Flieg, Raupe, flieg.

Flieg, Raupe, flieg.

KRK08. by: kapuz.


„Natuerlich gehst du hin.“ Mit einem Laecheln.
Natuerlich.

Ich will nicht, der Fuss tut weh, ist dick und ich kann ihn nicht bewegen.

„Wer auf Baeume klettern kann, kann auch zum Tanzen gehen. Du kannst ja nicht immer nur machen, was du willst.“
Kinder duerfen auf Baeume klettern, denke ich.

Das weiss ich.
Die anderen duerfen das auch.
Er ist ganz rot.

Dir ist das egal.
In meinen Augen brennt ein Feuer.
Aber ich weine nicht.

„Wenn du mal auf mich hoerst..“
Ich sehe es vor mir.
Sie koennen das alles. Wenn nichts wehtut, ist es ganz leicht.

„…Maedchen klettern nicht auf Baeume, selber Schuld.“
Puppen. Ja, alles kleine Puppen, das sind sie.
Puppen, die immer ausgeschimpft werden.

Egal, was sie machen. Und wie schwer es ist, das zu machen.
Die Gesichter haben Angst.
Aber unter der Buehne weiss das keiner.

Die sehen nur das, was sie wollen. Fliegende Schmetterlinge.
Sie wollen, dass alles perfekt ist, fertig ist.
Aber die Gesichter wissen, was passiert, wenn ein Schritt danebengeht.
Nur ein einziger.
Sie sieht alles.
Fehler darf man nicht machen.

Da sitzen wir jetzt.
Im Bus.

Eigentlich gehe ich alleine. Den Weg mit dem Bauklotzladen. Die Hasenbaeckerei. Schnee auf Laemmchen. Auf Schafen. Vier Ampeln, ich habe gezaehlt.

Ich gehe zu Fuss.
Nie mit dem Bus.

Heute soll es schnell gehen.
Und du passt auf, dass ich auch wirklich hingehe.
Ich habe Angst.

Druecke meinen Kopf an das Fenster, will, dass es kaputt geht. Es ist ganz kalt. Aber zu stark. Mein Kopf kann es nicht zerdruecken.

Wenn ich groesser bin, denke ich, wenn ich groesser bin, dann kann ich alles.
Nicos Papa hat das gesagt.

Wenn du gross bist, dann musst du das nicht mehr machen. Dann kannst du machen, was du willst.
Ich bin beleidigt, finde es gemein.

Eine Frau mit einem blauen Kleid und einem haesslichen Hut steigt ein, stopft Papier in den Automaten. Er macht es kaputt. Zwei dicke Loecher sind jetzt da drin. Sie ist zufrieden.

Sitzen tut gut.

Der Fuss pocht. Bestimmt sind Leute da drin und klopfen.
Kann ich doch nichts fuer.

Du schimpfst mit mir, weil ich so ein missmutiges Gesicht mache.
Missmutig, was ist das ueberhaupt, frage ich mich.
Weiss nicht, was das ist.
Wie kann ich etwas machen, wenn ich gar nicht weiss, was das ist.

Ich will, dass du weggehst.
Ich will, dass ich da nicht hinmuss.

Du sagst immer, das ist teuer, du wolltest das, also machst du das auch.
Ich wollte das nicht.
Ballett. Ich hasse Ballett. Mag ich nicht.

Die anderen Leute im Bus gucken mit boesen Blicken. Ich verstehe nicht, warum. Die wissen doch gar nicht, warum ich so boese bin.
Sei denken, die arme Mutter, so ein freches Kind.
Immer sagt es nein.
Ich mag sie nicht.

Der Bus macht ein Viereck auf die Strasse.
Gross, klein.
Dreht sich um, drehen im Kreis. Ampel.
Der Schatten rennt.
Zu schnell fuer mich.
Zu schnell.
Dreht sich und rennt.
Rennt und fliegt.

„Na los!“
Wir muessen aussteigen, ich habe es nicht mitgekriegt. Aus dem Fenster geschaut. Habe versucht, es mit meinem Kopf zu zerdruecken. Habe weisse Schatten darauf geatmet.

„Sieh zu !“
Kann nicht so schnell, muss erstmal hier runterklettern. Jeder Schritt tut weh.

Du gehst zwei Schritte zurueck, packst mich und zerrst mich nach draussen.
Ich schnappe nach Luft, habe mich erschrocken.

Nicht weinen, denke ich.
Egal, was. Aber nicht weinen.


Flieg, Raupe, flieg.
Schimpfen.

Und dann stehen wir da, vor dem grossen Haus. Braun und dreckig. Voller Dreck.
Gleich isst es mich, denke ich.

Du darfst gehen, aber ich muss hierbleiben.
Wolken.

Ein Schild mit Worten, die ich nicht lesen kann.
Verstehe es nicht.

Und da ist sie schon.
Alle schon da.
Kommt auf uns zu, das freundliche Gesicht. Der Teufel.

„Na, du bist aber spaet heute“, sagt das Gesicht. Ich gucke es nicht an.
Du antwortest.

Es tut dir Leid und es ist meine Schuld, mehr verstehe ich nicht.

Hoere gar nicht zu, aber ich verstehe die strafenden Blicke.
Du denkst, ich vergesse sie, weil ich noch klein bin, aber ich vergesse sie nicht.

Eine grosse Motte fliegt auf ihr Kleid, du siehst sie nicht. Sie krabbelt und beisst ins das Blau. Sie sitzt. Vielleicht atmet sie. Ich mache sie nicht kaputt

Ist ja nicht so schlimm, sagt sie.
Sie luegt.
Sie laechelt. Teufel. Will meine Hand nehmen.

„So, ich muss auch gleich wieder ..“
Du musst dich immer beeilen.

„Ja. Ja, kein Problem“, sagt sie.
Ja. Ja, kein Problem, denke ich und beisse die Zaehne ganz, ganz fest zusammen.
Ich verkrampfe meinen ganzen Koerper, gehe zwei Schritte, knicke nur ganz leicht weg. Sie hat es gesehen.

„Humpelst du etwa ..? Oh … ?“
„Jaja, sie meint, …“
Ich verschlucke mich, Traenen weg. Weg mit euch, denke ich. Kann euch nicht gebrauchen.
Ihr macht nur Aerger.

Du gehst.
Sie wartet, bis du ganz weg bist, weiss, das du dich manchmal noch einmal umdrehst, um mir zuzuwinken.
Heute nicht.

Dann packt sie mich am Handgelenk und zieht mich in den Probenraum.

Ich soll mich dort umziehen. Vor all den anderen. Weil ich zu spaet bin. Und weil ich nicht kommen wollte.

Rosa.
Wie kleine Schmetterlinge.
Ich mag rosa nicht.

Manchmal lachen sie. Ueber meine gelbe Jacke. Wie eine Ente. Entefarben, Entefarben !
Ich will nicht.

„Jetzt STELL dich nicht so an.“
Ich atme einmal tief ein.
Wenn ich so tun koennte, als ob es mir egal waere, dass die anderen dann lachen, dann koennte ich mich hier umziehen. Aber das kann ich nicht.

Es ist mir nicht egal.

Sie dreht sich wieder zu mir, drueckt mich auf die Bank.
„Sag mal, hoerst du schlecht oder was ? Ich hab gesagt, du sollst ..“

Drehe mich weg, mache, was sie sagt.
Die anderen lachen.
Natuerlich lachen sie.
Das ist immer so.

Wenn einer angeschrien wird, freuen sich die anderen. Geben sich noch mehr Muehe, damit sie gelobt werden.
Und im Umkleideraum wird dann alles wiederholt. Jedes doofe Wort.
Nur zum Angeben.

Ich klingle an der Tuer.

Einmal, tausendmal. Ganz oft.
Und dann geht sie auf.
Endlich.

„Lil …du…“
Laufe in seine Arme.
Nicos Papa.

Schaut mich an, schuettelt den Kopf, ist aber nicht boese auf mich.
Er ist niemals boese.

Schaut mich an, sagt nichts.
Er ist erst boese, wenn er mir was zum Abendbrot hingestellt und dann eine Treppe weiter nach oben geht.

Er setzt dann den Baer mit den gruenen Augen auf den Tisch. Danke, denke ich.
Einfach danke.

Sollen alle verschwinden.
Zwei Haende, die mich hochheben. Augen, die mich anschauen.

„Komm mit.“
Nico ist schon im Bett.
Ich will ihn auch nicht sehen.

Habe geweint, das darf er nicht sehen.
Das soll keiner sehen.

Er legt alles zurecht und dann ist er fuer eine Weile weg.

Flieg, Raupe, flieg.

Aber das macht nichts, weil ich weiss, dass er wiederkommt.
Wenn er wiederkommt, schlafe ich jedesmal schon.

Hier braucht man den Schlafanzug nicht.

Ich stehe auf und sie sitzt am Fenster, ich male einen Schmetterling fuer ihn.
Mama hat eine Schale, einen Mantel an. Ein Kokon, aus dem sie nicht heraus kann.

Vielleicht male ich ihr auch ein Bild.

(Krakau, 2008)

Fotos: by kapuz. (ebenfalls KRK 08)



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