Filmkritik zu ‘Take Shelter’

Filmkritik zu ‘Take Shelter’

Das Ende des Kalendariums der Maya-Kultur sorgt für das Jahr 2012 nicht zum ersten Mal für apokalyptische Endzeitvisionen. Auch wenn Jeff Nichols‘ ‚Take Shelter‘ die Maya ausblendet, reiht sich der Film in solche Werke ein, die das Ende der Welt vorhersagen: Roland Emmerich tat dies recht aufwändig und mit viel Trara in seinem Hollywood-Spektakelfilm ‚2012‘, Lars von Trier lies in ‚Melancholia‘ ruhige Bilder für sich sprechen, dann aber auch die Welt mit einem Knall untergehen. In ‚Take Shelter‘ sind es erst einmal nur Visionen, von denen Hauptdarsteller Michael Shannon geplagt wird. Ein verstörendes Bild von vom Himmel fallenden Vögeln, braunem ölgleichem Regen und heftigen Wirbelstürmen, die das Land heimsuchen. Aber ist es die Wirklichkeit, die sich hier offenbart oder nur eine geistige Störung? Die letzte Einstellung dieses faszinierenden, das Ende der Welt prophezeienden Filmes wird es den Zuschauern verraten.

Michael Shannon ist Curtis LaForche, der mit seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) und der gemeinsamen sechsjährigen, tauben Tochter, Hannah (Tova Stewart) in einer Kleinstadt in Ohio lebt. Curtis verfügt durch seine Arbeit als Teamleiter einer Sandgewinnungs-Firma nur über ein bescheidenes Einkommen, Samantha kann als Hausfrau und Mutter nur wenig zum Familienkonto beisteuern. Das Geld ist knapp und die Familie muss ständig kämpfen, um auch die Ausgaben für Hannahs Krankenversicherung und Förderschule abzudecken. Dann beginnen Alpträume von einem herannahenden apokalyptischen Sturm Curtis zu quälen. Er behält diese verstörenden Erlebnisse für sich und verarbeitet seine Angst, indem er obsessiv einen Schutzbunker im Garten baut. Sein unerklärliches Verhalten irritiert und verwirrt seine Frau, seine Kollegen, Freunde und Nachbarn.

Filmkritik zu ‘Take Shelter’

Tova Stewart, Michael Shannon & Jessica Chastain

Der Film beginnt, wie er sich in den kommenden Minuten auch fortsetzen, aber immer weiter intensivieren wird: Ruhig, durchdringend und mit einem verwirrten Michael Shannon, der sich unter dem offenen Himmel nicht mehr sicher fühlt, da er bei seinen Blicken gen Himmel riesige Wolkengebilde zu Gesicht bekommt, die auf einen nahenden Sturm deuten lassen. Diese beunruhigenden Bilder werden sich noch öfters wiederholen, von ihnen geht die Gefahr aus, die sowohl Shannons Figur als auch die Zuschauer immer wieder zu spüren bekommen. Hinzu kommen unbehagliche Klänge, komponiert von David Wingo (‚Gentlemen Broncos‘), die nur noch entfernt an Musik erinnern. So baut Jeff Nichols in ‚Take Shelter‘ eine Atmosphäre auf, die Ruhe und Unbehagen eines herannahenden Sturmes vermittelt.

Noch viel verstörender gestalten sich die Traumsequenzen, die Michael Shannons Figur des kleinbürgerlichen Curtis LaForche über sich ergehen lassen muss, bis er vor lauter Angst ins Bett pinkelt. In diesen vermeintlichen Visionen wird er von seinem eigenen Hund attackiert, der daraufhin in der realen Welt in einen Zwinger außerhalb des Hauses verfrachtet wird. Curtis erleidet einen schweren Autounfall und in der sonderbarsten Szene beginnen die Möbelstücke im Wohnzimmer zu schweben, als befänden sie sich im Auge eines Hurrikans. Schon bald kann Curtis diese Visionen nicht mehr von der Realität trennen, sieht auch im Wachzustand merkwürdige Verhaltensmuster bei Vögeln und hört Donnerschläge wo keine sind. Hier verschwimmen immer mehr Traum und Realität. Weder Curtis noch die Zuschauer können bald noch unterscheiden, ob die Ereignisse wirklich von statten gehen oder ob es sich um pure Einbildung handelt.

Filmkritik zu ‘Take Shelter’

Tova Stewart & Michael Shannon

Einen großen Teil zu dieser Verwirrung trägt das exzellente Schauspiel von Michael Shannon (‚Zeit der Trauer‘) bei. Er spielt einen Mann, der sehr wohl darüber Bescheid weiß, dass er krank ist und sich einer Heilung nicht entgegen stellt. Allerdings glaubt er ebenso an die Echtheit seiner Vorhersehungen. Shannon schafft es beide Gemütszustände verzweifelt darzustellen und doch einen Unterschied zu erzeugen. Erst durch sein Spiel werden die Visionen glaubhaft, aber auch seinen Umgang mit der Krankheit kauft man dem Darsteller ohne Zweifel ab. Zuerst versucht er sein Leiden durch die nötige Lektüre selbst unter Kontrolle zu bekommen, dann sucht er seine ebenfalls mental kranke Mutter auf um am Ende bei einem entsprechenden Arzt zu landen. Aber auch seine Film-Ehefrau Jessica Chastain steht dem Darsteller in Nichts nach. Die Frau im Dauereinsatz (‚The Help‘, ‚The Tree of Life‘, ‚Eine offene Rechnung‘) hat sich bisher immer als eine Bereicherung für die Filme offenbart, in denen sie auftrat. So ist es auch bei ‚Take Shelter‘, wo sie die unter dem Zustand ihres Mannes leidende Ehefrau mimt, die aber als starke Frau an seiner Seite steht.

‚Take Shelter‘ handelt von einem gewaltigen Naturereignis, welches sich auf der Leinwand entladen möchte. Doch es geht nicht allein um die sichtbare Katastrophe, sondern auch um den inneren Sturm, dessen Zerstörungskraft nicht minder gefährlich ist. Michael Shannon zeigt die innere, stets präsente Angst vor Dingen, die dort kommen mögen. Ohne diese unter Kontrolle zu haben, erscheinen die Visionen wie Ängste, die eigentlich jeden von uns plagen. Insofern ist Nichols‘ Film nicht etwa eine Weltuntergangs-Vorhersage, sondern die bildliche Wiedergabe der alltäglichen Realität. Die Angst vor einem unkontrollierbaren, unvorhersehbaren Ereignis, welches alles durcheinander wirbeln könnte.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Take Shelter’

‘Take Shelter‘


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