Filmkritik zu ‘The Music Never Stopped’

Filmkritik zu ‘The Music Never Stopped’

Der britische Neurologe Dr. Oliver Sacks begegnete 1977 dem Patienten Greg F., dem die Hauptfigur aus Regisseur Jim Kohlbergs ‚The Music Never Stopped‘ nachempfunden wurde. Greg, ein junger Mann mit Amnesie, die durch einen Gehirntumor verursacht wurde, konnte sich an keine neuen Ereignisse in seinem Leben erinnern, aber seine Erinnerungen an Musik, vor allem an seine geliebten Bands aus den 1960er Jahren, waren noch intakt. Durch Musik konnte man Greg erreichen. Nach über fünfzehn Jahren, die Dr. Sacks mit seinem Patienten gearbeitet hat, konnte er ein Treffen mit Drummer Mickey Hart arrangieren sowie ein Konzertbesuch von The Grateful Dead. In seinem Buch „An Anthropologist on Mars“ hat er in dem Kapitel „The Last Hippie“ über Greg geschrieben – und genau dieses Kapitel wurde für Jim Kohlberg die Vorlage zu seinem Film.

Filmkritik zu ‘The Music Never Stopped’

Lou Taylor Pucci als Gabriel (rechts)

Das Drehbuch von Gwyn Lurie und Gary Marks macht die Geschichte allerdings zu einer Vater-Sohn-Beziehung und lässt eine Musiktherapeutin nur am Rande auftreten. Hier sind es Henry (J. K. Simmons) und sein kleiner Sohn Gabriel, die beide eine große Leidenschaft für die Musik haben. Bis sich Gabriel (Lou Tayler Pucci) Ende der 60er Jahre der Anti-Vietnam-Bewegung anschließt und statt Bing Crosby plötzlich die Beatles, Bob Dylan und The Grateful Dead verehrt. Der Ingenieur versteht seinen Sohn nicht mehr. Nach einem heftigen Streit verlässt Gabriel das Haus und bricht mit seinen Eltern. Zwanzig Jahre später erreicht Henry und seine Frau Helen (Cara Seymour) ein Anruf aus dem Krankenhaus. Gabriel leidet unter einem Gehirntumor. Dieser ist zwar gutartig, aber Gabriels Erinnerungsvermögen ist schwer beschädigt. Seine Lebensgeister erwachen nur, wenn er Musik hört. Um endlich wieder Kontakt zu seinem Sohn zu haben, engagiert der verzweifelte Henry die Musiktherapeutin Dr. Dianne Daly (Julia Ormond). Mit Hilfe des Beatles Hits „All You Need Is Love“ findet sie einen ersten Zugang zu ihrem Patienten. Gleichzeitig lässt Henry alle Vorurteile gegen die Musik seines Sohnes fallen. Er entdeckt, dass Bands wie Cream und Sänger wie Bob Dylan auch ihm etwas zu sagen haben.

Aber bevor es soweit ist, erfahren die Zuschauer erst einmal, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass der Sohn nicht mehr mit dem Vater spricht, beziehungsweise den Kontakt zu beiden Elternteilen abbricht um sein eigenes Leben zu leben. Der Film startet im Jahr 1986, hier die Gegenwart, und macht immer wieder Sprünge nach 1957, wo die Welt noch in Ordnung ist und Gabriel ein kleiner Junge, der sich von der Musikbegeisterung seines Vaters anstecken lässt, und nach 1968. Hier herrscht das Motto „Sex, Drugs and Rock ‚n‘ Roll“, genau die Dinge, die Gabriel in dieser Zeit auch erleben möchte – ein Ärgernis für seinen Vater. An der Vorgehensweise des Filmes, der dreigeteilt die wichtigsten Lebensabschnitte nicht nur von Gabriel, sondern auch seines Vaters Henry aufzeigt, zeigt sich der gut gewählte Titel ‚The Music Never Stopped‘. Denn egal ob in frühester Kindheit, beim Drogenkonsum, den Protesten gegen den Vietnam-Krieg oder bei seiner späteren Therapie – die Musik ist etwas, was ihn sein Leben lang begleitet hat und immer einen Einfluss auf ihn ausüben wird.

Filmkritik zu ‘The Music Never Stopped’

J. K. Simmons als Henry

Davon bleibt er nicht allein betroffen, denn auch seine Familie, allen voran sein engstirniger Vater, sehen sich von der Musik beeinflusst. Jeder auf seine eigene Art und Weise, jeder von seiner eigenen Lieblingsband, von seinen Vorbildern und Idolen. Bei so viel Liebe, wie sie hier in die Musik gesteckt wird, zeichnet sich ab, dass Henry irgendwann enttäuscht sein muss, wenn er erfährt, dass sein Sohn auf einmal einen ganz anderen Musikstil als den seinen als das ideale Lebensgefühl ansieht. Wo Henry seine schönsten Erinnerungen mit den Songs verbindet, die seine Zeit prägten, sind es für Gabriel nur gelernte Daten und Fakten. Die Musik wiederum, für die Gabriel sich begeistert, ist für Henry nur sinnloses Geschrei. Erst später im Film werden beide eine gemeinsame Erinnerung zu einem Song aufbauen und dadurch die stärkste emotionale Entwicklung in die Wege leiten, die von Darsteller J. K. Simmons getragen wird, der als sture Vaterfigur aufbrechen und sentimentale Gefühlsregungen zeigen muss, was ihm glaubwürdig gelingt.

Auch wenn der Titel es also vermuten lässt, steht eigentlich viel mehr die Beziehung zwischen Henry und Gabriel im Mittelpunkt, die mit der Hilfe von nie enden wollender Musik geheilt werden soll. Für Gabriel endet die Musik nicht, ganz gleich in welchem Körper er gerade steckt – Kleinkind, Hippie oder Amnesie-Patient. Für Henry endet die Musik derweil nie, weil er selbst aus seinem festgefahrenen Bild von guter Musik herausfindet um neue Sounds an seine Ohren heran zu lassen. Es ist J. K. Simmons zu verdanken, dass dies so hervorragend funktioniert. Er spielt rührend den Reue zeigenden Vater, der die Vergangenheit wieder gut machen möchte um mit seinem Sohn ins Reine zu kommen. Die Musik funktioniert hier als Bindeglied zwischen den Generationen. Das hätte kitschig werden können, ist in ‚The Music Never Stopped‘ aber vollends gelungen.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘The Music Never Stopped’

‘The Music Never Stopped‘


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