Finnischer Tango im Pfälzer Wald: „Bändi“ am Badehaisl

Von Kulturstrandgut

Und – bumm – da war er: der Herbst. Eben noch haben wir unter der Hitzewelle gepustet und uns gefragt, wie die Wohnung jemals wieder abkühlen sollte und man nachts wieder schlafen könnte. Eben noch haben wir am Abend barfuß mit einem Glas Wein vor der Ferienwohnung gesessen und auf das traumhafte Alpenpanorama geschaut. Eben noch haben die Kinder selbstvergessen am Bach neben dem Grillplatz gespielt. Eben noch haben wir unsere Runden durch das herrlich kühle Wasser des Bergsees gezogen. Und von einem Tag auf den anderen ist der Herbst da – Regen, Kühle, dunklere Abende und die andere Luft, trockene Blätter im Park. Einen letzten Hauch von Sommer oder zumindest Spätsommer sollte das Creole-Weltmusikwochenende nach Wachenheim an der Weinstraße bringen. Im Badehaisl am kleinen Teich unterhalb der Wachtenburg war das Wetter zwar gnädig, der Herbst aber schon ordentlich anwesend. Das wieder passte hervorragend zu „Bändi“, die uns mit finnischem Tango auf die Melancholie der kommenden Zeit einstimmten.

Finnischer Tango – noch nie gehört? Argentinischer natürlich, spanischer, französischer, vielleicht sogar russischer, aber finnischer? So ganz stimmen kann das nicht, zumindest, wenn man cineastisch nicht ganz unvorgebildet ist. Denn der große Meister Aki Kaurismäki hat ihn längst zu uns gebracht und seine Filme auch damit unverwechselbar gemacht. Ich muss zugeben, dass mir das selbst zunächst auch nicht besonders aufgefallen ist. Vor einigen Jahren bekam ich dann einen ersten Sampler mit finnischem Tango geschenkt, die großartige Sammlung von Tule Tanssimaan, und die tiefe Melancholie und Herbheit hat mich damals schon seltsam angesprochen. Auf dem Album sind vor allem Klassiker aus den Vierziger- bis Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts zu hören, mit der entsprechenden charmanten Klangqualität, die die Hörerin in eine andere Zeit verzaubert.

Der Tango kam nach Finnland in den Dreißigerjahren aus Argentinien – wie in viele andere europäische Länder. Als große Mode ergriff er damals – wie gegenwärtig seit etwa zehn Jahren ja auch wieder – ein breites Publikum überall auf der Welt. Dabei wurde der Tango aber immer auch an die je eigene Tradition angepasst oder in sie eingebunden. In Finnland bekam er einen besonders düsteren Touch, er wird dort vorwiegend in Moll gespielt und auch anders getanzt – scheinbar weniger lebensfroh und ausdrucksstark, um nicht zu sagen, eher lethargisch. Der Tango ist hier keine feurig-erotische Kunst, sondern eher ein gemeinsames oder auch alleiniges Schunkeln im Grundschritt.

Das Düstere und Bittere des finnischen Tangos hat auch etwas mit der finnischen Geschichte zu tun. Das Land stand zu der Zeit, als es den Tango kennenlernte, unter russischer Herrschaft und litt später unter erneuter Besatzung im Zuge des Winterkriegs 1939/40. Der Tanz wurde von den sowjetischen Machthabern verboten und zugleich zum heimlichen Ventil, Dinge auszudrücken, über die nicht gesprochen werden durfte. So wurde er gewissermaßen zu einem Volkstanz, der sich bis heute gehalten hat beziehungsweise wieder neu auflebt. „Der Tango ist der Blues der Finnen“, so hat es Kaurismäki einmal ausgedrückt. Dabei haben sie sich auch erlaubt, eigene Texte vorwiegend auf Finnisch zu verfassen, zum Teil aber auch in Fremdsprachen, unter anderem Deutsch. „Unsere Texte sind traurig“, soll der Soziologe und Tangosänger M. A. Numminen mal gesagt haben: „Je trauriger der Text ist, desto glücklicher sind wir Finnen. Unser Glück finden wir im Unglück.“ (Dazu sollte man sich übrigens unbedingt mal Numminens Interpretation etwa von „Ich mit meiner Braut im Parlamentspark“ anhören …)

Und nun gibt es also „Bändi“ aus Frankfurt am Main, eine Formation von Deutschen, die sich des finnischen Tangos angenommen und es sich zur Mission gemacht haben, diesen von Deutschland aus neu zu beleben. Dabei covert die Formation um ihren Gründer, Schlagzeuger Thomas Salzmann, Sängerin Kristina Debelius und Tobias Frisch, der den typischen finnischen Tango-Tenor gibt, nicht einfach die alten Rhythmen und Melodien, sondern arrangiert diese neu, sodass sie wieder zu etwas ganz Eigenem werden. Und das ist zum Teil erstaunlich lebensfroh, ja, sogar clubbig und loungig, wozu vor allem auch die wunderbar hauchig-rauchige Stimme von Kristina Debelius beiträgt. Inhaltlich geht es natürlich vor allem um die Liebe – und zwar um die von der unglücklichen Sorte.

Sänger und Geiger Tobias Frisch inszeniert sich in Anzug und unbeirrt traurig-leidensbitterer Miene so konsequent, dass man den starken Drang verspürt, ihm sofort einen Wodka zu reichen und zugleich befürchtet, er würde nach diesem endgültig von der Bühne fallen. Der finnische Tango ist also traurig, gaaanz traurig. Und vor allem: ernst! Dieses Augenzwinkern findet sich auch in den Stücken von „Bändi“ wieder und macht den Charme ihrer Auftritte aus. Der ist spritzig wie ein guter Pfälzer Riesling, und mit dem wiederum lässt sich passend zur Location und zur Jahreszeit auch ganz hervorragend die Wehmut runterspülen. Jetzt musste ich gleich mal meinen alten Tule Tanssimaan entstauben und zusammen mit „Satuuma“, der CD von „Bändi“, sind das meine persönlichen Herbstalben in diesem Jahr.

Kostprobe: „Bändi“ 2011 auf dem Creole-Wettbewerb.