Filmphilosophie: A.I. – Künstliche Intelligenz

Filmphilosophie: A.I. – Künstliche Intelligenz
USA 2001
Warner Bros. Pictures /Dreamworks
Directed by: Stephen Spielberg

A.I. – Künstliche Intelligenz spielt in einer relativ fernen Zukunft. Dort leben sogenannte Mechs, also Cyborgs, unter den Menschen, die Orgas genannt werden, und erfüllen Aufgaben für diese. David, gespielt von Haley Joel Osment, den wir bestens aus dem Mysterymeisterwerk The Sixth Sense kennen („Ich sehe tote Menschen!“), einen Prototyp eines Kind-Cyborgs, der als Erster seiner Art die Fähigkeit zu lieben besitzt. Und obwohl David der realistischste Roboter ist, den es je gegeben hat, wirkt er auf seine Eltern eher unheimlich und unmenschlich.
Doch wie müsste ein Roboter wie David sein, um wirklich „menschlich“ zu sein?

Dazu muss ich natürlich erst einmal klarstellen, was für eine Sorte Roboter David ist.
David wurde von der Firma Cybertronics (oder so ähnlich, eigentlich auch unwichtig) zu dem Zweck entwickelt, die nächsthöhere Ebene in der Cyborgtechnologie zu erreichen. Dafür sollte es dem Cyborg erstmals möglich sein, Gefühle jenseits von Schmerzempfindungen zu besitzen. Ein schwieriges Unterfangen, denn auch beim Menschen sind Empfindungen und Gefühle eng miteinander verknüpft, aber dennoch grundverschieden.
Schmerz ist eine Empfindung. Nervenzellen transportieren Informationen über die Haut oder andere Organe hinauf zum Gehirn, wo diese Information verarbeitet wird. Ähnliches selbstverständlich gilt auch für Kälte, Hunger oder jedwege Form der Sinneswahrnehmung.
Gefühle allerdings sind zu einem Großteil mentale Prozesse. Liebe, Hass und Eifersucht, Freude und Trauer werden alle von der Psyche des Menschen gesteuert. Zwar wird die Psyche auch durch körperliche Funktionen, wie beispielsweise Hormonausschüttungen beeinflusst, aber selbst diese brauchen den psychologischen Stein des Anstoßes. Wie sieht es z.b. mit dem Lachen aus? Wenn mein Komilitone einen Witz reißt, dann lache ich nicht, weil meine Drüsen im Körperinneren so humorvoll sind. Der Witz kitzelt meine Seele und ich fange an zu lachen – vorrausgesetzt natürlich, es handelt sich um keinen Rohrkrepierer. Die Hormone im Körper, die nun durch das Lachen ausgeschüttet werden, verstärken lediglich das Gefühl der Freude, die das Lachen bzw. der Witz mit sich bringt. Gefühle haben demnach keinen körperlichen Auslöser, sondern werden lediglich durch körperliche Katalysatoren verstärkt. Schmerzen haben körperliche Auslöser UND können von körperlichen Katalysatoren wie den Hormonen verstärkt werden.
Kommen wir zurück zum Film. Was genau macht einen Menschen denn nun eigentlich zum Menschen?
Erstmal Sinneswahrnehmungen. Alle Roboter im Universum von A.I. besitzen sogenannte Schmerzchips zum Fühlen von Schmerz, dazu haben sie selbstverständlich Augen und Ohren (bzw. visuelle und akustische Rezeptoren). Ob sie Riechen können wird nicht gesagt – aber mal ernsthaft, diese Fähigkeit ist nicht so wichtig für uns Menschen, oder? Also ich kenne einige Gelegenheiten, bei denen ich Gott für die Erfindung der Nase am liebsten die Rückkehr seines gefallenen Engels in den Himmel wünsche. Egal, sagen wir mal, David besitzt  alle diese Sinneswahrnehmungen.
Zweitens die Gefühle. Gerade dieser Punkt ist der Zweck von Davids Existenz. David soll lieben und emotionale Bindungen zu einem Menschen herstellen. Im Film wird darüber hinaus deutlich, dass David noch andere Gefühlsausdrücke kennt, wie z.B. Angst, Neid oder Sehnsucht. Ich wage mal zu behaupten, auch diese Komponente des „Menschsein“ erfüllt David.
Drittens das Aussehen. Auch wenn ich nicht ausgewiesener Experte für die menschliche Anatomie bin, aber ich bin mal so dreist und sage, dass auch David menschliches Aussehen hat. Bzw. natürlich sein Schauspieler Haley Joel Osment.
Verstärkt wird der Eindruck des „realistischsten“ Roboters David durch das Design der anderen Cyborgs im Film. So sehen sie entweder stark entfremdet und maschinell aus, oder weisen eine gewisse Künstlichkeit in ihrer Mimik auf, wie es zum Beispiel der Sexroboter (ja, im Film gibt es Menschen, die mit Robotoern Sex haben. Also Vibratoren, die reden können, salopp gesagt) Joe, gespielt von Jude Law.
Was braucht ein Mensch noch? Rationales Denken – zumindest die meisten aus unserer Spezies verfügen darüber. Es ist nur der „Faulheit“ der Gesellschaft und dem fehlenden, natürlichen Zwängen zu verdanken, dass die „Idioten“ noch immer existieren. Man hat richtig Angst, dass ein Film wie Idiocracy irgendwann keine Fiktion sondern Historie darstellt!
Wenn man die Geschichte von David im Film verfolgt, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass er eindeutig rationales Denken beherrscht. Ich will nicht näher auf die Story eingehen, damit ich den Nichtkennern den Spaß nicht verderbe, aber soviel sei gesagt: David kann rationale Schlüsse tätigen, denkt logisch und auch Zielorientiert, wobei er auch in der Lage ist über Umwege zu gehen – planmäßiges Denken also auch vorhanden.
Nun habe ich geklärt, wie viele menschliche Eigenschaften der Cyborg David besitzt. Dennoch wirkt er im Film alles andere als human. Woran liegt dies? Es müssten demzufolge noch weitere Eigenschaften dem Menschen innewohnen, die David fehlen.
Ist es die Mimik? H.J. Osment spielt den Charakter mit relativ wenig Gesichtsspielereien. Aber wenn man von fehlender Mimik auch auf Nichtmenschlichkeit schließt, dann besteht nicht nur unser gesamtes Führungspersonal der Regierung in Berlin aus lauter Nichtmenschen, sondern auch der Menschheitsretter schlechthin, Neo aus The Matrix, würde auf der falschen Seite kämpfen. Absurd, oder?
Was ist es, das David in A.I. fehlt? Zu was ist der Mensch noch fähig, außer zu den genannten Eigenschaften? Die Antwort ist relativ simpel, ergibt sie sich in gewisser Weise aus einer bereits genannten Fähigkeit.
Mensch und Computer beherrschen das rationale Denken. Rationalität fusst salopp gesagt auf einem Haufen von Regeln und Formeln. Rationalität ist vernünftig, sie folgt gewissen „Gesetzgebungen“ (auch wenn das Wort Gesetz sicherlich in einer anderen Form zu behandeln ist, als wir es üblicherweise tun). Diese „starren“ Schemate des Denkens können einem Computer, oder Cyborg, einprogrammiert werden.
Nun ist der Mensch auch zur Irrationalität fähig. Dieser Gegenpart zur Rationalität ist die Abkehr von jeder Gesetzmäßigkeit. Man handelt (un)bewusst entgegen der Norm bzw. ohne auf diese zu achten, wodurch auch durchaus Überschneidungen eintreten können. Der Mensch kann irrational handeln, weil es ihm das Gefühl sagt und/oder sich durch fehlenden Erfahrungsschatz keine rationale Erklärung entwickeln lässt. Bestes Beispiel sind hierbei Regenwaldbewohner ohne jeden Kontakt zur Außenwelt, die urplötzlich von einem Hubschrauber überrascht werden. Sie können mit der neuen, unbekannten Erfahrung nicht umgehen, schimpfen den Helikoter ein Monster oder Riesenvogel, und laufen verschreckt davon oder attackieren das fremde Etwas. Aus unserer Sicht irrational, aus Sicht der Ureinwohner der Versuch sich eine rationale Erklärung zu schaffen. Rationalität und Irrationalität liegen demnach also auch ein wenig im Auge des Betrachters.
Unser Cyborgfreund David handelt in einer Szene ebenfalls irrational. Im „Wettstreit“ mit seinem „echten“ Bruder nimmt er Nahrung zu sich. Diese bekommt ihm allerdings nicht, da er nicht verdauen kann. Diese Handlung ist daher irrational, weil sie entgegen des Selbsterhaltungstriebes, den jedes „lebende“ Wesen innehaben sollte, gerichtet ist. David zerstört sich durch diese Handlung beinahe selber. Kein Lebewesen tut dies aus rationalen Gründen.
Wir kommen der Sache näher, vermute ich. Ich versuche mal herzuleiten, warum David in der erwähnten Szene irrational bzw. selbstzerstörerisch handelt. Wenn wir zugrunde legen, dass Rationalität und Irrationalität im Auge des Betrachters liegen, und wenn wir annehmen, dass David seine Handlungen selber als rational einstufen würde, woran fehlt es ihm dann noch?
Davids „Fressattacke“ resultiert aus einem Wettstreit mit dem echten Sohn der Familie um die Liebe der Mutter. Es ist genau diese Liebe, die den Lebensinhalt von David darstellen. Den EINZIGEN Lebensinhalt. Ich habe bereits erwähnt, dass David zielorientierte Entscheidungen treffen kann. Also ist es nicht verwunderlich, wenn David alles erdenkliche dafür tut, um seinen Sinn des Lebens zu erfüllen. Und sein Sinn besteht darin, die Liebe der Mutter zu gewinnen. Dies ist ein Zweck, der im höchsten Maße altruistisch veranlagt ist, d.h. zum Wohle eines anderen Wesens. Doch damit die Selbsterhaltung überhand gewinnt, muss ein menschliches Wesen (in gewisser Hinsicht auch Tiere) egoistische Züge an den Tag legen. Die allermeisten Menschen würden nur dann einem Menschen das Leben retten, wenn ihnen selber keine Gefahr dadurch entstehen könnte. Nur selten trifft man selbstlose Menschen. Dies hat aber weniger mit der fehlenden Solidarität der Gesellschaft zu tun, als mehr mit dem Wesen des Humanoiden.
David hat in keinster Weise im gesamten Film Eigenbedürfnisse gezeigt. Selbst der altruistischste Mensch nimmt sich eine Auszeit, um einmal ganz für sich zu sein – und wenn es nur um eine kleine Zigarettenpause geht. Auch das Ende des Filmes, das uns als Happy End verkauft werden soll, zeigt bei genauerer Betrachtung nichts anderes, als dass es David nur um die Erfüllung seines Lebenszweckes ging. Er hat Gefühle, er sieht aus wie ein Mensch, aber gerade dies ist es, was ihn noch immer zu einer starren Maschine werden lässt, die zwar eine perfekte Kopie des Menschen darstellt, aber kein Mensch ist.

Lasst mich auch eure Gedanken in den Kommentaren wissen. Was für Eigenschaften zeichnen den Menschen eurer Meinung nach noch so aus? Oder würdet ihr den Film anders interpretieren als ich? Steigt ein, diskutiert mit. Bringt Leben in die Bude;-)


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