mehr überblicken, ein regelrechtes Schauspiel für Behinderte.
Nur wer böses denkt, würde dieses als Trauerspiel bezeichnen.
(Foto: Dieter Schütz / pixelio.de)
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