Filmkritik zu ‘Die Tribute von Panem’

Filmkritik zu ‘Die Tribute von Panem’

Damit dürften die kommenden Kinojahre gerettet sein: Die Harry Potter-Reihe fand im vergangenem Jahr ihren Abschluss, die Twilight-Saga endet im November diesen Jahres. Aber mit ‚Die Tribute von Panem‘ von Regisseur Gary Ross, der bereits für die Fortsetzung angeheuert wurde, bekommt die Filmwelt ein weiteres Franchise an die Hand, welches dem Erfolg des Zauberschülers und der Mensch-Vampir-Werwolf-Liebesschnulze nachfolgen dürfte. Dabei orientiert man sich an einem Mix aus dem 1988er Sci-Fi-Actionfilm ‚Running Man‘ mit Arnold Schwarzenegger, dem Überwachungsstaat aus der Literaturverfilmung ‚1984‘ und dem japanischen Jugendgemetzel ‚Battle Royale‘. Alles sauber verpackt im FSK12-Gewand.

In einer nicht allzu fernen Zukunft ist aus dem zerstörten Nordamerika der Staat Panem entstanden, in dem das Kapitol mit eiserner Hand über das ums Leben kämpfende Volk regiert. Um seine Macht zu demonstrieren, veranstaltet das Regime jedes Jahr die grausamen „Hungerspiele“, bei denen 24 Jugendliche, je ein Mädchen und ein Junge aus Panems zwölf Distrikten, in einem modernen Gladiatorenkampf gegeneinander antreten müssen – und es darf nur einen Überlebenden geben. Als ihre kleine Schwester Prim für die Spiele ausgelost wird, nimmt die sechszehn Jahre alte Katniss freiwillig ihren Platz ein. Gemeinsam mit Peeta, dem zweiten Kandidaten aus ihrem Distrikt, wird sie mit den übrigen Teilnehmer auf die kommenden Spiele vorbereiten. Aus den Kindern und Jugendlichen werden knallharte Gladiatoren, die in einer fürs Fernsehen geschaffenen künstlichen Welt um ihr Überleben kämpfen müssen.

Filmkritik zu ‘Die Tribute von Panem’

Elizabeth Banks als Effie Trinket (links), Woody Harrelson als Haymitch Abernathy (mitte) und Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen (rechts)

Mit den ersten Bildern wird die dystopische Landschaft Panems ins Bewusstsein gerufen. Denn es wird nicht zuerst das bunte, exotische Treiben in der Hauptstadt gezeigt, sondern der verarmte Überlebenskampf in den heruntergekommenen Distrikten. Katniss wächst im Kohle-Bergarbeiter-Distrikt 12 auf, wo die Männer bei einem Arbeitsunfall allesamt ums Leben gekommen sind und die Familien nun um ihre Ernährung bangen müssen. Aus dieser trostlosen Welt geht es für die Jugendlichen schon bald in das nächste Stadium des Unwohlseins. Wie in dem Film ‚1984‘, basierend auf der Geschichte von George Orwell, aber auch wie in jedem anderen Film der mit diktatorischen Bildern eine Assoziation zum Nazi-Regime aufbauen möchte, wirken auch in ‚Die Tribute von Panem‘ die hier gezeigten Bilder wie eine grausame Herrschaft eines Regimes über sein Volk. Die in einem grau-tristen Hof versammelten Kinder, die hier sozusagen katalogisiert werden, erinnern an ein Aufgebot von Juden, die kurz davor sind in ein Konzentrationslager abtransportiert zu werden. Als dann ausgerechnet Katniss‘ Schwester Primrose aufgerufen wird um bei den „Hungerspielen“ teilzunehmen, wirft sich Schauspielerin Jennifer Lawrence mit mitleidserregender Kraft in die Arme der Soldaten um sich freiwillig anstelle ihrer kleinen Schwester für die Spiele zu melden. Regisseur Gary Ross beweist bereits in diesem frühen Momenten, dass er mit der Emotionalität der Figuren umzugehen weiß, blendet die Musik gänzlich aus, setzt auf Nahaufnahmen, geht dicht an das Geschehen heran und lässt die Schauspieler die Gefühle vermitteln, die in diesen Situationen in den Figuren herrschen. So wird hier die ganze Tragweite der Verzweiflung in nur einer Szene wiedergespiegelt, die einem die Kehle zuschnüren kann. Vor allem wenn der Film weiter voranschreitet und klar wird, dass dieser anfängliche Gefühlsausbruch ein Einzelfall bleiben muss. Die Verzweiflung innerhalb der „Hungerspiele“ weicht dem Überlebenswillen, der Katniss überkommen muss um gegen ihre Kontrahenten zu bestehen.

Obgleich der wahre Feind nicht an den „Hungerspielen“ teilnimmt, sondern sie veranstaltet. In erster Linie ist es Katniss‘ Begegnung mit Präsident Snow, die zum Ende des Filmes stattfindet, die den wahren Konflikt offen legt. Er ist der Mann, der seinem Programmdirektor Seneca Crane, aber auch den Zuschauern, den Sinn hinter den Spielen erklärt, die nicht etwa vorsehen Angst unter der Bevölkerung zu sähen, sondern Hoffnung. Denn die Hoffnung ist laut ihm die einzige Emotion, die stärker ist als die Angst. Und deshalb gäbe es immer einen Sieger bei diesen Spielen, die eigentlich auch mit dem Tod aller Teilnehmer enden könnten, wenn die Angst das Ziel wäre, mit dem das Regime das Volk unter Kontrolle halten möchte. Aber der Präsident behält natürlich Unrecht in den Momenten, in denen ein weiteres starkes Gefühl in den Mittelpunkt gerückt wird: Natürlich ist es die Liebe, die das System zum Sturz bringen kann. Ganz gleich ob die kleine, niedliche Rue, eine Verbündete von Katniss, von einem Speer durchbohrt wird und damit das Sinnbild der schwesterlichen Liebe zwischen Katniss und Prim getötet wird, oder aber wenn am Ende der Spiele die beiden Überlebenden dem gemeinsamen Freitod wählen um dem Grauen ein Ende zu setzen – die Liebe herrscht über die Pläne des Regimes und des Präsidenten, der in einer letzten Einstellung mit finsterem Blick der Gewinnerin beim jubeln zuschaut. Ein Kampf der sicherlich noch nicht zu Ende geführt wurde.

Filmkritik zu ‘Die Tribute von Panem’

Lenny Kravits als Cinna (links), Woody Harrelson als Haymitch Abernathy (mitte) und Josh Hutcherson als Peeta Mellark (rechts)

Unterschwellig – sofern man das noch so nennen kann – nimmt der Film natürlich eine ähnliche Haltung ein wie ‚Die Truman Show‘ von 1998, in der Jim Carreys Leben eine inszenierte Fernsehshow war, die zur Konsumkritik anregen sollte. Auch hier werden die „Hungerspiele“ in alle Haushalte übertragen, damit die Bevölkerung an dem Gemetzel teilhaben kann. Auf der einen Seite, nämlich für die Bürger der glamourösen Hauptstadt Panems, ist dies ein viel umjubeltes Event, welches alljährlich für Erheiterung in der gehobenen Gesellschaft sorgt. Auf der anderen Seite jedoch, für die niederen Außendistrikte, ist es eine schmerzhafte Pein mit ansehen zu müssen, wie Kinder und Jugendliche aus den eigenen Reihen gegenseitig morden. Direkt zu Beginn der Spiele wird einem kleinen Jungen aus Distrikt 4, dargestellt von Ethan Jamieson, die Kehle aufgeschnitten. Später sehen die Zuschauer den tragischen Tod von Rue und selbst der große Widerling der Spiele – Cato – sieht am Ende ein, dass er von Anfang an keine Chance auf einen Sieg hatte. Denn jeder, der hier teilnimmt ist ein Verlierer, eine Marionette im System des großen Regimes.

Die starke, von ihrem Überlebenswillen getriebene Katniss und der gescheite, die Regeln des Spiels ausnutzende Peeta wurden mit Jennifer Lawrence (‚Winter’s Bone‘) und Josh Hutcherson (‚The Kids Are All Right‘) gut getroffen. Auch die Nebenfiguren – die Mentoren der beiden Gladiatoren des zwölften Distrikts – Effie Trinkett (Elizabeth Banks), Cinna (Lenny Kravitz) und vor allem Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) geben der ersten Hälfte des Filmes noch eine zusätzlich absurde Note, die für gute Unterhaltung sorgt, zugleich aber auch für interessante Figuren, die in weiteren Episoden gerne noch mehr unter die Lupe genommen werden dürfen. Hinzu gesellt sich die hervorragende Regiearbeit von Gary Ross, der gemeinsam mit Billy Ray und der Romanautorin Suzanne Collins auch das Drehbuch schrieb. Immer wieder lässt er die Zuschauer in die emotionale Welt von Katniss eindringen, lenkt den Blick oder das Gehör auf Dinge, wie die Hauptprotagonistin sie wahrnimmt. Da hört man vor lauter Aufregung bei dem ersten Auftritt im Fernsehen nur ein tumbes Rauschen, statt verständlich gesprochenen Worten, nach einer Explosion begleitet ein stetiges Fiepen die folgenden Szenen und verwackelte Bilder sorgen für das Gefühl einer vergifteten, von Halluzinationen geplagten Katniss.

Wenn man dem Film etwas auflasten möchte, so sollte es die fehlende Brutalität sein, die in den Büchern zum Tragen kommt. Die Tötungssequenzen wurden bewusst verharmlost, die Kämpfe durch schnelle Schnitte unkenntlich gemacht. Fans der Literaturvorlage könnten hier einen Punkt der Enttäuschung erleben, da ‚Die Tribute von Panem‘ sichtlich auf Franchise-Niveau zurecht getrimmt wurden. Wer sich allerdings von der Vorlage trennen kann und in das filmische Universum von Panem eintaucht, der wird einen Film mit vielen Details und Facetten, mit interessanten Figuren und politischen Strömen geboten bekommen, der durch seine Vielseitigkeit eine Bereicherung für die Liste der dystopischen Science-Fiction-Filme sein dürfte.

Denis Sasse

Filmkritik zu ‘Die Tribute von Panem’

‘Die Tribute von Panem‘


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