Filmkritik zu ‘Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen’

Filmkritik zu ‘Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen’

Über 70 Kurzfilme kommen bisher aus dem Hause Aardman Animations, einer britischen Produktionsstätte, die sich vor allem durch ihre Knetanimationen Bekanntheit verschafft hat. Fünf von diesen Werken handeln von dem beliebten Duo Wallace & Gromit, denen Erfinder und Regisseur Nick Park – auch der Schöpfer von ‚Shaun das Schaf‘ – vor sieben Jahren einen Auftritt auf den Kinoleinwänden spendierte. Aber nicht nur mit ‚Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen‘ haben Knetfiguren ihren Weg in die Kinos gefunden. Auch die Aardman-Produktion ‚Chicken Run – Hennen Rennen‘ setzte auf diese Technik, bei der Figuren aus Ton oder Knete Bild für Bild abfotografiert werden, damit diese im fertigen Film als flüssige Bewegungen dargestellt werden können. Nach den Aushängeschildern Wallace & Gromit und den Knet-Hühnern wagt sich Aardman Animations-Gründer Peter Lord auf die sieben Weltmeere, wo ‚Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen‘ spielt.

An vorderster Stelle steht hier natürlich der Piraten Kapitän (im englischen Original gesprochen von Hugh Grant), ein Mann, der stolz auf seinen üppigen Vollbart sein kann. Zwar ist er grenzenlos enthusiastisch, aber umso weniger erfolgsverwöhnt. Begleitet wird er von einer kunterbunten Crew von Männern – und einer Frau, die sich als Mann ausgibt. Sie trägt den bezeichnenden Namen „Pirat mit erstaunlichen Rundungen“. Neben ihr bilden der „Pirat mit Schal“, des Kapitäns rechte Hand, der „Pirat mit Gicht“ und der „Albino Pirat“ die übrigen Mitglieder des kleinen Piraten-Trupps. Trotz aller Warnungen und Widrigkeiten hat der Piraten Kapitän nur ein Ziel vor Augen: Er will Pirat des Jahres werden. Hierfür muss er sich allerdings gegen die weitaus erfolgreichere Konkurrenz beweisen: Black Bellamy und Holzbein Hastings (in der deutschen Fassung von Joko & Klaas gesprochen), sowie die verführerische Entermesser Liz (Bettina Zimmermann). Auf der abenteuerlichen Reise geraten die Piraten in die Fänge der skrupellosen Königin Victoria und verbünden sich mit dem jungen Charles Darwin und seinem Affen Mister Bobo.

Filmkritik zu ‘Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen’

Charles Darwin, der Piraten Kapitän (links), der Pirat mit Schal und Dodo (rechts)

Der Anfang von ‚Piraten‘ gleicht einem Asterix & Obelix-Cartoon, doch statt mit einer Lupe auf die Karte des römischen Reichs zu blicken und ein kleines, gallisches Dorf zu entdecken, welches immer noch Wiederstand leistet, finden die Zuschauer sich im Palast von Königin Victoria wieder, die hier von ihren Mannen mit einer Seekarte belagert wird. Alle sieben Weltmeere stehen unter der Herrschaft des britischen Königreiches, nur ein kleines Piratenschiff symbolisiert, dass man hier noch ein paar Probleme zu beseitigen hat. Der Wutausbruch der Königin steht bevor, dann wechselt das Bild zu der aufgebrachten Meute von Piraten, bei denen eine heftige Debatte in einer ordentlichen Prügelei endet, die erst von dem Piraten Kapitän – so sein voller Namen – beendet wird. Denn wozu streiten, wenn man den allseits beliebten „Schinken-Abend“ feiern kann. Hier ist der Humor versteckt, den Aardman Animations bereits in vorherigen Knetfilmen auslebte. Die Figuren sind wunderbar ausgearbeitet, harmonieren miteinander und glänzen vor detaillierter Knetarbeit. Der Pirat mit Schal, meistens schlicht als Nr. 2 betitelt, wird als Gehirn der Bande inszeniert, wirkt gar nicht so sehr wie ein Pirat, sondern wie ein wohlerzogener, junger Mann. Betrachtet man die Szenen, in denen der Piraten Kapitän gemeinsam mit seiner Nr. 2 auftritt, liegt der Vergleich zu Captain Jack Sparrow und William Turner nahe, die im ersten Teil der ‚Fluch der Karibik‘-Filmreihe ein ähnliches Duo-Spiel an den Tag legten. Nur hier herrschen weitaus weniger Intrigen, denn die Piratenmannschaft samt seltenem Dodo, der anfangs für einen Papagei mit schweren Knochen gehalten wird, fühlt sich als eine Familie, die fest zusammenhalten muss. Da wirken gemeinsame Schinken-Abende gar nicht mehr so sehr fehl am Platz.

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Die Furie: Königin Victoria

Im Fokus steht aber natürlich der Kapitän, der sich schnell als Pirat in einer Sinnkrise herausstellt. Andere Piraten und Piratinnen sind weitaus erfolgreicher als er, erbeuten riesige Schätze bestehend aus Gold und Diamanten. Wen wundert es da, dass der Piraten Kapitän schon bald eine Karriere als Baby-Anziehsachen-Verkäufer anstrebt, laut ihm ein lukrativer Job, da Babys ja so schnell wachsen würden. Auch im weiteren Verlauf des Filmes schlüpfen die Piraten in Verkleidungen von Pfadfinderinnen und Wissenschaftlern. Natürlich ist es in London zu einer Zeit, wo Piraten verfolgt und gehängt wurden, sicherer in Verkleidung umher zu streifen, dennoch muss der Oberpirat hier lernen, mit seiner Rolle zu leben, sie zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Und spätestens wenn sein kleiner Dodo in die Finger von Königin Victoria und ihrem Club von Staatsoberhäuptern gerät, die gerne exotische, seltene Tiere verspeisen, nimmt der Kapitän wieder all seinen Mut zusammen um seiner Rolle gerecht zu werden.

Das heißt allerdings nicht, dass sich der Film gänzlich auf seinen Figuren ausruht, mit deren Charme, Witz und Humor das unterhaltsame Abenteuer voran getrieben wird. Auch wenn dies allein schon genügen würde, arbeiten Aardman Animations in diesem Fall mit weitaus mehr. So werden zahlreiche geschichtliche Anspielungen gemacht, die es innerhalb des Films zu entdecken gibt. Nicht umsonst taucht Königin Victoria mal wieder als Piratenverfolgerin auf – auch Jack Sparrow bekam es in ‚Fluch der Karibik – Fremde Gezeiten‘ mit der Furie zu tun – und der Naturforscher Charles Darwin geht niemals ohne seinen Mannpansen (Mann+Schimpanse) aus dem Haus. Auch Figuren wie die Schriftstellerin Jane Austen und weitere zeitgeschichtlich relevante Persönlichkeiten bekommen ihren kleinen, niedlichen Knetauftritt. Und nicht zuletzt sollte die Welt betrachtet werden, in der sich all diese Figuren bewegen. Mit großem Detailreichtum wurde die exotische Blood Island, die an den Piraten-Hafen von Tortuga erinnert, und das Nebelschwaden durchzogene London, mit all seinen verwinkelten, finsteren Gassen gestaltet.

‚Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen‘ überzeugt dementsprechend durch seine spannend komische Piraten Abenteuergeschichte, durch die humorvoll charakterstarken Knet-Piraten und durch die fantasievolle Gestaltung der Landschaften, sowie der Schiffe, die auf den Weltmeeren umherfahren. Die Zuschauer werden deutlich zu spüren bekommen, dass eine Menge Liebe zum Detail hinter dieser Aardman Animation Produktion steckt. Es ist einer der wenigen Filme, die das Prädikat „Fortsetzungswürdig“ erhalten.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen’

‘Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen‘


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