Filmkritik zu ‘London Boulevard’

Von Denis Sasse @filmtogo

Die Einen sind ehemalige Agenten des Secret Service, waren ihre Leben lang auf der Seite der Guten und werden als persönliche Leibwache damit beauftragt, einen Megastar zu beschützen. Die Anderen kommen gerade erst aus dem Gefängnis, sind eigentlich Gangster, dadurch aber ebenfalls prädestiniert, den Job als Bodyguard zu übernehmen. 1992 beschützte Kevin Costner seine Klientin Whitney Houston, im vergangenen Jahr war es Colin Farrell, der die Leibwache von Keira Knightley mimte. Während die Briten die Romanverfilmung des irischen Schriftstellers Ken Bruen bereits im November 2010 zu sehen bekamen, läuft ‚London Boulevard‘ mit einem Jahr Verspätung nun auch in den deutschen Kinos an.

Es geht um den Londoner Ganoven Mitchel (Colin Farrell), der nach drei Jahren im Knast ein neues Leben beginnen möchte. Doch vor dem Gefängnis wartet schon sein alter Kumpel Billy auf ihn, der ihn in sein altes Umfeld zurückholen will. Eher durch Zufall trifft Mitchel auf den öffentlichkeitsscheuen Filmstar Charlotte (Keira Knightley), die in ihrer Luxusvilla von einer Schar von Paparazzi belagert wird. Mitchel wird von ihr als Bodyguard und Hausmeister engagiert. Natürlich entwickelt sich eine Romanze, die allerdings gestört wird, als Mitchels Vergangenheit ihn einholt. Sein Ex-Chef, der skrupellose Untergrund-Boss Gant (Ray Winstone), hat seine ganz eigenen Pläne für das neugefundene Pärchen.

Keira Knightley

Eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt einer Weltstar und Bodyguard Beziehung – das hat vor 19 Jahren hervorragend geklappt und ‚Bodyguard‘ mehrere Award-Nominierungen eingehandelt. Regisseur William Monahan, bisher als Drehbuchautor für Filme wie ‚Departed‘, ‚Der Mann, der niemals lebte‘ oder ‚Auftrag Rache‘ verantwortlich, konzentriert sich bei seinem Spielfilmdebüt allerdings nicht auf die Romanze, erschafft damit keinen Abklatsch, sondern stellt die kriminelle Unterwelt Londons sowie die wenig glamourösen Nebenwirkungen des Berühmtseins in den Fokus. So bekommt der Zuschauer auf der einen Seite einen Colin Farrell zu sehen, der sich observierend, misstrauisch und wortkarg durch sein Umfeld bewegt, auf der anderen Seite Keira Knightley, die sich hinter verschlossenen Vorhängen schüchtern vor den fotografierenden Parasiten verbarrikadiert hat. Knightley, sonst natürlich immer gerne selbst im Mittelpunkt der Filmhandlung, hält sich in ‚London Boulevard‘ dezent im Hintergrund, genau wie es ihre Rolle von ihr verlangt. Der Hauptakteur ist Colin Farrell, dessen Zeit im Gefängnis die Zuschauer lediglich im Vorspann miterleben dürfen. Zum Filmstart verlässt er seine Zelle und hat schon bald sein Outfit gewechselt, wandelt mit Anzug durch die Straßen und erinnert dabei an George Clooney in ‚Oceans Eleven‘. Auch Farrells Mitchel ist eher der gute Samariter als ein hinterlistiger Ganove. Er hilft unvorsichtigen Frauen auf der Straße, nicht überfallen zu werden und stellt klar, dass er ein Krimineller war, jetzt gerade aber ein Arbeitssuchender ist.

Damit trifft der Film den weichen Kern dieser harten Figur. So schlagfertig – im körperlichen Sinne – Mitchel auch ist, er kümmert sich um seine Mitmenschen. Aus dem Kriminellen ist ein reumütiger und halbwegs ehrlicher Bürger geworden, die Zeit im Knast hat seine Spuren hinterlassen. Natürlich ist das genau die richtige Rolle für Farrell, der selbst unter dem Image als harter, schroffer Typ zu leiden hat und dies gerne durch Figuren wie dem Ekelpaket Bobby Pellitt in ‚Kill the Boss‘ kompensiert. Auf der anderen Seite, verschlossen in einer Villa, versteckt unter einem Kopftuch, spielt Keira Knightley die schüchterne Schauspielerin, die sichtlich unter der Last ihrer Bekanntheit zu leiden hat. Hier zeigt der Film die Schattenseiten auf, mit denen sich wohl auch Knightley und Farrell selbst herumschlagen müssen, wenn sie den Schritt in die Öffentlichkeit wagen. ‚London Boulevard‘ wäre wie geschaffen dafür gewesen, diesen Paparazzi-Wahn mit britischen Humor zu bearbeiten, versagt aber an dieser Stelle, wo man einen Schwenk zu Filmen wie ‚Brügge sehen…und sterben‘ hätte machen können. Zum Nachteil des Filmes bietet dieser zwar qualifizierte Darsteller, die sich allerdings in die Hände eines amerikanischen Regisseurs begeben, der noch nicht ganz weiß, wie er mit dem Material umzugehen hat.

Colin Farrell & Ray Winstone

Fernab von den beiden Hauptdarstellern empfiehlt sich David Thewlis mal wieder als heimlicher Held des Filmes. Ob als Charakterdarsteller in Terrence Malicks ‚The New World‘ – ebenfalls an der Seite von Colin Farrell – oder in Roland Emmerichs ‚Anonymus‘ oder im Phantastik-Genre als Professor Lupin in den Harry Potter-Verfilmungen, Thewlis verinnerlicht seine Rollen und liefert bestmögliche Ergebnisse ab. Hier wandelt er mit seiner Figur Jordan zwischen Hippie, tickender Zeitbombe und engem Vertrauten der Schauspielerin und Verbündeten des Bodyguards. Aber selbst Thewlis kommt schauspielerisch, zumindest in diesem Film, nicht an die Aufeinandertreffen von Colin Farrell und Ray Winstone heran, zwei Darsteller, die im modernen Ganovenfilm immer wieder überzeugende Figuren verkörperten. Wo Farrell oftmals auf der Seite des Aussteigers steht, ist Winstone hier einmal mehr als gerissener Kopf der Unterwelt zu sehen, der sowohl mit seiner Leinwandpräsenz als auch in den Dialogen mit Farrell eine sehenswerte Darbietung gibt.

‚London Boulevard‘ ist kein Meisterwerk, kommt weder an vorherige Gangster-Werke von Farrell, noch Winstone heran. Dennoch hat der Film seine charmanten Momente, die aber leider nicht immer gänzlich ausgelebt werden. Es steckt eine Menge Potential in dem Film, der in diesem Fall unter dem fehlenden Zynismus zu leiden hat. Der Spaß, den der Zuschauer an diesem Film haben wird, kommt von den interessant konzipierten Figuren, die allesamt charakterstark in Szene gesetzt und von den dazugehörigen Darstellern überzeugend gespielt werden – auf jeden Fall ein Film für David Thewlis-Fans.

Denis Sasse


’London Boulevard‘

Originaltitel: London Boulevard
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Produktionsland, Jahr: GB/USA, 2010
Länge: ca. 106 Minuten
Regie: William Monahan
Darsteller: Colin Farrell, Keira Knightley, David Thewlis, Anna Friel, Ben Chaplin, Ray Winstone, Eddie Marsan, Stephen Graham, Ophelia Lovibond, Jamie Campbell Bower