Sind Sie auch ein "qantified self"?
Abnehmen, gesünder leben und sportlicher werden – das wollen viele. Immer mehr Menschen tragen dazu Fitnessbänder, die jede Bewegung aufzeichnen und mit einer App ausgewertet werden.
Auch immer mehr Führungskräfte lassen sich mit Hilfe eines kleinen Armbands erinnern, ihr tägliches Fitnesspensum einzuhalten. Doch hilft das wirklich? Hier ein Test der drei bekanntesten Armbänder.
Bei mir fing das mit einem Schrittzähler, als ich gelesen hatte, dass 5.000 Schritte am Tag das Mindestprogramm an Fitness darstellte. Der für 12,95 € bei Tchibo erstandene Wegbegleiter zeigte mir dann schnell, dass ich als Ausübender eines sitzenden Berufes davon weit entfernt war.
Aufgrund des elektronischen Aufpassers habe ich mich dann wirklich mehr bewegt. Bin sogar in der Mittagspause spazieren gegangen oder habe das Altglas zu dem weiter entfernten Container gebracht – nur damit ich mein selbst gesetztes Fitness-Ziel erreiche.
Doch einfach nur seine Schritte zu zählen, ist ja was für Opas. Ich habe einen fitnessbegeisterten Bekannten, bei dem sieht der Tag so aus:
- Als erstes schaut er nach dem Aufwachen auf sein Fitbit One, das alle seine Bewegungen während der Nacht aufgezeichnet hat. Wie oft ist er aufgewacht? Wie lange dauern seine Tiefschlafphasen? Und wie lange hat er insgesamt geschlafen? Ein Druck auf sein Fitbit: das Gerät kapiert, dass der Schlaf beendet ist.
- Danach stellt er sich auf die Waage, die mit seinem Smartphone vernetzt ist. Die gemessenen Werte von seinem Gewicht und Körperfett werden via Bluetooth übertragen.
- Dann misst er seinen Blutdruck, der ebenfalls digital aufgezeichnet wird.
- Jetzt pikst er sich mit einer Lanzette in den Finger, fängt den Bluttropfen auf und misst seinen Blutzucker obwohl er keinen Diabetes hat.
Mein Bekannter ist Mitglied der "Quantified-Self-Bewegung". Die wurde 2007 in - na wo wohl? - in Amerika gegründet: www.quantifiedself.org . Mittlerweile gibt es 164 lokale Gruppen in 38 Ländern. Natürlich auch in Deutschland.
Menschen lassen sich in zwei Gruppen teilen. Die einen glauben an den Einfluss der Gene und der Umstände - und versuchen mehr oder weniger erfolgreich das Beste zu machen. "Ich bin halt so" oder "Da kann man nichts machen, das ist eben so" sind ihre häufigsten Erklärungsmuster, wenn Sie mit etwas nicht zufrieden sind.
Am entgegengesetzten Pol finden sich die Selbst-Optimierer. Sie spielen den Einfluss von Genen, Veranlagung oder bestimmten Umständen meist herunter. Und glauben, dass prinzipiell erst mal fast alles möglich ist. Der Wunsch nach messbaren Informationen und ein unerschütterlicher Glaube an das Machbare zeichnet sie aus.
Ihr Guru ist Tim Ferriss, der durch seine 4-Stunden-Bücher auch in Deutschland bekannt geworden ist. "Geht das nicht auch leichter, schneller - also irgendwie besser?" ist das Motto. Und ja, viele Dinge gehen besser, wenn man sie misst, kontrolliert, vergleicht und Zusammenhänge aufspürt.
So wurden ja auch das Fließband und Kaizen erfunden. Man zerlegt einen komplexen Prozess in einzelne Bestandteile, versucht, diese zu verbessern - und hat meistens am Ende ein besseres Ergebnis.
Das Tamagotchi für Erwachsene.
Als meine Tocher acht Jahre alt war, kam das Tamagotchi in die Welt. Das war ein ein virtuelles Küken in Form eines Spielzeugs, um das man sich vom Zeitpunkt des Schlüpfens an wie um ein echtes Haustier kümmern musste.
Zu unterschiedlichen Zeitpunkten meldete sich das Tamagotchi und verlangt nach der Zuwendung des Besitzers. Es war die ideale Lösung für Eltern, deren Kind ein Haustier wollte und wo aus räumlichen oder finanziellen Gründen Hamster, Meerschweinchen oder Hund nicht in Frage kamen.
Fütterte man das Tamagotchi belohnte es einen mit Zeichen der Zufriedenheit. Auch die Fitness-Armbänder arbeiten mit dem Belohnungsprinzip. Wer 10.000 Schritte am Tag gelaufen ist, erhält auf seinem Armband ein virtuelles Abzeichen.
Ähnlich den mysteriösen Kornkreisen "zeichnen" Sie durch ihre Laufstrecke virtuelle Figuren ins Universum, die man mittels der Figure Running”-App protokolliert und via Twitter und Facebook oder auf dem Blog mit der ganzen Welt teilen kann.
Noch weiter mit dem Verbreiten von persönlichen Daten treibt es der amerikanische Wissenschaftler Jen Lowe. Er teilt mit der Netzgemeinde seinen Herzschlag, den er 24 Stunden pro Tag aufzeichnet.
Fehlt eigentlich nur noch eine App, die aufzeichnet, wann man pupst - und was das möglicherweise zu bedeuten hat. Ach, die gibt's ja schon.
Gibt es auch sinnvolle Apps für Self-Tracker?
Interessant sind solche lückenlosen Selbstvermessungen vor allem, um mögliche Zusammenhänge (Korrelationen) herauszufinden. Dazu notiert man, was und wie viel man isst, wie man schläft und wann zum Beispiel Kopfschmerzen auftreten.
So fand eine Frau heraus, dass ihre Migräneanfälle immer dann auftraten, nachdem die Putzfrau da war. Nachdem sie alle chemischen Reiniger entsorgt hatte und nur noch mit natürlichen Reinigungsmitteln putzen ließ, wurden ihre Kopfschmerzen seltener.
Für so ziemlich jeden Lebensbereich gibt es mittlerweile eine App:
- Mit curetogether.com können Patienten weltweit ihre Symptome vergleichen und austauschen, welche Behandlungen Erfolge bringen.
- Wer sein Essen zu schnell runterschlingt und langsamer essen will kann sein Tempo mit 80bites.com/app zügeln.
- Will man ehrliche Auskunft über seine Alkoholgewohnheiten bekommen, hilft einem www.drinkingdiary.com
- Auch für die von mir immer wieder empfohlene Achtsamkeit gibt es natürlich mittlerweile Apps.
Was bringt das Selbstvermessen?
Wie in einem Lauftreff verleihen viele Apps ein Gemeinschaftserlebnis - selbst demjenigen, der ganz allein seinen Körper trimmt. Und dass man in der Gruppe die persönliche Komfortzone leichter verlässt, machen einem ja seit Jahrzehnten die Weight-Watcher-Gruppen vor.
Will man den Monatsbeitrag sparen, geht das auch über Twitter, wie diese US-Studie zeigt. Nicht indem man möglichst viele Tweets sendet, sondern indem die Übergewichtigen sich gegenseitig über den Kurznachrichtendienst über ihre Werte auf dem Laufenden hielten. Ergebnis: Die aktiveren nahmen mehr ab.
Das zeigt auch gleich den Pferdefuß bei allen Apps, die ein leichteres Leben und schnelleres Erreichen seiner Ziele versprechen. Man muss schon noch selbst laufen, Liegestütze absolvieren oder weniger essen. Eine App dokumentiert das in einer schönen Grafik. Man könnte seine Laufzeiten oder verlorenen Pfunde natürlich auch in ein Notizbuch schreiben, aber die Apps machen eben mehr Spaß.
Und wer im Büro sein Notizbuch herumzeigen würde ("Schau mal, wie viele Schritte ich diese Woche schon gegangen bin!") wäre bei Kollegen wohl schnell unten durch. Die App Runtastic macht dasselbe - wirkt aber cooler.
Am Anfang können solche Armbänder durchaus motivierende Effekte bringen, vor allem für Bewegungsmuffel, die Mühe haben, den inneren Schweinehund zu überwinden. Allerdings muss man wie bei allen größeren Zielen, dran bleiben.
Eine Marktforschungsfirma fand heraus, dass die Hälfte der Käufer ihren Activity Tracker in der Schublade liegen lassen. Ein Drittel der Besitzer hörte bereits innerhalb der ersten sechs Monate damit auf, ein solches Armband zu verwenden. Veränderung heißt eben, die Komfortzone zu verlassen - und das schafft das Fitnessband nicht.
Kontrolle ist gut. Ist Vertrauen nicht besser?
Es geht dabei ja immer um das Hinausschieben von Grenzen.
Dafür sind vor allem Menschen anfällig, für die Grenzen nicht vor allem eine Orientierung darstellen - sondern eine Kränkung. Sie interpretieren ein "Das schaffst Du nicht!" und gehen dagegen an.
Auf diesem Weg gerät man schnell in die Falle des "Beweisen-Müssens". Also Leute mit "Geht-nicht-gibt’s-nicht"-Grinsen und die auf als Desktop-Hintergrund "Nichts ist unmöglich!" installiert haben.
Etliche davon landen irgendwann im Burnout. In meinem 3-h-Coaching stelle ich Menschen mit diesem Thema dann meist drei Fragen:
- "Was müssen Sie eigentlich beweisen?"
Zum Beispiel wenn man seinen Testosteron-Spiegel erhöhen will. - "Wem müssen Sie das eigentlich beweisen?
Die klassische Antwort: "Mir selbst!" Die stimmt aber selten. - "Und wann ist es denn bewiesen?"
Die Antwort ist bestürzend, kann aber auch befreiend sein.
Bitte keine Missverständnisse: Bewegung ist gut. Maßvoll essen und trinken auch. Wettbewerb ist gut. Das Ich zu verbessern ist reizvoll. Aber es gibt ja noch eine andere innere Dimension in uns. Und auf der sind wir in Ordnung, so wie wir sind. Liebenswert, fast perfekt - so wie jeder andere Mensch auf der Welt auch.
Diese innere Dimension immer mal wieder zu spüren - dafür gibt es zum Glück noch keine App. Braucht es aber auch nicht.
Was halten Sie von Fitness-Apps und -Armbändern?
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