Filmkritik zu ‘Melancholia’

Das Rezept für einen erfolgreichen Film scheint für den dänischen Regisseur Lars von Trier recht simpel zu sein: Man gebe Charlotte Gainsbourg eine Hauptrolle, stellt ihr einen Darsteller aus einer Comicverfilmung zur Seite – vorzugsweise Sam Raimis ‚Spider-Man‘ – und garniert das Ganze mit einigen provokativen Äußerungen auf einem öffentlichen Event wie den Filmfestspielen von Cannes. So hat es von Trier jedenfalls 2009 mit seinem Film ‚Antichrist‘ gehandhabt, der nach Cannes in der Presse zum meistgehassten Film des Jahres avancierte. Dennoch lieferten Willem Dafoe (als Grüner Kobold im ersten ‚Spider-Man‘-Film zu sehen) und Charlotte Gainsbourg eine beachtliche Leistung ab, die für die aus London stammende Gainsbourg eine Auszeichnung als beste Schauspielerin mit sich brachte. Ähnlich setzt sich das Szenario für von Triers Folgefilm zusammen. In ‚Melancholia‘ spielt Gainsbourg an der Seite von Kirsten Dunst (Mary-Jane Watson aus den ‚Spider-Man‘-Verfilmungen), der die gleiche Cannes-Ehre zu Teil wurde, wie ihrer Schauspielkollegin zwei Jahre zuvor.

Und der Skandal war dieses Mal präsenter denn je und hat den Film fast in den Hintergrund gerückt. Die Äußerung von Triers, er sei ein Nazi – die er erst nach diversen kommunikativen Verstrickungen von sich gab um die Situation gänzlich auf die zynische Spitze des Eisberges zu befördern – wurde zum Medienskandal aufgebauscht, bis der Regisseur seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit bekannt gab. Vielleicht der beste Schritt den er machen konnte. So wird die Presse keine Gelegenheit mehr dazu haben, den Mann auseinander zu nehmen, der mit jedem seiner Filme eine Schauspielerin an ihre Grenzen führt, für deren Erreichung sie dann aber auch gebührend gefeiert wird – während der Regisseur zum Hassobjekt gemacht wird.

Filmkritik zu ‘Melancholia’

Kirsten Dunst & Charlotte Gainsbourg

In ‚Melancholia‘ geht es um die Schwestern Justine (Kirsten Dunst), die gerade ihre Hochzeit mit Michael (Alexander Skarsgård) feiert und um Claire (Charlotte Gainsbourg), die gemeinsam mit ihrem Mann John (Kiefer Sutherland) die Festlichkeit auf ihrem Landsitz ausrichten. Zu den Partygästen gehören dann auch das seit Jahren getrennte Elternpaar der Schwester (John Hurt & Charlotte Rampling) sowie Justines Chef (Stellan Skarsgård). Während die Hochzeit nicht unbedingt nach Plan verläuft, nähert sich der riesige Planet Melancholia immer weiter der Erde – was Justine jedoch völlig kalt lässt, während ihre Schwester immer mehr in Panik gerät.

Der Film startet als visuelles Bilderspiel, welches surrealer nicht inszeniert sein könnte, für einen Lars von Trier – einem Regisseur, der seinen Filmen einen klar zu erkennenden Stempel aufdrückt – aber schon fast vorhersehbar daherkommt. Im Zeitlupentempo beobachten wir Kirsten Dunst, einsam in der Landschaft stehend, neben und hinter ihr Vögel vom Himmel fallend. Charlotte Gainsbourg wird mit einem Kind auf dem Arm gezeigt, wie sie in die Rasenfläche eines Golfplatzes hinein sinkt. Und zum krönenden Abschluss dieses Bild-Prologes, kollidiert die Erde mit dem weitaus größeren Planeten, der Melancholia getauft wurde. Somit ist das Ende der Welt unausweichlich.

Der nun folgende Film, der mit der Hochzeit von Justine und Michael beginnt, ist von dem Regisseur in zwei Teile separiert worden. Dabei bildet die Festlichkeit den ersten Teil, der hauptsächlich von Dunsts Figur Justine erzählt, die ihre Freude und ihren Frohsinn der Familie und den Freunden nur vorspielt – sie hat ihrer Schwester versprochen sich Mühe zu geben, nicht depressiv und traurig zu werden. Aber sie kommt gegen ihr wahres Ich einfach nicht an. Kirsten Dunst ist nicht wiederzuerkennen. Der Herausforderung dieser schweren Rolle ist sie erfolgreich gegenüber getreten. Sie wirkt körperlich schwach, geistig genervt von den Leuten die sie umgeben. Schritt für Schritt zerstört sie ihre eigene Hochzeit, zerstört ihr eigenes Glück, welches sie eigentlich auch gar nicht haben möchte. Ihre Filmeltern dürften ihr einiges mit auf den Weg gegeben haben: John Hurt als desinteressierter Vater, der sich lieber mit zwei anderen Schwestern beschäftigt als mit den Seinen und Charlotte Rampling als misanthropische Mutter, die sich lieber in ihrem Zimmer einschließt und ein Bad nimmt, als ihrer Tochter beim gespielten Glücklich sein zuzusehen.

Charlotte Gainsbourg & Kiefer Sutherland

Im zweiten Teil widmet sich der Film dann Justines Schwester Claire, die sich sorgsam um ihr Glück und ihre Familie kümmert, während Melancholia der Erde immer näher rückt. Während die besorgte Ehefrau und Mutter immer wieder im Internet nach den neuesten Informationen um den Todestanz der zwei Planeten am Himmel sucht, die laut einigen Verschwörungsseiten aufeinanderprallen sollen – was von Wissenschaftlern und Ehemann John stark dementiert wird – nistet sich Justine auf dem Landsitz der Familie ein, nachdem ihre Hochzeit im totalen Desaster geendet ist. Mehr als eine ruhige, verschlossene und an einem möglichen Weltuntergang desinteressierte Justine bekommen wir jetzt aber nicht mehr zu Gesicht. Mit dem Satz „Die Welt ist schlecht, sie hat es verdient zerstört zu werden“ kommentiert sie trocken die verworrenen Gedankengänge ihrer Schwester.

So dramatisch Kirsten Dunst im ersten Teil von ‚Melancholia‘ schauspielert, so traurig und heruntergekommen ihre Figur sein mag, so sehr ist es doch auch fast eine Komödie, die wir dort präsentiert bekommen. Die Zerstörung einer Hochzeit in kleinen Episoden, vom humorvollen Gekabbel der Eltern, über den neuen Mitarbeiter der Firma von Justines Chef, der ihr noch auf der Hochzeit einen Werbeslogan entlocken soll, da er sonst gefeuert wird und ein Hochzeitsplaner (Udo Kier), der sich weigert die Braut weiterhin anzusehen, da sie ihm die Hochzeit versaut habe. Lars von Trier hat sich sichtlich bemüht hier für einige Schmunzler zu sorgen, die den ersten Teil – obwohl dramatisch – eher locker leicht daherkommen lassen. Da wirkt auch das Ratespiel um die Bohnen in einem Glas eher trivial, wie Gainsbourgs Claire auch im Film anmerkt, deren richtige Anzahl von 687 Bohnen von niemanden erraten wurde.

Wenn im zweiten Teil aber Justine zugibt, dass sie wisse das es genau 687 Bohnen gewesen seien und sie genauso weiß, dass das Ende der Welt bevorsteht, jagt einem das durchaus einen Schauer über den Rücken – sichtlich auch ihrer Schwester. Das ist alles, was sie an Erklärung braucht um ab diesem Punkt der Panik zu verfallen, die zuvor noch von Ehemann John besänftigt wurde. Die letzte Hoffnung wird begraben und auch John wird irgendwann einsehen, dass die Wissenschaftler sich geirrt haben. Er wird sich den einfachen Weg aus der Misere suchen. Lars von Trier nutzt nuancenhaft seine Sci-Fi Elemente um die menschliche Psyche zu ergründen, wie diese wohl aussehen könnte, wenn das Ende bevorsteht. Und dann verabschiedet sich der Film, wie er uns begrüßt hat – mit einer imposanten Bildkomposition: Wenn Justine, Claire und ihr Sohn Leo auf einer Wiese sitzen, während sich im Hintergrund Melancholia nähert und mit einer mächtigen Flammenwand die Erde untergehen lässt. Da wirkt all das Geplänkel innerhalb der Familie, das Auseinanderdriften von Justine und ihrem Ehemann, der Streit der Eltern, die Flucht von Claires Mann, ebenso trivial wie die 687 Bohnen.

‚Melancholia‘ ist ein Science-Fiction Film über den Untergang der Welt, eine Komödie über den Untergang einer Hochzeit und ein Drama über den Untergang der Hoffnung. Dabei hat von Trier ein weitaus Massentauglicheres Werk erschaffen, als es noch bei ‚Antichrist‘ der Fall war.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Melancholia’

‘Melancholia‘

Originaltitel: Melancholia
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: DK/S/F/D, 2011
Länge: ca. 136 Minuten
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Alexander Skarsgård, Stellan Skarsgård, Brady Corbet, Udo Kier


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