Der Saal in der Bielefelder Oetker-Halle war prall gefüllt. Alte Damen kommentierten in der Pause, die nach der Hälfte von vier gezeigten Kurzfilmen gemacht wurde, das Treiben auf der Leinwand mit der Bemerkung, dass sie die Handlung damals gar nicht so rasant erlebt hätten. Für die Einen sind es Kindheitserinnerungen, für die Anderen die Entdeckung eines Weltstars, der zu seiner Zeit der beliebteste und teuerste Mann Hollywoods war: Charlie Chaplin. Mit der „Chaplinade“ leistete das Theater Bielefeld seinen Beitrag zu dem Film+Musikfest der Murnau-Gesellschaft. Die Begleitmusik lieferten dementsprechend die Bielefelder Philharmoniker unter der Leitung von Bernd Wilden, die die Originalkompositionen von Carl Davis spielten. Quietschfidel passte sich die Musik dem lustigen Herrn auf der Leinwand an, der mit Stock und Melone, übergroßer Hose, zu kurzem Jackett und markanten Schnauzbart alle Altersklassen zu unterhalten wusste.
Der „Chaplinade“-Abend begann dann mit dem 1917er Film ‚The Cure‘. Hier ist Chaplin als Trunkenbold zu sehen, der in eine Entzugsklinik eingeliefert wird. In seinem Gepäck befindet sich allerdings eine große Auswahl an Spirituosen, die am Ende die ganze Klinik tränken werden. Hier lieferte er sich am heutigen Abend die erste von vielen stilgebenden Verfolgungsjagten, die in bester ‚Tom & Jerry‘-manier kurios, komisch von Chaplin selbst inszeniert wurden. Mit seinem Filmpartner Eric Campbell, der hier einen Mann spielt, dessen Fuß – in einem Gips steckend – mehr als einmal leiden muss, verwandelt er jede Szene zur komödiantischen Glanzleistung. Die Choreographie jedes einzelnen Schrittes muss bis in den letzten Millimeter geplant worden sein, um dieses Schauspiel zu realisieren. Mit dem zweiten Film wurde dann auch schon deutlich, dass Chaplin des Öfteren in die Rolle eines Außenseiters schlüpfte. War er zuvor noch als Trinker – wenn auch als ein lustiger Trinker – zu sehen, mimt er in ‚The Adventurer‘ einen geflohenen Sträfling, der die Gunst einer reichen Familie erwirbt, nachdem er eine junge Dame vor dem Ertrinken rettet. Doch ihr Verehrer, erneut von Eric Campbell dargestellt, will Chaplin an die Polizei ausliefern. Und auch hier gönnt Charlie Chaplin, der Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Verantwortlicher für den Schnitt, dem Zuschauer keine Ruhe. Erst die hektische Flucht vor der Polizei, dann das Versteckspiel im Herrenhaus der reichen Familie, in die dann auch die Ordnungshüter einfallen um den Flüchtling gefangen zu nehmen – eine Ruhepause wird hier niemanden gegönnt. Dabei vermischen sich gelungene, mimische Slapstick-Einlagen mit amüsanten Schlag- und Trittfolgen, die selbst die Prügeleien zu Späßen werden lassen.
Und auch im dritten Film ‚Easy Street‘ war Charlie Chaplin gemeinsam mit Eric Campbell vor der Kamera zu sehen. Neben den zwei vorherigen Filmen und ‚The Immigrant‘ waren es die letzten Filme, die Campbell 1917 drehen konnte. Er starb im Alter von 38 Jahren als er betrunken am Steuer eines Autos einen tödlichen Unfall verschuldete. Er war elf Mal an der Seite von Chaplin zu sehen. Hier nimmt es Campbell als grober, jähzorniger Riese mit dem Landstreicher Chaplin auf, der sich unbedacht auf eine Stelle als Polizist bewirbt, da diese mit der furchtbaren Easy Street nicht mehr zurecht kommen und jeden Mann für einen dortigen Einsatz benötigen. Wieder einmal tritt die List, Tücke und Gewitztheit von Chaplin gegen die rohe Gewalt von Campbell an. Bei diesem Duo möchte man Vergleiche zu späteren Freundschaften wie Stan Laurel und Oliver Hardy ziehen, wo Chaplin hier jedoch die klare Zugkraft darstellt. Und auch wenn Chaplin hier einmal auf der Seite des Gesetzes zu sehen ist, so bleibt er doch der Landstreicher, der die richtige Polizei in den Schatten stellt. In einer Szene schmeißt der hünenhafte Campbell mit Polizeikörpern um sich, befreit sich aus den Handschellen und eine ganze Meute von Ordnungshütern kann nichts gegen den Riesen ausrichten, der mehrmals von dem kleinen Chaplin in seine Schranken verwiesen wird.
Und am Ende gab es dann noch den dokumentarisch anmutenden Film ‚How to make movies‘ aus dem Jahre 1918 – der allerdings lange Zeit von Chaplin unter Verschluss gehalten wurde. Erst 1959 erblickte die Bevölkerung den Film innerhalb der Veröffentlichung ‚The Chaplin Revue‘. Chaplin drehte ‚How to make movies‘ als er 1918 für die First National Picture Corporation begann Filme zu drehen. Er nahm alle Kosten der Produktionen auf sich, erhielt dafür 125.000 US Dollar pro Film sowie fünfzig Prozent vom Einspielergebnis. In ‘How to make movies’ – in dem Chaplin auch ohne sein Bärtchen zu sehen ist – begleiten wir ihn durch sein Filmstudio, wie er dort sein nächstes Werk vor- und nachbereitet. Es ist amüsant zu sehen, dass sich Chaplin durchaus der Wirkung des kleinen Schnauzers bewusst war, den er hier als den „One Million Dollar Moustache“ kennzeichnet.